Große Hedgefonds haben damit begonnen auf den finanziellen Ruin Italiens zu wetten. Leerverkäufe mit italienischen Staatsanleihen sind in den letzten Wochen rasant gestiegen – auf einen Wert so hoch wie zuletzt 2008. Während die Hedgefonds vom Kursverfall profitieren, wird die Schuldenlast Italiens drückender. Eurozonenmitglieder müssen effektiver vor Finanzspekulationen geschützt werden.
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Es war nur eine Frage der Zeit, bis die fragile politische und ökonomische Situation in Italien und ganz Europa die alten Heuschrecken aus der Eurozonenkrise wieder auf den Plan ruft: Unter Berufung auf Daten des Finanzdienstleisters S&P global meldeten in den letzten Tagen mehrere Zeitungen, dass Hedgefonds begonnen hätten, auf den finanziellen Ruin Italiens zu wetten.
Ein Indiz dafür: So genannte Leerverkäufe mit italienischen Staatsanleihen haben in den letzten Wochen rasant zugenommen. Der Wert an leerverkauften Anleihen des Landes ist im August auf über 39 Mrd. Euro gestiegen – so hoch war er zuletzt im Januar 2008.
Leerverkäufe sind riskante Börsenwetten. Hedgefonds wetten damit auf den Kursverfall bestimmter Wertpapiere. Dazu verkaufen sie zum Beispiel Staatsanleihen, die sie gar nicht besitzen, sondern nur geliehen haben. Fällt der Kurs, kaufen die Hedgefonds die Papiere zu einem günstigeren Preis zurück, streichen den Gewinn ein und profitieren so vom Kursverfall. Weil Hedgefonds einflussreiche Akteure sind und bei ihren Wetten enorme Finanzbeträge einsetzen, tragen sie allerdings mit dazu bei, dass die jeweiligen Staatspapiere weiter unter Druck geraten und der Kurs sinkt, sich ihre Wette also erfüllt.
Wenn der Kurs einer festverzinslichen Anleihe sinkt, steigt automatisch die Rendite der Anleihe. In Italien ist das seit Monaten der Fall. Wer Ende letzter Woche zehnjährige italienische Staatsanleihen am Finanzmarkt kaufte, bekommt auf sein Geld eine satte Rendite von 3,6 Prozent – verglichen mit 0,6 Prozent Ende 2021 (siehe Grafik). Das erhöht auch die staatlichen Finanzierungskosten in Italien, die Schuldenlast wird drückender.
Quelle: investing.com / Grafik: DGB
Um schädliche Spekulationen auf den finanziellen Ruin eines Eurozonenmitgliedes zu verhindern, ist eine effektive Finanzmarktregulierung notwendig. Der DGB hat sich schon während der Eurozonenkrise dafür eingesetzt, Leerverkäufe grundsätzlich zu verbieten. Mit der EU-Leerverkaufsverordnung, die 2012 in Kraft trat, haben die nationalen Aufsichtsbehörden und die Europäische Wertpapier-Aufsicht ESMA jetzt die Möglichkeit, Leerverkäufe zumindest temporär einzuschränken. Sollte sich der Trend fortsetzen, müssen die Aufsichtsbehörden einschreiten, sonst droht eine neue Eurozonenkrise.
Auch das neue Instrument der Europäischen Zentralbank (EZB), das so genannte Transmissionsschutzinstrument könnte zu einer Beruhigung der Anleihemärkte führen und die Währungsunion stabilisieren. Ziel des Instruments ist es, ein Auseinanderdriften der Anleihenrenditen in der Eurozone durch ein neues Kaufprogramm zu verhindern. Die Aktivierung des neuen EZB-Instruments ist aber abhängig von bestimmten Bedingungen. Diese Konditionalitäten sind deutlich milder als in der Vergangenheit. Doch es besteht weiterhin die Gefahr, dass die EZB Hilfszusagen von kontraproduktiven finanzpolitischen Reformen in den Mitgliedstaaten abhängig macht.
Klar ist: Sowohl ein neues Anleihekaufprogramm als auch ein vorübergehendes Verbot von Leerverkäufen behandeln nur die Symptome. Konstruktionsfehler der Währungsunion bleiben bestehen. Ihre Mitglieder werden erst dann vor Finanzmarktjongleuren geschützt sein, wenn es eine gemeinsame Garantie europäischer Staatsschulden, etwa in Form von Eurobonds, gibt.
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