Deutscher Gewerkschaftsbund

15.11.2023

Zweifachbesteuerung bei den Renten endlich richtig ausschließen

Im Übergang zur nachgelagerten Besteuerung der Renten droht zunehmend Zweifachbesteuerung. Die Regierung muss jetzt handeln! Ihr derzeitiger Vorschlag dazu ist ungenügend. Er verhindert weder die Zweifachbesteuerung noch sorgt er für die ausreichende Besteuerung höherer Bezüge. Nötig ist ein sofortiges Moratorium, um Zweifachbesteuerung zielgenau und ohne bürokratischen Aufwand auszuschließen.

Miniatur Rentnerpaar steht auf Goldmünzen

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Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2002 (BVerfG 2 BvL 17/99) hat die damalige Bundesregierung beschlossen, die gesetzlichen Renten, wie auch die Pensionen, künftig voll nachgelagert zu besteuern. Dazu wurden die Beiträge ab 2005 (beginnend mit 20 Prozent) zunehmend steuerfrei gestellt. Seit 2023 sind die Beiträge voll steuerfrei. Beiträge vor 2023 erfolgten also teilweise aus versteuertem Einkommen.

Wer die kommenden Jahrzehnte in Rente geht und noch vor 2023 Beiträge zahlte, wird zumindest Teile seines Rentenbeitrags aus versteuertem Einkommen geleistet haben. Diese dürfen nicht erneut versteuert werden. Daher bleibt die Rente in einem Übergangszeitraum teilweise steuerfrei. Dies wird durch einen Rentenfreibetrag sichergestellt. Dieser berechnet sich bei Rentenbeginn aus einem Prozentsatz und der jährlichen Bruttorente (des Kalenderjahres nach dem Jahr des Rentenbeginns). Der Rentenfreibetrag bleibt dann konstant, die jährlichen Rentenerhöhungen sind also voll zum steuerpflichtigen Einkommen hinzuzuzählen. Der Prozentwert beträgt aktuell 17 Prozent, da nach § 22 EStG für das Jahr 2023 83 Prozent steuerpflichtig sind. Nach der entsprechenden Tabelle steigt der Prozentwert bis zum Jahr 2040 jedes Jahr um einen Prozentpunkt auf 100 Prozent. Ab 2040 wäre also nach geltendem Recht die Rente voll steuerpflichtig.

Nachgelagerte Besteuerung und Rentenniveau

Die zunehmende Besteuerung der Rente reduziert die Nettorente (nach Steuern). Gleichzeitig fällt die Steuer auf den Lohn geringer aus, so dass der Nettolohn relativ höher ist. Damit sinkt das Verhältnis der Nettorente zum Nettolohn (jeweils nach Steuern). 

Das offizielle Rentenniveau (vor Steuern) ist seit 2000 gesenkt worden. Bei diesem Rückgang ist die nachgelagerte Besteuerung aber nicht berücksichtigt. Durch die nachgelagerte Besteuerung sinkt das Niveau nach Steuern noch etwas stärker als das offizielle Niveau vor Steuern.

Den Rückgang des Verhältnisses zwischen Nettorente und Nettolöhnen sollen die Beschäftigten aus Sicht der Bundesregierung durch zusätzliche private Vorsorge schließen. Dazu sollen sie zusätzlich zu den von der Regierung erwarteten vier Prozent in eine Riesterrente weitere rund drei Prozent ihres Bruttolohns sparen. Diese drei Prozent entsprechen ungefähr der geringeren Steuer, die sich ergibt, weil die Rentenbeiträge steuerfrei gestellt sind.

Wer ab 2040 in Rente geht und noch vor 2023 Beiträge gezahlt hat, hat Teile seines Rentenbeitrags aus versteuertem Einkommen geleistet. Da zwischen 2023 und 2040 nur 17 Jahre liegen, haben – von wenige Ausnahmen abgesehen - alle Personen, die in den 2040er Jahren in Rente gehen, erhebliche Beiträge aus versteuertem Einkommen geleistet. Nach geltendem Recht würden sie also doppelt besteuert. Unterstellt man 40 bis 45 Beitragsjahre, so wäre frühestens gegen Ende der 2060er Jahren ein deutlicher Rückgang der Betroffenen festzustellen – aber manche zahlen auch 50 Jahre ein und wären selbst 2070 noch von einer zweifachen Besteuerung betroffen.

