DGB-Stellungnahme zum Entwurf des Bundeshaushalts 2025, Finanzplans und Wirtschaftsplans des Klima- und Transformationsfonds
Stellungnahme02. September 2024
Datei herunterladenWo von Arbeitnehmer*innen die Rede ist, sind immer auch Familien betroffen. Familien sind so vielfältig wie das Leben selbst, aber immer geht es um Menschen.
Politik für Arbeitnehmer*innen ist immer auch Politik für Familien, denn Arbeitnehmer*innen bewegen sich in familialen und sozialen Kontexten. Gewerkschaften streiten für gute, sozial abgesicherte Arbeitsplätze und sichere Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer*innen und ihre Familien. Gewerkschaften setzen sich ein für gute Arbeit, die die Gesundheit der Beschäftigten schützt als Individuum und als Mitglied in familialen und sozialen Zusammenhängen, die Sorgeverantwortung tragen. Als Tarifpartner verhandeln Gewerkschaften u. a. Löhne und Gehälter, denn es geht um die Existenzsicherung der Beschäftigten und im familialen Zusammenhang um diejenige ihrer Kinder.
Für Arbeitnehmer*innen ist Erwerbsarbeit Grundlage der Existenzsicherung. Fast alle tragen auch Sorgeverantwortung. Beides – die Arbeit im Job und die Arbeit zuhause – braucht Zeit und beides geht mit Anforderungen an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einher. Dabei geht es nicht nur um die Zeit, die Arbeitnehmer*innen für die Betreuung, Erziehung und Sorge der Kinder benötigen. Ein offenes Ohr, Zuwendung und Geborgenheit brauchen auch die Jugendlichen und Heranwachsenden. Familie, das ist die Sorge für Kinder mit körperlichen oder intellektuellen Einschränkungen, die Unterstützung der Älterwerdenden und die Pflege der Hochaltrigen. Das Sich-Kümmern, die Übernahme von Sorgeverantwortung und die Erledigung alltäglicher Aufgaben im Haushalt setzt dem Zeitbudget, das Arbeitnehmer*innen für den Erwerb ihres Lebensunterhalts einbringen können, Grenzen. Deshalb ist es entscheidend, dass familiale Anforderungen gerecht auf Männer und Frauen verteilt werden, damit die wirtschaftlichen, finanziellen und beruflichen Risiken, die mit der Übernahme der unbezahlten, aber gesellschaftlich notwendigen Arbeit einhergehen, auf alle Schultern verteilt werden.
Das ist gleichstellungs- und familienpolitisch von Bedeutung und findet seinen Ausdruck in der Bezeichnung gleichstellungsorientierte Familienpolitik.
Die meisten Arbeitnehmer*innen wollen beides: Beruf und Familie – dazwischen passt kein “Oder"! Doch die Bedürfnisse und Bedarfe von Familien in all ihrer Vielfalt mit den Anforderungen am Arbeitsplatz und eigenen beruflichen Zielen unter einen Hut zu bekommen, ist für viele Arbeitnehmer*innen eine ständige Herausforderung.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie heißt, dass Menschen, die Sorgeverantwortung tragen, die Möglichkeit haben, den beruflichen Anforderungen bei der Erwerbsarbeit nachzukommen, berufliche Ziele zu verfolgen und gleichzeitig Sorgeaufgaben wahrzunehmen und für die Familie da zu sein. Erwerbstätige Väter und Mütter, pflegende Angehörige, Freundinnen, Nahestehende und Nachbarn brauchen vor allem Zeitsouveränität: Verlässlichkeit und familienbewusste Flexibilität sind die Eckpfeiler; familienbewusste Arbeitszeiten, Gleitzeitmodelle, familiengerechte Schichtmodelle, Arbeiten von Zuhause, Mitspracherechte bei Dauer, Verteilung und Rhythmus der Arbeitszeiten die Instrumente, mehr Zeitsouveränität zu ermöglichen.
