Für die Gewerkschaften ist klar: Der gesetzliche Mindestlohn muss kräftig steigen. Denn die Inflation frisst die letzte Mindestlohnerhöhung weitgehend auf. Es geht um die Wertschätzung von Millionen Beschäftigten. Klar ist aber auch: Mindestlohn ist nur die zweitbeste Lösung. Gute Löhne gibt es nur mit Tarifvertrag.
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Der Mindestlohn erhitzt mal wieder die Gemüter bei einigen Unverbesserlichen. Der Anlass: Bundesarbeitsministers Hubertus Heil hat sich in einem Interview für eine deutliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ausgesprochen. Die aktuell hohe Inflation und auch die guten Tarifabschlüsse rechtfertigten eine solche Erhöhung der gesetzlichen Lohnuntergrenze, so Heil mit Blick auf die anstehenden Beratungen in der Mindestlohnkommission. Die für den Mindestlohn zuständige Kommission ist paritätisch mit Vertreter*innen der Arbeitgeber und Gewerkschaften besetzt und wird Ende Juni 2023 über die künftige Höhe des Mindestlohns ab 1. Januar 2024 entscheiden.
Reflexartig spielten Arbeitgebervertreter*innen die Empörten: Die Aussage von Minister Heil sei nicht nur ein Eingriff, sondern "Sabotage" an der Arbeit der Mindestlohnkommission. Auch vom sogenannten "Staatslohn", den der Mindestlohn angeblich darstelle, wurde wieder einmal gefaselt. Falsche Behauptungen werden allerdings nicht richtiger, nur weil man sie gebetsmühlenartig wiederholt. Fakt ist: "Staatslöhne" sind allenfalls jene Löhne, die durch aufstockende Sozialleistungen oder später mit der Grundrente staatlich alimentiert werden müssen, weil Arbeitgeber sich weigern, Entgelte in anständiger Höhe zu zahlen.
Viele Arbeitgeber haben bis zum heutigen Tag nicht erkannt, dass ihre Flucht aus Tarifverträgen überhaupt erst den Anlass dafür geliefert hat, die Notbremse mittels Mindestlohns zu ziehen, um sittenwidrige Löhne zu verhindern. Es sind die Arbeitgeberverbände, die Mitglieder ohne Tarifbindung zulassen, so das Tarifsystem schwächen und politische Eingriffe nötig machen.
Quelle: Statistisches Bundesamt / Eigene Darstellung
Für die Gewerkschaften ist klar: Der gesetzliche Mindestlohn muss kräftig steigen. Denn die Inflation frisst die letzte Mindestlohnerhöhung weitgehend auf. Die Teuerung bei Energie und Lebensmitteln trifft die arbeitende Bevölkerung hart – und ganz besonders Menschen, die zum Mindestlohn arbeiten und ohnehin ein geringes Einkommen haben. Deshalb hat Arbeitsminister Heil mit seiner Analyse recht: Der Mindestlohn muss rauf. Es ist auch wirtschaftlich sinnvoll, auf diese Weise die Kaufkraft zu stärken, um die Binnennachfrage und die fragile Konjunktur zu stabilisieren. Dass die Kaufkraftentwicklung von der Mindestlohnkommission berücksichtigt werden muss, schreibt auch die neue EU-Mindestlohnrichtlinie vor.
Es geht darum, die Arbeit von Millionen Beschäftigten wertzuschätzen. Für viele Beschäftigte bedeutet der Mindestlohn eine substanzielle Einkommensverbesserung. Vor allem Frauen und geringfügig entlohnte Beschäftigte profitieren vom Mindestlohn (siehe Abbildung). Ein höherer Mindestlohn ist in jeder Hinsicht sinnvoll und hat auch nichts mit Staatslohnsetzung zu tun, sondern mit Gerechtigkeit. Das sollte allen Mitgliedern der Mindestlohnkommission bewusst sein.
Klar ist aber auch: Der Mindestlohn ist nur eine zweitbeste Lösung. Gute Löhne gibt es nur mit Tarifverträgen. Umso wichtiger ist es, die Tarifbindung, die in den letzten Jahren stetig zurückging, wieder zu stärken. Hierbei könnten die Arbeitgeber konstruktiv mitarbeiten, indem sie u.a. sogenannte OT-Mitgliedschaften von Unternehmen in ihren Verbänden unterbinden.
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Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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