Aus Angst vor der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der europäischen Staaten, gerät die Reform der EU-Schuldenregeln zunehmend ins Stocken. Anstatt sich einen Sparzwang aufzuerlegen, müssten die Staatsausgaben in allen EU-Staaten ausgeweitet werden. Eine gerechte Finanzierung der Transformation ist nur möglich, wenn die Fiskal-, Finanzmarkt- und Geldpolitik an einem Strang ziehen.
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Die Reform der EU-Schuldenregeln gerät zunehmend ins Stocken. Nicht nur in der deutschen Haushaltsdebatte, sondern auch im europäischen Kontext setzt die Ampel-Koalition zunehmend auf Sparen. Dabei wäre das Gegenteil nötig. Für den sozial-ökologischen Umbau müssten die Staatsausgaben in allen EU-Staaten ausgeweitet werden. Gerade öffentliche und private Zukunftsinvestitionen müssten in ganz Europa gestärkt werden, wie Schätzungen zeigen (siehe Grafik). Das geht nur, wenn – zumindest temporär – auch die öffentliche Kreditaufnahme erhöht wird.
Dem Bundesfinanzminister sind allerdings die hohen Schuldenstände vieler Mitgliedstaaten ein Dorn im Auge. Es brauche rigide Regeln zum Mindestschuldenabbau. Die Haushaltskonsolidierung müsse in den nächsten Jahren wieder im Mittelpunkt stehen, heißt es.
Häufig werden Forderungen nach einer zügigen Konsolidierung der Haushalte damit begründet, dass die Mitgliedstaaten der Eurozone andernfalls von den Finanzmärkten abgestraft würden. Hohe Defizite und Schuldenstände würden zu einer Herabstufung des Ratings von Staatsanleihen führen, was fatale Auswirkungen haben könnte: Die Märkte könnten mit Zinsaufschlägen reagieren und die Refinanzierungskosten für Staaten in die Höhe treiben, so die Behauptung.
Rigide Fiskalregeln zum Schuldenabbau – so das Argument – sollen die Mitgliedstaaten vor der Macht und Willkür der Finanzmärkte schützen.
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Eine neue Studie der Nichtregierungsorganisation Finance Watch zeigt nun, dass hohe Schuldenstandsquoten und Defizite eher eine untergeordnete Rolle für Ratingagenturen spielen. Die Kreditwürdigkeit eines Landes hängt nur marginal von diesen Indikatoren ab. Ausschlaggebend sind vielmehr wirtschaftliche Stärke und Widerstandsfähigkeit, die Zinslastquote und die geldpolitischen Umstände. Das zeigen Korrelationsanalysen zwischen den Ratings der drei größten Agenturen Fitch, Moody’s und S&P und verschiedenen wirtschaftlichen Indikatoren. Die Studie macht deutlich: Höhere Schuldenstände werden nicht notwendigerweise vom Finanzmarkt abgestraft. Anders wäre es auch nicht zu erklären, dass hoch verschuldete Mitgliedstaaten wie die USA, Japan und Großbritannien mit einem sehr guten Rating bewertet werden.
Und selbst wenn die Kreditwürdigkeit eines Euro-Staates aufgrund einer höheren Verschuldung einmal von einer Agentur herabgesetzt werden würde, hätte die Geldpolitik heute – anders als nach der Finanzmarktkrise – Instrumente, um dem entgegenzuwirken. In der Vergangenheit hat sie Anleihekaufprogramme entwickelt, die Staatsanleihenkurse differenziert stützen und stabilisieren können.
Die Diskussion zeigt: Demokratische Politik sollte keine irrationalen Ängste vor Finanzmarkt-Akteuren entwickeln und sich keiner „Marktdisziplin“ unterwerfen. Eine gerechte Finanzierung der Transformation ist möglich, wenn die Fiskal-, Finanzmarkt- und Geldpolitik an einem Strang ziehen. Dafür müssen in den nächsten Monaten die richtigen politischen Weichen gestellt werden.
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Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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