Familien brauchen auch Unterstützung in Form bedarfsgerechter, qualitativ guter öffentlicher Angebote der (frühkindlichen) Bildung und Betreuung, auch für Kinder im Grundschulalter, Betreuungsangebote in Rand- und Ferienzeiten, passgenaue Einrichtungen der Pflegeinfrastruktur wie Tages-, Nacht- oder Kurzzeitpflegeangebote, Möglichkeiten der kurzfristigen Übernahme von Sorgeverantwortung in Not-, akuten Krankheits- oder Pflegefällen und die öffentliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen.
Zeit–Geld–Infrastruktur. Familien in all ihrer Vielfalt müssen mit allen 3 Komponenten gut ausgestattet sein. Das Paradigma der Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss im Zentrum der Familienpolitik stehen. Dafür muss ein widerspruchsfreier Rechtsrahmen geschaffen und strukturelle Benachteiligungen aufgrund geschlechterspezifischer Rollenerwartungen müssen abgebaut werden.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kein “Frauending”. Sie betrifft Frauen, Männer und andere Geschlechtsidentitäten gleichermaßen. Deshalb müssen die strukturellen Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft und familienpolitische Maßnahmen gleichstellungsorientiert und so gestaltet sein, dass überkommene Rollenmodelle aufgebrochen werden. Dafür müssen Anreize gesetzt werden, die Perspektiven verändern, eingeübte Verhaltensweisen aufbrechen und die dazu beitragen, dass Frauen und Männer Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich teilen.
Geschlechterperspektive in die Arbeitszeitdebatte integrieren
Die politische Debatte über Volumen und Gestaltung von Arbeitszeiten ist konsequent um die Geschlechterperspektive zu ergänzen.
Mitspracherechte bei Arbeitszeitfragen schaffen
Wir fordern einen Rechtsanspruch der Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber auf Änderung von Dauer und Verteilung der vertraglichen Arbeitszeit sowie auf Wahl des Arbeitsortes.
Familiengerechte Arbeits(zeit)arrangements ermöglichen
Es müssen Arbeits(zeit)arrangements erleichtert werden, die den beruflichen Wiedereinstieg nach Erwerbsunterbrechung im Sinne gemeinsamer partnerschaftlicher Verantwortungsübernahme für das Familieneinkommen und die familialen Aufgaben erleichtern.
Elterngeld progressiv weiterentwickeln
Das Elterngeld muss progressiv weiterentwickelt werden, so dass die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern gewährleistet ist und Haus- und Sorgearbeit auch in männlichen Lebensverläufen Eingang finden.
Einführung einer Entgeltersatzleistung für pflegende Beschäftigte
Eine Entgeltersatzleistung für Beschäftigte, die zugunsten einer Pflegetätigkeit ihre Arbeitszeit reduzieren oder ihre Erwerbstätigkeit vorübergehend aussetzen, sollen Einkommensverluste zumindest teilweise kompensieren.
Kindergrundsicherung
Als echte Reform der Familienförderung muss die Kindergrundsicherung wirkmächtig sein und die konstant hohe Armut von Kindern und Jugendlichen effektiv bekämpfen.
Unterhaltsrecht muss Lebensrealitäten gerecht werden
Das Unterhaltsrecht muss die gelebten Realitäten in Paarbeziehungen berücksichtigen, und die Verteilung der Lasten in Trennungsfamilien sich an der Arbeitsteilung in der vorangegangenen Paarfamilie orientieren.
Kinderbetreuungseinrichtungen müssen so ausgebaut werden, dass sie
– den Bedarf decken,
– Betreuungszeiten anbieten, die den Eltern eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit mit angemessenen Arbeitszeiten inklusive Wegezeiten auch im ländlichen Raum ermöglichen,
– gut erreichbar sind und
– mittelfristig bundesweit kostenfrei in Anspruch genommen werden können.
Ausbau der Ganztagsschulen
Das Angebot an Ganztagsschulen muss zügig ausgebaut und durch bedarfsdeckende und kindeswohlorientierte Angebote für Ferienbetreuung sowie für die Betreuung von Kindern von Arbeitnehmer*innen, die Schichtarbeit leisten.
Sozialräume für Jugendliche und junge Erwachsene ausbauen
Freizeit-, Beratungs- und Hilfeeinrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene müssen infrastrukturell und personell ausgebaut und deren nachhaltige Finanzierung sichergestellt werden.