Die Entscheidung für die nachgelagerte Besteuerung ist verfassungsrechtlich zulässig. Sie ist aber auch für die Versicherten vorteilhaft. Während des Arbeitslebens zahlen sie auf die Beiträge zur Rente keine Steuern mehr und haben ein höheres Nettoeinkommen. Nur wenn und solange sie später Rente beziehen, zahlen sie dann auf die Rente Steuern. Da die Rente in der Regel geringer als das Einkommen im Arbeitsleben ist, ist auch der Steuersatz in der Rentenphase wegen der geringeren Progression deutlich niedriger.

Vorschlag der Koalition zur Vermeidung der Zweifachbesteuerung untauglich

Im Mai 2021 hat der Bundesfinanzhof [1] die strittigen Fragen zur Rentenbesteuerung geklärt. Danach führt die vorgenannte Tabelle schon für Neurentnerinnen und -rentner ab den 2020er Jahren vermehrt zu einer Zweifachbesteuerung. Die Koalition will deshalb die Zweifachbesteuerung künftig dadurch ausschließen, dass zunächst der steuerpflichtige Anteil der Rente in der Tabelle des § 22 EStG langsamer ansteigen soll. Die Prozentwerte zur Berechnung des Besteuerungsanteils sollen nur noch um 0,5 statt 1,0 Prozentpunkte steigen, so dass die Renten erst ab 2058 voll steuerpflichtig sein werden. So sieht es das Wachstumschancengesetz (Bundestagsdrucksache 20/8628) der Bundesregierung vor. Der Gesetzentwurf erläutert in seiner Begründung, dass diese Maßnahme unzureichend ist um Zweifachbesteuerung zu vermeiden und in einem weiteren Gesetz weitere Maßnahmen nötig sind.

Es ist gut, dass die Bundesregierung die Zweifachbesteuerung der Renten endlich ausschließen möchte. Dies ist zwingend geboten und wird von den Gewerkschaften seit vielen Jahren eingefordert.  Schäfer (2022) sowie Kiesewetter et al. [2] zeigen, dass die bis 2058 verlängerte Prozenttabelle im Wachstumschancengesetz die Zweifachbesteuerung mindern würde, ohne diese jedoch zu beseitigen. Gleichzeitig führt sie nach beiden Studien dazu, dass es insbesondere bei in den 2040er Jahren zugehenden Renten in weit größerem Maße zu gar keiner hinreichenden Besteuerung käme, also weder in der Beitragsphase während der aktiven Berufstätigkeit noch im Rentenbezug. Vor allem bei hohen Renten und solchen mit weniger als 45 Beitragsjahren vor Rentenbeginn wäre dies relevant. Steuermindereinnahmen müssten von anderen Steuerpflichtigen durch relativ höhere Steuern getragen werden, Leistungen und Investitionen des Staates würden gekürzt oder die Neuverschuldung müsste steigen. Der wesentliche Teil des Steuerausfalls ist dabei erst in den 2030er und 2040er Jahren zu erwarten.

Mit dem Wachstumschancengesetz würde die Regierung Fakten schaffen, die einerseits ungenügend die Zweifachbesteuerung beseitigen und andererseits ungerecht sind. Zumal die Bundesregierung offenlässt, wie es sich die weiteren angekündigte Schritte vorstellt.

Warum ist das Vorgehen problematisch? Würde der Rentenfreibetrag als Prozentanteil der Jahresrente berechnet, dann schwankt die Summe an steuerfreiem Rentenzufluss ganz erheblich mit der künftigen Entwicklung des aktuellen Rentenwerts und der Lebenserwartung. Unterschiede des steuerfreien Rentenflusses von über 50 Prozent bzw. über 20.000 Euro sind dabei nicht unwahrscheinlich. Setzt der vom Finanzministerium angekündigte nächste Schritt auf einer so schwankenden Basis auf, dann bliebe unklar, welche verbleibende Zweifachbesteuerung er beseitigen soll, und er würde eine Unterbesteuerung ohnehin nicht zurücknehmen. Setzt die zweite Stufe auf einem wackligen Fundament auf, ist das ganze Konstrukt „einsturzgefährdet“. die. Ursächlich für das Problem ist dabei die im Wachstumschancengesetz vorgesehene bis 2058 verlängerte Prozenttabelle nach § 22 EStG.

Jetzt handeln und zielgenaue Lösung erarbeiten

Um Zweifachbesteuerung auszuschließen müssen jetzt zeitnah sachgerechte Lösungen erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei sollten die Regelungen möglichst einfach und verständlich sein sowie über die kommenden Jahrzehnte verlässlich bleiben und eine Unterbesteuerung als Frage der Verteilungsgerechtigkeit möglichst vermeiden. Auswirkungen, Fehlsteuerung und Umsetzung der vorliegenden Regelung im Wachstumschancengesetz sind unzureichend erörtert und problematisch. Dies moniert auch der Bundesrat und bittet in seiner Stellungnahme die notwendigen Gesetzesänderungen „einer nochmaligen sorgfältigen Prüfung unter der weiteren Einbeziehung der Fachebene der Länder zu unterziehen und durch ein eigenständiges Gesetzgebungsverfahren umzusetzen.“ (Bundesratsdrucksache 433/23). Es braucht eine zusammenhängende, in sich konsistente und effektive Lösung dieses alle Generationen umfassenden Problems.

