Lange haben die Gewerkschaften gekämpft, nun soll die Tariftreueregel für die öffentlichen Aufträge des Bundes kommen. Auf der Vergabetagung am 12. Mai 2023 diskutierten die Gewerkschaften mit Arbeitgebern, dem Arbeitsministerium, Verbänden und Politik darüber, wie ein Bundestariftreuegesetz aussehen sollte.
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Einige Bundesländer nutzen bereits den europarechtlichen Handlungsspielraum der EU-Vergaberichtlinie von 2014 und der Neufassung der EU-Entsenderichtlinie von 2018 zur Einführung der Tariftreue bei der öffentlichen Auftragsvergabe in ihren Landesvergabegesetzen. Nun werden auch die im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien festgehaltenen Pläne der Bundesregierung konkreter, die Einhaltung von Tarifverträgen bei öffentlichen Aufträgen des Bundes vorzuschreiben. Damit läuft der Countdown zu einer gesetzlichen Regelung, die faire Löhne endlich zur Bedingung für die öffentlichen Aufträge des Bundes macht.
Im Fokus der Vergabetagung 2023 stand der politische Prozess: Die Tagung informierte über den aktuellen Stand eines Bundestariftreuegesetzes und bot Raum zur Diskussion über dessen Ausgestaltung im Sinne einer modernen, respektvollen Arbeitswelt.
Dabei ist die Tariftreue nur eine von mehreren notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Tarifbindung. Deshalb waren auch die Mitglieder des Deutschen Bundestages gefragt: Wo stehen die Parteien in Sachen Bundestariftreue in der öffentlichen Auftragsvergabe und bei der Stärkung der Tarifbindung insgesamt? Abschließend luden zwei fachliche Blitzlichter dazu ein, Fragen der praktischen und juristischen Umsetzung zu erörtern.
Das volle Programm finden sie hier:
In seiner Begrüßungsrede betonte Reiner Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender der FES, den gesellschaftlichen Wert der Tarifbindung. Tarifverträge entlasten den Staat von Verteilungskonflikten. Beschäftigte sind durch Tarifverträge materiell besser abgesichert. Und auch für Arbeitgeber sind sie wichtig, senken sie doch Transaktionskosten, schaffen gleiche Wettbewerbsbedingungen und haben eine befriedende Funktion im Betrieb. Die Gewerkschaften kämpfen seit Langem für Hebel zur Steigerung der Tarifbindung. Die Tariftreue, die nun im Fokus steht, gehört zu diesen „Tools“.
DGB
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Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes, verwies auf den durch Tarifflucht verursachten gesamtgesellschaftlichen Schaden. Gerade angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten und der andauernden Inflation bieten Tarifverträge den besten Schutz. Es ist ein Schritt zur Stärkung der Tarifbindung, wenn die im Koalitionsvertrag zugesagte Bundestariftreueregel kommt. Die Tariftreue könne aber nur eine von weiteren Maßnahmen zur Förderung von Tarifverträgen sein. Einige Bundesländer – Saarland, Berlin, Bremen, Thüringen und Sachsen-Anhalt – haben Tariftreuevorgaben schon eingeführt. Ein jetzt zu schaffendes Bundesgesetz braucht einen breiten Anwendungsbereich. Gelten müssen mindestens die tarifvertraglich festgelegte Entlohnung nach dem gesamten Tarifgitter inklusive Zulagen und Sonderzahlen, aber auch Arbeitszeit- und Urlaubsregeln. Würde man nur das Entgelt berücksichtigen, würde das keiner echten Tariftreue entsprechen. Der DGB ist gespannt auf die weiteren Entwicklungen im Bund.
Nermin Fazlic, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen im BMAS, vertretungsweise mit der Wahrnehmung der Aufgaben von Staatssekretärin Lilian Tschan betraut
Das Bundestariftreuegesetz ist ein Schutzgesetz, von dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren sollen, betonte Nermin Fazlic, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen im BMAS, zu Beginn seiner Keynote. Es müsse Vergabestellen möglich sein, bei der Vergabe auch soziale Kriterien, anstatt lediglich den geringsten Preis, zu berücksichtigen. Maßgabe für das Gesetz seien seine Wirksamkeit, Praxistauglichkeit und EU-Rechtskonformität. Dafür traten das BMAS und BMWK in einen konstruktiven Lernprozess, der Erfahrungen der Bundesländer mit Tariftreuevorgaben, ein Konsultationsverfahren und den Sozialpartnerdialog einschloss. Inhaltlich plant das BMAS, die Vergabe an die Gewährung von tarifvertraglich geregelter Entlohnung, inklusive Zulagen und Sonderzahlungen sowie Arbeitszeit und Mindesturlaub zu koppeln. Das Gesetz werde außerdem Kontrollen und Sanktionen explizit vorschreiben.