Öffentliche Pflegeinfrastruktur ausbauen
Professionelle Unterstützungs- und Entlastungsangebote müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden, damit jeder Pflegehaushalt auf öffentlich bereitgestellte und aufeinander abgestimmte Hilfen und Strukturen zugreifen kann.
Unbezahlte Sorgearbeit ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Familie. Sie umfasst die Betreuung und Versorgung der Kinder, die Unterstützung der Älteren und die Pflege der Hochaltrigen, die Arbeit im Haushalt, die Planung und Koordination von Terminen und das offene Ohr für Sorgen. Unbezahlte Arbeit ist kein Liebesdienst. Es ist Arbeit, die täglich anfällt und ohne deren Verrichtung weder die gesellschaftliche Reproduktion noch diejenige der Arbeitskraft der Beschäftigten für die Verrichtung bezahlter Erwerbsarbeit und der Gewinnerwirtschaftung von Unternehmen stattfinden.
Deshalb muss beim Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit die unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zwingend in die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Betrachtungen einbezogen werden, denn Sorgearbeit ist zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt.
Frauen verrichten im Durchschnitt 1 Stunde und 17 Minuten mehr unbezahlte Arbeit pro Tag, rund 9 Stunden im Wochendurchschnitt, als Männer. Das entspricht einem Gender Care Gap von rund 44 Prozent.
Fast die Hälfte der unbezahlten Arbeit sind Tätigkeiten der klassischen Hausarbeit wie Kochen, Putzen und Wäsche waschen. Fast zwei Stunden pro Tag, mehr als 13 Stunden pro Woche wenden Frauen im Durchschnitt dafür auf. Männer verbringen mit weniger als 1 Stunde pro Tag und knapp 6,5 Stunden pro Woche nur halb so viel Zeit damit.
Die gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen verhindern, dass Männer und Frauen gleichermaßen in die Lage versetzt werden, im Lebensverlauf Erwerbs- und Reproduktionsarbeit nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Gleiche Chancen auf wirtschaftliche Eigenständigkeit und Existenzsicherung sind in der deutschen Gesellschaft nicht verwirklicht.
Für Frauen sind die ökonomischen und sozialen Folgen der geschlechtlichen Arbeitszeitverteilung – Einkommensverluste, eingeschränkte berufliche Perspektiven, unzureichende soziale Absicherung von Lebensrisiken und im Alter – schwerwiegend: Sie verhindern deren selbstbestimmte Erwerbs- und Lebensgestaltung.
Männern fehlen in ihrer Rolle als Allein- oder Hauptverdiener des Familienunterhalts häufig Raum und Zeit für Sorge- und Hausarbeit und Pflege. Dort, wo sie ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren, um mehr Aufgaben in der Familie zu übernehmen, stoßen sie immer noch auf Unverständnis, Spott und Widerstand. Rollenstereotype und gesellschaftliche Erwartungen behindern auch ihren selbstbestimmten Lebensentwurf.
Gesellschaftlich zeigen sich die Konsequenzen der ungleichen Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern in der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, von beruflichen Positionen und von politischer und ökonomischer Macht.
Das muss sich ändern! Das Recht auf Sorge-, Pflege- und Hausarbeit und das Recht auf Erwerbsarbeit ohne Überforderung muss für alle gelten – ohne Unterschied des Geschlechts, der Herkunft oder des sozialen Status.
Gender Care Gap schließen
Unbezahlte Reproduktionsarbeit muss zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt sein. Deshalb muss die geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit gefördert und darauf hingewirkt werden, dass sich die Sorgelücke schließt.
Geschlechterspezifische Arbeitsteilung überwinden
Die überkommene geschlechterspezifische Arbeitsteilung, die sich im Alleinverdiener-Modell manifestiert, muss überwunden und bewusst und aktiv zugunsten eines Erwerb-Sorge-Modells verändert werden.
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung für gesellschaftlich notwendige Arbeit stärken
Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die individuellen Risiken, die mit Phasen der Haus- und Sorgearbeit (Erwerbsunterbrechung/-reduzierung) im Lebensverlauf einhergehen, muss gestärkt werden.
