Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (PUEG) der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Stellungnahme10. Mai 2024
Datei herunterladenFrauen müssen in der Arbeitswelt noch immer hohe Hürden überwinden. Das macht die eigenständige Existenzsicherung der meisten Frauen fast unmöglich. Das wollen wir ändern.
Frauen arbeiten viel. Aber viel zu oft unbezahlt, wenn sie sich um Kinder und Pflegebedürftige kümmern oder den Haushalt stemmen. Häufig viel zu schlecht bezahlt, vor allem in den frauendominierten sozialen und personennahen Dienstleistungen, in Teilzeit und in geringfügiger Beschäftigung. Und viel zu selten in Leitungsfunktionen, als Schichtführerin, Filialleiterin, Oberärztin oder Geschäftsführerin. Das muss sich ändern, damit Frauen ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.
Die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt lässt sich messen anhand der Lücken, die beim Vergleich mit dem Status ihrer männlichen Kollegen entstehen: Die Arbeitszeitlücke ergibt sich, weil Frauen sowohl im Wochendurchschnitt als auch im Lebensverlauf weniger Stunden erwerbstätig sind als Männer. Die Entgeltlücke (auch Gender Pay Gap genannt) belegt, wie groß der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von Frauen und Männern ist. Und an der Rentenlücke, häufig auch als Gender Pension Gap bezeichnet, lässt sich ablesen, dass die Benachteiligung über den Lebensverlauf hinweg auch zu einer durchschnittlich geringeren Alterssicherung führen.
Eine der wichtigsten Ursachen für die mangelnde Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt ist die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern. Während Frauen und vor allem Mütter den Löwenanteil der Haus- und Familienarbeit leisten, konzentrieren sich Männer auf ihre berufliche Tätigkeit. Mit der Folge, dass bei den meisten Paaren mit Kindern der Mann in Vollzeit erwerbstätig ist, während die Frau in (geringfügiger) Teilzeit “hinzuverdient”. Obwohl diese ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit nicht dem Wunsch vieler Paare entspricht, folgen sie überholten Rollenbildern und widersprüchlichen staatlichen Anreizen, die dieses Lebensmodell ökonomisch sinnvoll erscheinen lassen. Dabei nehmen sie in Kauf, dass die meisten Frauen bei Verlust des Partners weder sich noch ihre Kinder eigenständig absichern können – und dass Männer in der Rolle des Familienernährers gefangen bleiben.
Das wollen wir ändern. Wir als DGB wollen, dass Frauen wirtschaftlich unabhängig sein können, auch wenn sie Mütter sind oder Angehörige pflegen. Und wir wollen, dass Väter sich gleichberechtigt in die Familienarbeit einbringen.
Die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen durch eine gleichberechtigte Teilhabe im Erwerbsleben zu ermöglichen, ist ein zentrales Ziel von uns und unseren Mitgliedsgewerkschaften. Wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeutet, jetzt und in Zukunft mit dem eigenen Gehalt für sich selbst sorgen zu können – unabhängig von Angehörigen (wie dem Ehepartner) oder staatlichen Transferleistungen (wie dem Bürgergeld). Voraussetzung dafür ist ein existenzsicherndes Einkommen, mit dem Miete und Nebenkosten, Versicherungsbeiträge, Ausgaben für Lebensmittel, Freizeitaktivitäten und Altersvorsorge gedeckt werden können.
Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist deshalb so wichtig, weil sie die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist. Die meisten Frauen in Deutschland sind allerdings von echter wirtschaftlicher Unabhängigkeit weit entfernt. Das zeigt unsere Analyse: 4 von 10 Frauen können trotz Erwerbstätigkeit mit ihrem eigenen Erwerbseinkommen nicht den unmittelbaren Bedarf für sich selbst decken. Über 60 Prozent der Frauen können mit ihrem Einkommen nicht langfristig für sich vorsorgen. Die Ergebnisse sind alarmierend, denn die Folgen wirtschaftlicher Abhängigkeit sind gravierend: Sie bedeuten für die betroffenen Frauen eine mangelnde soziale Absicherung über den Lebensverlauf hinweg und ein hohes Risiko für Altersarmut.
