Zum 1. Januar 2024 soll der Mindestlohn um 3,4 Prozent auf 12,41 Euro steigen. Für die fast 6 Millionen betroffenen Beschäftigten bedeutet das sogar eine Verschlechterung ihres realen Einkommens. Es ist beschämend, dass die Arbeitgeber mitten in der Inflationskrise bei den finanziell Schwächsten den Rotstift ansetzen und die Vorsitzende der Mindestlohnkommission dieses Spiel mitspielt.
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Das gab es noch nie: Die Vorsitzende der Mindestlohnkommission hat am vergangenen Montag gemeinsam mit den Arbeitgebern und gegen den Willen der gewerkschaftlichen Kommissionsmitglieder eine absolut unzureichende Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns durchgedrückt.
Laut Beschluss soll der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 um 3,4 Prozent auf 12,41 Euro steigen und ein ganzes Jahr später, zum 1. Januar 2025, um 3,3 Prozent auf 12,82 Euro. Beachtet man die weiter steigenden Preise, zementieren die Arbeitgebervertreter und die Kommissionsvorsitzende damit reale Lohnsenkungen für rund sechs Millionen Beschäftigte am untersten Ende der Einkommensskala.
Der Gesetzgeber hatte den Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angehoben, um ihn auf ein angemessenes Ausgangsniveau zu bringen. Legt man die Prognosen der Wirtschaftsweisen und der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute zugrunde, steigen die Preise 2023 um durchschnittlich 6,3 Prozent und 2024 um 2,7 Prozent. Selbst wenn man annimmt, dass die Inflation 2025 wieder den Zielwert der Zentralbank in Höhe von 2 Prozent erreicht, zeigt sich, dass der Mindestlohn deutlich mehr steigen müsste, wenn seine Kaufkraft erhalten bleiben soll (siehe Grafik).
Dabei sind Mindestlohnempfänger*innen noch stärker von der Inflation betroffen als andere: Sie müssen ohnehin jeden Euro zweimal umdrehen und geben einen Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel, Energie und andere Güter aus, deren Preise besonders stark gestiegen sind.
Die Anpassungen des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission führt zukünftig zu enormen Kaufkraftverlusten der Arbeitnehmer*innen. DGB/ Quelle: SVR/GD/Destatis
Die Kommissionsvorsitzende und die Arbeitgeber missachten mit ihrer Entscheidung die europäische Mindestlohnrichtlinie, die ausdrücklich die „Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten“ als eines von mehreren Kriterien für angemessene Mindestlöhne verbindlich festlegt. Die Mindestlohnrichtlinie muss bis Ende 2024 in nationales Recht umgesetzt werden und schreibt auch vor, dass die Höhe von Mindestlöhnen in Europa mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) von Vollzeitbeschäftigten erreichen soll. Mit dem jetzigen Beschluss erreicht der Mindestlohn in den kommenden Jahren aber noch nicht einmal 53 Prozent des Medians.
Auch die gesetzliche Vorgabe, dass der Mindestlohn einen angemessenen „Mindestschutz“ der Arbeitnehmer*innen gewährleisten soll, wurde in der Kommissionsentscheidung nicht berücksichtigt. Vollkommen aberwitzig ist zudem, dass Arbeitgeber und Kommissionsvorsitzende nicht den aktuellen Mindestlohn von 12 Euro als Basis für die nächste Erhöhung wählten. Stattdessen berechneten sie die Anpassung ausgehend von 10,45 Euro – dem Wert, den der Mindestlohn bis Oktober 2022 hatte. Das kommt einer Missachtung des Gesetzgebers gleich, der den Mindestlohn (noch vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation) auf 12 Euro festgelegt hatte, um die Lohnuntergrenze armutsfest zu gestalten.
Es ist beschämend, dass die Arbeitgeber mitten in der Inflationskrise bei den finanziell Schwächsten den Rotstift ansetzen und die Vorsitzende der Mindestlohnkommission dieses Spiel mitspielt.
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