Beschäftigte an Effizienzsteigerungen teilhaben lassen
Produktivitätssteigerungen und Rationalisierungsgewinne durch technischen Fortschritt müssen in Form kürzerer Arbeitszeiten an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergegeben werden.
Um den eigenen Lebensunterhalt und den von Kindern sicherzustellen, ist die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland auf Erwerbsarbeit angewiesen. Dabei entscheidet die Höhe des individuell erzielten Einkommens darüber, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus eigener Kraft ihre Existenz sichern können – unabhängig von der Haushaltskonstellation, in der sie leben.
Was Männern fast immer gelingt, lässt viele Frauen scheitern: Aus ihrem eigenen Einkommen können sie häufig nicht einmal ihren eigenen unmittelbaren Bedarf decken, geschweige denn den eines oder mehrerer Kinder. Finanzielle Vorsorge für Zeiten ohne eigenes Einkommen und die Alterssicherung steht im Erwerbsverlauf vieler Frauen immer wieder auf dem Spiel.
Die unterschiedliche Zeitverwendung für bezahlte und unbezahlte Arbeit bei Männern und Frauen – der Gender Care, und auf der Seite der Erwerbsarbeit der Gender Hours Gap – ist ein wesentlicher Grund für die ungleich verteilten wirtschaftlichen Risiken, die Männer und Frauen in ihrem Erwerbsverlauf und darüber hinaus tragen.
Die Entgeltlücke – der Gender Pay Gap – trägt sein Übriges dazu bei. Sie liegt in Deutschland derzeit bei 18 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnittswert von 13 Prozent. Für 2023 berechnete das Statistische Bundesamt einen Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen von brutto 4,46 Euro pro Stunde. Zwar ist im langfristigen Vergleich der Gender Pay Gap um fünf Prozentpunkte gesunken: Zu Beginn der Messung im Jahr 2006 betrug er noch 23 Prozent. Seit 2020 allerdings stagniert er bei 18 Prozent.
Zwar lässt sich der größte Teil der Entgeltlücke durch die unterschiedliche Zeitverwendung von Männern und Frauen erklären – aber nicht rechtfertigen.
Ursachen sind darüber hinaus die schlechtere Bezahlung in frauendominierten Berufen und Branchen – hier ist die Bezahlung häufig schlechter als in den Berufsfeldern, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind –, die hohe Teilzeitquote von Frauen sowie der geringere Anteil von Frauen in Leitungs- und Führungspositionen.
Die Unterschiede, die sich aufgrund des deutlich höheren Anteils an Sorge- und Hausarbeit, den Frauen leisten, auf dem Arbeitsmarkt manifestieren, hat das Statistische Bundesamt im Gender Gap Arbeitsmarkt zusammengeführt. Er berücksichtigt Unterschiede in den Bruttostundenverdiensten, der Arbeitszeit und der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern und zeigt, dass Frauen weniger pro Stunde verdienen, häufiger in Teilzeit arbeiten und seltener überhaupt am Erwerbsleben teilnehmen. 2023 betrug der Gender Gap Arbeitsmarkt 39 Prozent.
Dabei erweist sich die Familiengründungsphase als besonders sensibel für Veränderungen des Erwerbsverhaltens bei Frauen: Während Frauen mit der Geburt eines Kindes häufig ihre Arbeitszeit reduzieren, weiten viele Männer ihre Arbeitszeit aus. Mit 23 Prozent fällt der Gender Hours Gap bei Personen im Alter zwischen 39 und 41 Jahren am höchsten aus.
Bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammendenken
Der Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit muss geweitet und Erwerbs- und Sorgearbeit müssen zusammengedacht werden.
Erwerbs- und Sorgearbeit gerecht verteilen
Bezahlte Erwerbs- und unbezahlte Reproduktionsarbeit müssen gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Dafür muss der rechtliche Rahmen so gestaltet werden, dass die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben gewährleistet ist und die gesellschaftlich notwendige Reproduktionsarbeit sich auch im männlichen Lebensverlauf widerspiegelt.
Tarifbindung stärken
Die Tarifbindung muss gestärkt werden, denn Frauen verdienen in tarifgebundenen Unternehmen deutlich mehr als Frauen in Unternehmen ohne Tarifbindung.
