Deutscher Gewerkschaftsbund

07.03.2024
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung

Mehr Solidarität statt Leistungskürzungen und Zugangsbarrieren

Viele gesetzlich Versicherte zahlen seit Beginn des Jahres höhere Beiträge. Konservative und neoliberale politische Kräfte nehmen das zum Anlass die bewährte paritätische Umlagefinanzierung in Zweifel zu ziehen und sehen die Schuld für die finanzielle Misere innerhalb des Sozialsystems selbst. Tatsächlich sind die Krankenkassen jedoch die Opfer einer verantwortungslosen Sparpolitik mehrerer Bundesregierungen. Dadurch erhöhen sich nicht nur die Beitragskosten für die Versicherten, auch die Versorgungssicherheit wird zunehmend gefährdet, da Leistungskürzungen wahrscheinlicher werden. Statt Sozialabbau brauchen wir daher endlich eine solidarische und tragfähige Finanzierung.

Entscheidend für die Gesundheitsversorgung der Menschen in Deutschland ist seit über 140 Jahren die beitragsfinanzierte, solidarische gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Sie ist ein entscheidender Baustein des sozialen Sicherungssystems unseres Landes und ermöglicht für mehr als 90 Prozent der Bevölkerung eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung. Seit einigen Jahren steht die GKV jedoch vor großen finanziellen Herausforderungen. Die Gründe hierfür sind die demographische Entwicklung, teure medizinische Innovationen, ineffiziente Versorgungsstrukturen, staatliche Rückgriffe auf Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen und die manifeste Profit-Orientierung im Gesundheitswesen. Auch die seit den Hartz-Gesetzen begründete Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen sorgt für niedrigere Beitragseinnahmen der GKV.

Auf diese schon lange absehbaren Herausforderungen haben die vergangenen Regierungen nur unzureichend reagiert. Aber nicht nur, dass sie nicht reagiert haben, es gab in den vergangenen Legislaturperioden eine Vielzahl an Gesetzen, die die Gesundheitsversorgung zwar teurer, aber nicht besser gemacht haben. Eines dieser Vorhaben war die Einführung einer sogenannten Neupatientenregelung im Jahr 2019. Durch eine Zusatzvergütung sollten für Praxen finanzielle Anreize geschaffen werden, neue Patient*innen aufzunehmen. Dadurch sollte die Wartezeit auf Haus- und Facharzttermine reduziert werden. Dieser Effekt konnte jedoch nie nachgewiesen werden, stattdessen bedeutete diese Regelung jedoch Zusatzkosten von ca. einer halben Milliarde Euro pro Jahr für die Kassen und wurde folgerichtig im vergangenen Jahr wieder abgeschafft.

Ein weiteres prominentes Beispiel ist die von 2004 bis 2013 etablierte Praxisgebühr, mit der einige Unionspolitiker aktuell wieder liebäugeln. Diese Gebühr sollte dazu dienen, die Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren, indem Patient*innen ein Negativanreiz gesetzt wurde, angeblich unnötige Arztbesuche zu vermeiden. Dieser Versuch scheiterte kläglich, da die Gebühr zwar Menschen mit geringen- und mittleren Einkommen finanziell stark belastete, gleichzeitig aber keinen signifikanten Einfluss auf die Gesamtzahl der Arztbesuche hatte und folgerichtig 2013 wieder abgeschafft wurde. Dass Menschen mit geringerem Einkommen öfter krank sind und dementsprechend öfter ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen müssen, als obere Einkommensschichten, zeigt, wie realitätsfremd und unsozial der Aufguss dieser alten Forderung ist.

Das gleiche Bild zeigt sich, wenn man die Folgen von Ausgliederungen aus dem Leistungskatalog oder Zuzahlungen für notwendige medizinische Leistungen untersucht, die ebenfalls in regelmäßigen Abständen gefordert werden. Finanzielle Zugangsbarrieren belasten niedrige und mittlere Einkommensgruppen immens oder halten sie von wichtigen Behandlungen und Präventionsleistungen ab. Wenn ärztliche Untersuchungen und Behandlungen jedoch aus Angst vor den damit verbundenen Kosten nicht oder zu spät durchgeführt werden, dann verschlimmern sich oftmals Beschwerden und die langfristigen Gesundheitskosten steigen. Schließlich werden die Menschen nicht seltener krank oder sind gesünder, nur weil Sozialleistungen gekürzt werden. Und auch wenn wir alle unsere Zähne gründlich putzen, werden wir dennoch immer mal wieder auf Zahnbehandlungen angewiesen sein.

Es muss allen klar sein: Ausgliederungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen sind nichts anderes als eine Verteilung von unten nach oben. Sie entlasten Arbeitgeber auf Kosten ihrer Beschäftigten. Diese müssen dann die gestrichenen Gesundheitsleistungen komplett aus eigener Tasche zahlen – oder nehmen einen schlechteren Gesundheitsstatus in Kauf.

Mehr Solidarität statt Sozialabbau

Ungeachtet dieser Szenarien sorgt die erneute Erhöhung der Zusatzbeiträge vieler Krankenkassen seit Jahresbeginn bereits jetzt dafür, dass nahezu alle Beschäftigten am Ende des Monats weniger im Portemonnaie hat. Die künstliche Verknappung von Haushaltsmitteln durch strikte Einhaltung der Schuldenbremse darf nicht länger als Argument für politische Untätigkeit herhalten. Stattdessen muss der Bund endlich ausreichende Beiträge für Bürgergeld-Bezieher*innen zahlen - aktuell fehlen den Krankenkassen dadurch jährlich über 10 Milliarden Euro. Zudem ist der Steuerzuschuss des Bundes an den Gesundheitsfonds so zu gestalten, dass er die tatsächlich entstehenden Aufwendungen vollständig abdeckt.

Der Staat hat bereits in der Vergangenheit die Finanzsituation der Krankenkassen künstlich verschlechtert und sich an den Geldern der Versicherten und ihrer Arbeitgeber bedient, indem der Gesetzgeber zweimal auf die Rücklagen aus Beiträgen bei den Krankenkassen zugegriffen und somit auch den finanziellen Puffer für konjunkturelle Schwankungen nahezu beseitigt hat.

Um unsere umlagefinanzierten Sozialsysteme langfristig zu stabilisieren und auf die beschriebenen Herausforderungen adäquat reagieren zu können, ist die Stärkung des Solidaritätsprinzip entscheidend. Denn so lange Vermögende, Besserverdienende, Beamt*innen und Selbstständige sich in der PKV versichern können, fehlen sie der Solidargemeinschaft gleich doppelt: Einerseits als starke Beitragszahler*innen, andererseits als geringere Risikoträger*innen. Diese Bevölkerungsgruppen müssen langfristig auch Teil der Solidargemeinschaft der GKV werden. Auch dürfen sowohl die Beitragsbemessungsgrenze als auch die Versicherungspflichtgrenze nicht dauerhaft in Stein gemeißelt sein, sondern müssen schrittweise angepasst werden. Langfristig ist zusätzlich die schrittweise Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer solidarischen Bürgerversicherung, in der alle Bürgerinnen versichert sind, unausweichlich. Das sieht zumindest die Mehrheit der Bevölkerung so: In einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) im vergangenen Jahr stimmten nicht nur 76 Prozent der gesetzlich Versicherten, sondern auch bemerkenswerte 48 Prozent der Privatversicherten der Aussage zu, dass in Zukunft die gesamte Bevölkerung in der GKV versichert sein sollte. Die Zeit scheint reif für mehr Solidarität.


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