Dass viele Frauen keine existenzsichernde Beschäftigung haben, ist Folge ihrer strukturellen Benachteiligung im Erwerbleben. Sie zeigt sich an vielen Stellen: Frauen sind in der Woche durchschnittlich 7,4 Stunden weniger erwerbstätig als Männer. Fast jede 2. Frau ist in Teilzeit beschäftigt. In der Folge verdienen Frauen weniger – der Gender Pay Gap liegt in Deutschland aktuell bei 18 Prozent – und haben schlechtere Aufstiegschancen. Hinzu kommt: In frauendominierten, häufig systemrelevanten Berufen sind die Verdienste oft niedriger als in Berufen mit einem hohen Männeranteil – trotz vergleichbaren Anforderungsniveaus.
Für Kindererziehung, Pflege, Hausarbeit und Ehrenamt wenden Frauen dagegen 11 Stunden pro Woche mehr auf als Männer. Das sind rund 90 Minuten täglich. Diese ungleiche Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen führt dazu, dass Frauen weniger Zeit auf Erwerbsarbeit verwenden können. Und je weniger Frauen über den gesamten Lebenslauf hinweg am Erwerbsleben teilnehmen, desto größer ist ihre wirtschaftliche Abhängigkeit – mit allen daraus resultierenden Folgen.
Damit Frauen wirtschaftlich unabhängig sein können, müssen sie gleichberechtigt am Erwerbsleben teilhaben können. Bundesregierung und Arbeitgeber müssen dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das bedeutet konkret: Unbezahlte Sorgearbeit muss umverteilt und die Betreuungsinfrastruktur ausgebaut werden, Beruf und Familie müssen besser miteinander vereinbar und Löhne existenzsichernd sein. Genau dafür kämpfen wir als Gewerkschaften!
Ein eigenes Einkommen bedeutet Existenzsicherung und finanzielle Unabhängigkeit. Die weit überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland ist dafür auf Erwerbsarbeit angewiesen. Die Zeit, die für Erwerbsarbeit eingesetzt wird, beeinflusst die zeitlichen Spielräume und Möglichkeiten, Beruf, Familie, Verantwortung in der Pflege von Angehörigen, politisches und ehrenamtliches Engagement, persönliche Interessen und Regeneration in Einklang zu bringen.
Überkommene Rollenerwartungen und Strukturen bestimmen bis heute meist die Lebens- und Erwerbsgestaltung von Männern und Frauen, auch wenn Rollenstereotype zunehmend in Frage gestellt und neue Formen des Miteinander-Lebens und der Verantwortungsübernahme ausprobiert werden.
Als Familienernährer übernehmen Männer noch immer häufig die finanzielle Verantwortung für sich und andere – wenn auch in der Regel nicht mehr als alleinige Familienernährer, sondern in einem „modernisierten Ernährermodell“. Bei diesem ist der Vater vollzeit- und die Mutter teilzeiterwerbstätig. Dieses Modell wird häufig fortgesetzt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und Unterstützung und Pflegeaufgaben für die ältere Generation im familialen Alltag eine immer größere Rolle spielen. Im Gegensatz zur finanziellen Verantwortungsübernahme durch bezahlte Erwerbsarbeit ist die soziale Verantwortungsübernahme in Form von Sorge- und Hausarbeit – die sogenannte Reproduktionsarbeit – unbezahlt. Reproduktionsarbeit ist die Voraussetzung für Erwerbsarbeit, für die Reproduktion der Arbeitskraft und die Erwirtschaftung von Gewinnen. Sie ist gesellschaftlich notwendige Arbeit.
Deshalb muss beim Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit die unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zwingend in die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Betrachtungen einbezogen werden, denn Sorgearbeit ist zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt: Frauen verrichten im Durchschnitt täglich rund 90 Minuten mehr Sorgearbeit – und wenden damit mehr als anderthalbmal so viel Zeit dafür auf wie Männer. Die Lücke in Bezug auf unbezahlte Sorgearbeit – der sogenannte „Gender Care Gap“ – zwischen Männern und Frauen beträgt 52 Prozent.