Frauendominierte Berufe aufwerten
In den frauendominierten Berufen, insbesondere in den systemrelevanten Bereichen des Gesundheits- und Erziehungswesens, müssen die Gehälter erhöht und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Entgelttransparenzgesetz weiterentwickeln
Unternehmen müssen verpflichtet werden, betriebliche Prüfverfahren durchzuführen, die unmittelbare und mittelbare Entgeltdiskriminierung sicher erkennen. Die Vorgaben der EU-Entgelttransparenzrichtlinie müssen zügig in nationales Recht umgesetzt werden.
Mindestlohn anheben
Einführung und stetige Erhöhung des Mindestlohns haben nachweislich zur Reduzierung der Entgeltlücke beigetragen. Der Mindestlohn muss weiter deutlich steigen.
Minijobs reformieren
Minijobs müssen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden, indem alle Arbeitsverhältnisse ab der ersten Arbeitsstunde sozial abgesichert werden.
In Deutschland leben trotz guter Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage viele Familien in Armut. Die Gründe sind vielfältig: Wenn die Eltern arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen oder im Niedriglohnbereich tätig sind, wenn ein Elternteil allein erzieht und wegen mangelnder Betreuungsmöglichkeiten in der Teilzeitfalle steckt, sind oft schon die Kleinsten davon betroffen.
Kinder sind arm, weil ihre Eltern arm sind. Dafür, dass Familien in Armut leben müssen, gibt es drei Hauptursachen. So führen zum einen niedrige Löhne der Eltern zu Armut. Deutschland hat einen erschreckend großen Niedriglohnsektor. Jede und jeder Fünfte arbeitet zu einem Niedriglohn. Das sind 7,2 Millionen Beschäftigte.
Zum anderen führt die Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile zu Kinderarmut ebenso wie die fehlende Möglichkeit, überhaupt arbeiten zu können, wie das bei Alleinerziehenden häufig der Fall ist – ganz überwiegend bei Frauen.
Zudem müssen familienpolitische Leistungen sicherstellen, dass das Zusammenleben mit einem Kind nicht zum Armutsrisiko wird. Derzeit sind viele Sozialleistungen für Familien zu niedrig und decken nicht die tatsächlichen Kosten für ein Kind. So liegen die Bürgergeld – Leistungen für Familien in allen Haushaltskonstellationen unter der offiziellen Armutsrisikogrenze.
Deshalb gilt: Alles, was für gute Arbeit der Eltern sorgt, schützt Kinder vor Kinderarmut.
Kinder vor Armut zu schützen, ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Aufgaben, denn: Kinderarmut hat gravierende und langfristige Folgen für das Leben armutsbetroffener Kinder.
Bildung: Arme Kinder haben es schwerer in der Schule: Ihnen fehlen ruhige Rückzugsorte zum Lernen, aber auch die technische Ausstattung wie Laptop oder Tablet. Arme Kinder nehmen seltener an Klassenfahrten und außerschulischen Bildungsangeboten teil. Gesundheit: Finanziell gut gestellte Eltern geben 10-mal mehr für Medikamente, Arztkosten und therapeutische Angebote für ihre Kinder aus als einkommensarme Familien.
Soziale Teilhabe: Arme Kinder sind weniger mobil: Ihnen fehlt das Geld für den ÖPNV, die Eltern haben kein Auto. Sie sind seltener in Vereinen und können weniger Hobbies nachgehen. Sie können seltener ins Schwimmbad, Eis essen, Schlittschuhlaufen oder ins Kino gehen.
Selbstwertgefühl: Arme Kinder müssen Strategien finden, um mit Stigmatisierung und Schamgefühl zurechtzukommen: Sie erfinden Ausreden oder melden sich krank und nehmen nicht teil, wenn ihnen Geld für Aktivitäten fehlt. Arme Kinder fühlen sich schon in jungen Jahren der Gesellschaft weniger zugehörig (Quelle Bertelsmann-Stiftung).