Der DGB schlägt daher vor:

  1. Jetzt keine langfristigen Fakten schaffen! Die entsprechenden Regelungen in Artikel 4, Nr. 9 bis 11 des Wachstumschancengesetzes auf Drucksache 20/8628 sowie die Folgeregelung zum Versorgungsfreibetrag sollten gestrichen und das Problem der zweifachen Besteuerung sollte in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren angegangen werden.
  2. Ein Moratorium gegen Zweifachbesteuerung: Um das Problem der Zweifachbesteuerung kurzfristig nicht anwachsen zu lassen, sollte ab sofort auf den weiteren Anstieg des Prozentwerts bis einschließlich 2025 verzichtet werden. Der Wert von 82 Prozent für das Jahr 2022 sollte bis 2025 beibehalten werden – und ab 2026 dann in 1-Prozentpunkt-Schritten wieder steigen, so dass 100% erst 2043 erreicht würde. Damit wäre der Rentenfreibetrag bis einschließlich 2027 günstiger als der Regierungsvorschlag. Das Moratorium würde aber langfristig keine unerwünschten Fakten schaffen.
  3. Gesamtvorschlag erarbeiten: Für den Zeitraum nach dem Moratorium muss eine umfassende Gesamtlösung zur Vermeidung der Zweifachbesteuerung und eine gerechte Ausgestaltung des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung erarbeitet werden. Dabei wären die Rententräger, der Bundesrat, die Sozialpartner, die Autor*innen des Gutachtens im Auftrag des Bundesfinanzministeriums sowie weitere Sachverständige einzubeziehen. Es muss eine politisch und fachlich breit getragene und ausgewogene Neuregelung aus einem Guss gefunden werden, die die Zweifachbesteuerung vermeidet und gleichzeitig die Unterbesteuerung möglichst minimiert. Anders als im Wachstumschancengesetz sollte dabei auf einen prozentual aus der Jahresrente errechneten Freibetrag verzichtet werden, da dies nicht zielführend ist. Zielgenau wäre es, den Rentenfreibetrag aus dem Volumen an versteuerten Rentenbeiträgen zu ermitteln. Hierfür ist mit den Trägern der Basisrentensysteme zu klären, welche Daten dafür digitalisiert zur Verfügung stehen und wie weit man hierbei auf Typisierungen zurückgreifen kann und muss. Das Volumen sollte damit dann möglichst transparent und einfach ermittelt und den Versicherten bescheinigt werden. In diesem Sinne umsetzbar erscheint zumindest eine typisierende[3] Berechnung des besteuerten Beitragsvolumens aus digitalisiert vorliegenden Daten über den Bruttolohn und den allgemein bekannten Beitragssätze zu den Sozialversicherungen für jedes Jahr.
  4. Günstigerprüfung: Um im Übergang eine Schlechterstellung zu vermeiden, sollte als Günstigerprüfung jedoch mindestens der mit dem Moratorium leicht geänderte Prozentwert von der Bruttorente als Rentenfreibetrag gewährt werden.

[1] Ausführungen hierzu finden sich in Schäfer, Ingo (2022): Den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung der Renten rechtskonform ausgestalten. In: „Deutsche Rentenversicherung“, Ausgabe 1/2022. Herausgeber: Deutsche Rentenversicherung Bund.

[2] Kiesewetter et al. (2023): Überprüfung der Übergangsregelung zur nachgelagerten Besteuerung nach dem AltEinkG im Hinblick auf eine »doppelte Besteuerung« unter Berücksichtigung der aktuellen BFH-Rechtsprechung - Gutachten im Auftrag des Bundesfinanzministeriums, im Internet unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerliche_Themengebiete/Rentenbesteuerung/2023-09-14-wissenschaftliche-expertise-doppelte-besteuerung.html

[3] Dem entspräche in Grundzügen auch die Methode zur Ermittlung eines typisierten Rentenfreibetrags, wie er im BMF-Gutachten vorgeschlagen wird. Allerdings nur bis das Volumen an versteuerten Beiträgen typisiert ermittelt ist, ohne daraus in weiteren Schritten einen typisierten Rentenfreibetrag zu berechnen.


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