Die gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen verhindern, dass Männer und Frauen gleichermaßen in die Lage versetzt werden, im Lebensverlauf Erwerbs- und Reproduktionsarbeit nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Gleiche Chancen auf wirtschaftliche Eigenständigkeit und Existenzsicherung sind in der deutschen Gesellschaft nicht verwirklicht.
Für Frauen sind die ökonomischen und sozialen Folgen der geschlechtlichen Arbeitszeitverteilung – Einkommensverluste, eingeschränkte berufliche Perspektiven, unzureichende soziale Absicherung von Lebensrisiken und im Alter – schwerwiegend: Sie verhindern deren selbstbestimmte Erwerbs- und Lebensgestaltung.
Männern fehlen in ihrer Rolle als Allein- oder Hauptverdiener des Familienunterhalts häufig Raum und Zeit für Sorge-, Hausarbeit und Pflege. Dort, wo sie ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren, um mehr Aufgaben in der Familie zu übernehmen, stoßen sie häufig immer noch auf Unverständnis, Spott und Widerstand. Rollenstereotype und gesellschaftliche Erwartungen behindern auch ihren selbstbestimmten Lebensentwurf.
Gesellschaftlich zeigen sich die Konsequenzen der ungleichen Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern in der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, von beruflichen Positionen und von politischer und ökonomischer Macht.
Das muss sich ändern! Das Recht auf Sorge-, Pflege- und Hausarbeit und das Recht auf Erwerbsarbeit ohne Überforderung muss für alle gelten – ohne Unterschied des Geschlechts, der Herkunft oder des sozialen Status.
Die Entgeltlücke – auch Gender Pay Gap genannt – liegt in Deutschland aktuell bei 18 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnittswert von 13 Prozent. Für 2023 berechnete das Statistische Bundesamt einen Verdienstabstand von 4,46 Euro/Stunde (brutto) zwischen Männern und Frauen.
Politischer Aktionstag ist der Equal Pay Day. Dieser symbolisiert den Tag, bis zu dem Frauen über das Ende des Vorjahres hinaus arbeiten müssen, um die gleiche Lohnsumme wie Männer zu erreichen.
Bemerkenswert ist der unterschiedliche Gender Pay Gap in West- und Ostdeutschland. Die Differenz reicht von 22 Prozent in Baden-Württemberg bis zu 7 Prozent in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Der größte Teil der Entgeltlücke von derzeit 18 Prozent lässt sich durch verschiedene Ursachen zwar erklären, aber nicht rechtfertigen. Daneben existiert noch ein unerklärter Rest von 6 Prozent, der als bereinigter Gender Pay Gap bezeichnet wird.
Treiber der Entgeltlücke ist die schlechtere Bezahlung in frauendominierten Berufen und Branchen. Hinzu kommen die niedrigeren Erwerbsarbeitszeiten von Frauen, die 7,4 Wochenstunden unterhalb der von Männern liegen. Darüber hinaus erklären der geringere Anteil von Frauen in Leitungs- und Führungspositionen und die weniger umfangreiche Berufserfahrung den Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern.
Zur Reduzierung der Entgeltlücke haben Einführung und stetige Erhöhung des Mindestlohns beigetragen, da Frauen überproportional häufig im Niedriglohnsektor arbeiten.
Kernelemente des Entgelttransparenzgesetzes sind ein individueller Auskunftsanspruch für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten, die Aufforderung an Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten zur Durchführung betrieblicher Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit, sowie Berichtspflichten für Arbeitgeber zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit.
In unserer Stellungnahme zur Zweiten Evaluation bekräftigen wir als DGB unsere Kritik an der Ausgestaltung des Entgelttransparenzgesetzes. Denn sowohl die fehlende Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Prüfverfahrens als auch die praxisuntaugliche Ausgestaltung des individuellen Auskunftsanspruches haben zur Folge, dass das Gesetz nahezu wirkungslos ist – und darüber hinaus weitegehen unbekannt.