Das Risiko, in Armut zu leben, ist für alleinerziehende Familien in Deutschland von allen Familienformen am höchsten: 42 Prozent der Einelternfamilien gelten als einkommensarm. Alleinerziehenden gelingt es seltener, das Familieneinkommen aus eigener Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, weil sie prekär, in Teilzeit oder befristet beschäftigt sind oder im Sozialleistungsbezug. Der unterhaltspflichtige Elternteil zahlt häufig keinen, einen zu geringen oder nur unregelmäßig Kindesunterhalt.
Rund 1,4 Millionen Alleinerziehende in Deutschland stehen vor der gewaltigen Herausforderung, Verantwortung für Einkommen, Kinderbetreuung und Haushalt allein zu tragen. Ihr Alltag ist geprägt von anhaltender Mehrfachbelastung. Die Sorge, am Arbeitsplatz als unzureichend engagiert oder als „halbe Kraft“ angesehen zu werden, ist weit verbreitet. In beruflichen Situationen, die Flexibilität erfordern, lastet ein hoher psychischer Druck auf den Alleinerziehenden; den Anforderungen aufgrund familiärer Verpflichtungen können sie nur schwer gerecht werden. Oft stoßen sie an Grenzen, da Kindertagesstätten und Horte feste Öffnungszeiten haben, und Verspätungen missbilligt werden. Die anhaltende Mehrfachbelastung im Alltag, begrenzte Zeitressourcen und finanzielle Einschränkungen, die Phasen der Erholung nur als zusätzliche Herausforderung erscheinen lassen, können langfristig zu gesundheitlichen Problemen führen.
Die Familienförderung muss reformiert werden, weg von der Förderung über Steuern hin zu einer Förderung partnerschaftlich verteilter Sorge- und Hausarbeit. Das würde der wachsenden Vielfalt an Familienmodellen gerecht und das partnerschaftlichen Erwerb-Sorge-Modell stärken. Denn bis heute begünstigt das Ehegattensplitting die Hausfrauenehe mit dem überkommenen Modell geschlechterspezifischer Arbeitsteilung zulasten von Frauen mit negativen Auswirkungen auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die eigenständige Absicherung, vor allem im Alter. Das Splitting kostet den Staat fast 20 Milliarden Euro jährlich. In der öffentlichen Wahrnehmung wird es häufig als familienpolitische Leistung verstanden. Das ist es nicht. Denn seine Anwendung ist vollkommen unabhängig davon, ob Ehepaare Kinder haben. Von den Steuervorteilen des Ehegattensplittings profitieren nur Eheleute, nicht aber Familien, bei denen die Eltern nicht verheiratet oder die alleinerziehend sind.
Familienförderung muss sozial gerecht sein. Entscheidend ist, dass, Familien ihren Bedarfen entsprechend unterstützt, Familienformen in ihrer Vielfalt gestärkt, Kinderarmut vermieden und Partnerschaftlichkeit gefördert wird, um Familien unabhängig von der jeweiligen Familienkonstellation wirtschaftlich abzusichern.
Kindergrundsicherung einführen
Kinder brauchen eine gut gemachte Kindergrundsicherung, denn für alle Kinder muss genug Geld da sein für Frühstück, Schwimmbad und Sportverein.
Familien nach finanzieller Leistungsfähigkeit besteuern
Steuerpolitik muss so gestaltet sein, dass Steuerzahler*innen angemessen und nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit beteiligt und Beschäftigte und Familien entlastet werden.
Steuerklasse V abschaffen, Ehegattensplitting überwinden
Steuerhürden für die geschlechtergerechte Teilhabe am Arbeitsmarkt müssen beseitigt werden.
Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein
Die Privilegierung höherer Einkommen muss beendet werden, und der Steuervorteil aus Kinderfreibetrag und Kindergeld – bzw. zukünftig der Garantiebetrag der Kindergrundsicherung – muss gleich hoch sein.
Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen neu ermitteln
Der Geldbetrag, der für ein gutes Aufwachsen benötigt wird, muss grundlegend neu und anhand der spezifischen Ausgaben für Kinder ermittelt werden. Kindbezogene Leistungskomponenten wie beispielsweise das erhöhte Arbeitslosengeld für Eltern müssen überprüft und ggf. angepasst werden.
02. September 2024
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