Deutscher Gewerkschaftsbund

28.02.2023
Gesundheitspolitik

Ein erster Schritt zur mehr Versorgungssicherheit?

Vorschlag zur Reform der Notfall- und Akutversorgung

Die von Gesundheitsminister Lauterbach eingesetzte „Krankenhaus-Kommission“ hat sich nun in ihrer vierten Stellungnahme der Notfall- und Akutversorgung gewidmet. Und das aus gutem Grund: Seit Jahren sind die Notaufnahmen in deutschen Krankenhäusern massiv überfüllt und Personal chronisch überlastet. Patientinnen und Patienten müssen mitunter stundenlang warten, bis sie behandelt werden. Die Hauptgründe sind mangelndes Personal, schlechte technische Ausstattung und eine ineffiziente Steuerung der Behandlungsfälle.  

Personal in einem Krankenhausflur, unscharf, in blauem Licht

DGB/Yuriy Klochan/123rf.com

Vorschläge der „Krankenhaus-Kommission“

Der Personalmangel in der deutschen Notfallversorgung ist allgegenwärtig und hat fatale Folgen für die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten. Um trotz der Herausforderung des demographischen Wandels eine adäquate Versorgung, auch im ländlichen Bereich sicherstellen zu können, muss eine effizientere Steuerung der Behandlungsfälle ermöglicht werden. Daher schlägt die "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" eine umfassende Reformierung der Notfall- und Akutversorgung vor. Dafür soll die bisherige sektorale Trennung in drei Teilbereiche - Notaufnahmen der Kliniken, Notfallversorgung der Krankenversicherungen und Notfallrettung in ausschließlicher Zuständigkeit der Länder - überwunden werden. Die neuen Strukturen sollen eine "bedarfs- und zeitgerechte, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Notfallversorgung" für alle gewährleisten und Kliniken sowie medizinisches Personal entlasten.

Als ersten Schritt sollen dafür integrierte Leitstellen (ILS) künftig alle Anrufe der beiden Notrufnummern 116117 und 112 gemeinsam koordinieren. In der Leitstelle findet dann eine wissenschaftliche Ersteinschätzung statt, in welcher Struktur der/die Patient*in je nach spezifischem Bedarf weiterbehandelt werden soll. In den Leitstellen sollen zusätzlich rund um die Uhr erreichbare telemedizinische Beratungen in Form von Videosprechstunden eingerichtet werden, die mit online-Dolmetschdiensten kooperieren. Je nach schwere des Falles soll dann für den/die Patient*in entweder der Rettungsdienst angefordert oder aber in eine ambulante fachärztliche Behandlung weitervermittelt werden.

Als zweites zentrales Element der Reform sollen integrierte Notfallzentren (INZ) die bisherigen Strukturen der Notfallversorgung besser miteinander verbinden. Ein solches Notfallzentrum soll aus der Notaufnahme des Krankenhauses, einer KV-Notdienstpraxis im oder direkt am Krankenhaus und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle, die als "Tresen" fungiert, bestehen. Solche Einrichtungen sollen an allen Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung, das sind ca. 420 Krankenhäusern bundesweit, verbindlich eingeführt werden. Zusätzlich sollen, sofern dies regional erforderlich ist, INZ auch an Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung oder an entsprechenden medizinischen Versorgungszentren (MVZ) eingerichtet werden. An Kliniken mit pädiatrischen Abteilungen sollen zudem speziell auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Notfallzentren entstehen, sogenannte KINZ.

Die Vorschläge der Kommission sollen nun gemeinsam mit den Gesundheitsministern der Länder zusammen mit der geplanten „großen“ Krankenhausreform diskutiert werden. Und genau wie bei der Krankenhausreform birgt auch eine Reform der Notfallversorgung großes Konfliktpotenzial: Denn wie bei solchen Reformplänen üblich droht Streit über Finanzierung und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern, Krankenkassen, Krankenhäusern sowie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten.  

Mehr Personal und bessere Ausstattung werden dringend benötigt

Die Vorschläge der Kommission mögen in die richtige Richtung gehen, lassen jedoch zentrale Herausforderungen in der Notfallversorgung weitgehend unbeantwortet. Denn die oft ineffiziente Patientensteuerung ist nur ein Teil des Problems. Hauptursächlich dagegen für volle Notaufnahmen ist und bleibt der Mangel an qualifiziertem Personal. Und für mehr Personal muss schlichtweg mehr Geld ins System. Dafür muss die Notfallversorgung zu 100 Prozent über Vorhaltekosten finanziert werden. Denn Notfälle sind nicht planbar. Hier muss die Behandlungssteuerung komplett ohne wirtschaftliche Anreize und nur anhand von medizinischen Kriterien erfolgen. Um die Notfallzentren personell ausreichend zu besetzen, müssen dort dringend zusätzliche Stellen für Ärztinnen und Ärzte sowie für Pflegepersonal geschaffen werden. Dabei muss insbesondere darauf geachtet werden, dass auch in strukturschwachen Regionen eine ausreichende Versorgung gewährleistet ist.

Des Weiteren muss endlich konsequent und flächendeckend in eine adäquate technische Infrastruktur investiert werden. Denn zentral für eine verbesserte Notfallversorgungsstruktur wird auch die (digitale) Infrastruktur von Leitstellen und integrierten Notfallzentren sein. Daher ist es zu befürworten, dass die entsprechenden finanziellen Mittel im Rahmen der Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser gesondert ausgewiesen werden sollen. Hier müssen die Länder ihrer finanziellen Verantwortung in Zukunft gerecht werden und Investitionen in technisches Equipment, dass für alle Teilbereiche kompatibel ist und einen reibungslosen Austausch von Informationen ermöglicht, vollständig finanzieren.

Weitere Versorgungsreformen sind notwendig

Neben umfassenden Investitionen in Personal und Ausstattung müssen jedoch auch die Versorgungsstrukturen jenseits der Notfallversorgung auf den Prüfstand. Denn anders als oft unterstellt, ist es nur äußert selten der Fall, dass Menschen mit Lappalien in Notaufnahmen vorstellig werden. Vielmehr bleibt ihnen keine Wahl, Notaufnahmen aufzusuchen, weil insbesondere in strukturschwachen Regionen kein adäquater Zugang zu ambulanter Versorgung durch Haus- und Fachärzte besteht. Um die Notfallversorgung zu entlasten, müssen daher endlich auch die vorgelagerten ambulanten Versorgungsbereiche gestärkt werden. Dafür müssen nun die umfassenden Reformen in der ambulanten Versorgung folgen, die der Gesundheitsminister im Januar angekündigt hat: Bis Mitte des Jahres sollen zwei Versorgungsgesetze auf den Weg gebracht werden, die sich der Stärkung der Medizin in der Kommune und der Verbesserung des allgemeinen Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung widmen sollen. Hierfür sollen insbesondere die Einflüsse von Investoren begrenzt und kommunale und gemeinnützige Trägerschaften gefördert werden. Detaillierte Eckpunkte, wie dies geschehen soll, liegen allerdings noch nicht vor. Es ist dringend an der Zeit, dass die ambulante Versorgung endlich im Sinne der Patientinnen und Patienten verbessert wird.


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