Seit der Verabschiedung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie steht deren Umsetzung bis Sommer 2026 an. Die Vorgaben der Richtlinie sehen u.a. aussagekräftige Berichtspflichten und die Anwendung von Prüfverfahren vor, so dass die Voraussetzung zur Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes hin zu einem effektiven Gesetz gegeben ist.
In der Arbeitswelt äußert sich Sexismus in Form von Benachteiligung auf ganz unterschiedliche Weise, zum Bespiel durch ungleiche Leistungsbewertung, unterschiedliche Löhne, fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus erleben Frauen Sexismus häufig in Form herabwürdigenden Verhaltens, sind sexistischen Kommentaren ausgesetzt oder anderen Grenzüberschreitungen. All dies sind Formen der Machtausübung, die zumeist Frauen einschüchtern und buchstäblich “an ihren Platz” verweisen sollen. Sexualisierte Belästigung beginnt also nicht erst bei körperlich übergriffigem Verhalten, Sie hat massive Folgen für die Betroffenen.
Auch nach #metoo ist sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz noch immer ein Tabuthema, über das ungern gesprochen wird. Das führt oft dazu, dass Betroffene nicht wissen, wie sie mit Belästigung umgehen und an wen sie sich wenden können. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind zudem davon abhängig, in welchen (betrieblichen) Abhängigkeitsverhältnissen sie arbeiten und welche psychischen und beruflichen Folgen die Belästigung für sie hat.
Sexualisierte Belästigung findet überall statt, Beschäftigte mit Kundenkontakt sind jedoch besonders häufig betroffen, z. B. in Gesundheitsberufen, im Gastgewerbe, im öffentlichen Dienst. Auch die Hierarchiestufe spielt eine große Rolle: Auszubildende, Praktikant*innen und Berufseinsteiger*innen sind in einer besonders verletzlichen Situation, da sie in anderem Maße abhängig von Arbeitgeber*in, Führungskräften und älteren Kolleg*innen sind.
Oft wird Betroffenen unterstellt, zu empfindlich zu sein. Doch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert: Sexuelle Belästigung ist ein "unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird“ (§3 Absatz 4 AGG). Es definiert sexuelle Belästigung als verbale, non-verbale und physische Übergriffe – und zwar ausdrücklich auch gemessen am subjektiven Empfinden der belästigten Person. Entscheidend ist, ob die Würde dieser Person verletzt wird. Es geht also nicht darum, welche Absicht hinter einem Verhalten steht, sondern was das Verhalten bei der betroffenen Person bewirkt. Wenn diese sich herabgesetzt, bedrängt und erniedrigt fühlt, ist das eine Form von sexualisierter Belästigung. Das fängt bei Fragen zum Beziehungsstatus im Vorstellungsgespräch an, geht über Kommentare zum Aussehen bis hin zu Blicken, Pfiffen oder ungewolltem körperlichem Kontakt.
Sexualisierte Belästigung erkennt man daran, dass die betroffene Person sich unwohl fühlt und ihre Grenzen überschritten sieht. Das kann für jede Person unterschiedlich sein. Ein Flirt unterscheidet sich davon, denn ein Flirt zeichnet sich dadurch aus, dass beide Beteiligte einverstanden sind. Dies ist bei sexuellen Anspielungen oder unangemessenen Berührungen nicht der Fall. Sexualisierte Belästigung ist immer ein Ausdruck von Macht, Flirten nicht.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und schützt Beschäftigte und Auszubildende. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass alle Beschäftigten in einem respektvollen Arbeitsumfeld arbeiten können. Sie müssen Bedingungen schaffen, die Betroffene ermutigen, Belästigung am Arbeitsplatz anzusprechen. Betroffenen die Verantwortung zuzuweisen, ist jedoch falsch. Das AGG regelt klare Präventions- und Interventionspflichten für Arbeitgeber, u.a. müssen sie eine Beschwerdestelle für sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz einrichten. Jedoch werden Maßnahmen zum Schutz vor Belästigung kaum in der Praxis umgesetzt. Und der Rechtsweg wird seitens Betroffener äußerst selten beschritten, weil Gerichtsverfahren mit hohen Belastungen verbunden sind.
Wir fordern die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG!
10. Mai 2024
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