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In der anschließenden Diskussion begrüßte Jan Dannenbring, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt/Tarifpolitik, Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Zielsetzung des Bundestariftreuegesetzes. Immer mehr kleine und mittlere Unternehmen zögen sich aber wegen einer komplizierter gewordenen Vergabepraxis aus der öffentlichen Vergabe zurück. Gerade kleine Unternehmen hätten oft nicht die Kapazitäten, komplexe vergaberechtliche Vorgaben zu erfüllen. In der Umsetzung einer Tariftreuegel zeigten sich noch Schwierigkeiten, z. B. der Auswahl des maßgeblichen Tarifvertrages angesichts einer Vielzahl an regionalen Tarifverträgen in Deutschland.
Dr. Karen Jaehrling vom IAQ der Universität Essen-Duisburg betonte die Notwendigkeit zu regelmäßigen Kontrollen. Hier könne Deutschland von anderen Ländern, z. B. Dänemark lernen. Hilfreich wäre eine Zusammenarbeit der Sozialpartner und Organisationen, die Kontrollen als Hinweisgeber erleichtern. Eine Kompetenzstelle für Vergabe und Tariftreue könnte Vergabestellen bei der Umsetzung beraten. Wichtig sei zudem ein zivilrechtlicher Anspruch der bei Aufträgen eingesetzten Beschäftigten, damit diese tarifvertragliche Bezahlung bei Bedarf auch einklagen könnten.
Auch Stefan Körzell (DGB) betonte, ein Gesetz stehe und falle mit den darin vorgesehenen Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Hier gelte es, ein kommendes Gesetz nachzuschärfen. Auch die Generalunternehmerhaftung trage zu einer effektiven Umsetzung bei. Erleichterungen bei der Nachweiserbringung gäbe es am deutlichsten, wenn ein Unternehmen tarifgebunden sei. Es müssten aber auch die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um in sogenannten Präqualifizierungs-Verfahren soziale Aspekte zu überprüfen.
Nermin Fazlic (BMAS) machte deutlich, dass bei der Vergabe Wettbewerb über die Qualität und Leistung, nicht durch Unterbietung bei den Arbeitsbedingungen, zu führen sei. Die Vergabestellen sollen bei der Durchsetzung von einer neu einzurichtenden zentralen Kontrollgruppe unterstützt werden.
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Dr. Malte Lübker, Leiter des Referats für Tarif- und Einkommensanalysen (WSI), informierte über den aktuellen Stand der Tarifbindung und Möglichkeiten zur Stärkung der Tarifbindung.
Die Präsentation von Dr. Malte Lübker zum Download:
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Wo stehen die Parteien in Sachen Stärkung der Tarifbindung und welche Prioritäten sehen sie für die Zukunft?
In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Bundestagsabgeordnete über Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung. Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte seine Freude über das nun anstehende Bundestariftreuegesetz. Gelten müsse das Gesetz mindestens auch für Bundesbehörden, nachgeordnete Behörden und die Konzessionsvergabe. Wichtig sei, auch die Nachunternehmerhaftung im Gesetz zu verankern.
Carl-Julius Cronenberg (FDP) unterstrich den Wert der Tarifbindung, lehnte Druck oder Zwang bei der Tarifbindung aber ab. Tarifverträge müssten für Unternehmen attraktiv sein. Wegen der Gefahr eines Bürokratieaufwuchs, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, sei bei einer Bundestariftreueregel genau hinzusehen.
Mathias Papendieck (SPD) erhofft sich von einer Bundestariftreueregel die Stärkung der Tarifbindung. Der Bund müsse dabei auch Vorbild für die Länder sein, die ihre Gesetze noch nicht reformiert haben. Bei Kontrollen müssten auch digitale Kontrollmöglichkeiten geschaffen werden, bspw. bei (Fahrt-)Kontrollen, der digitalen Zeiterfassung oder digitalen Plattformen für KMUs, die zugleich die Verfahren für Unternehmen erleichterten.
Gewerkschaften müssten mit direkten Maßnahmen gestärkt werden, betonte Pascal Meiser (Die Linke). Dafür müsste die AVE-Blockade aufgelöst, das Entsendegesetz reformiert und OT-Mitgliedschaften abgeschafft werden. Bei der Bundestariftreue sei darauf zu achten, dass keine zusätzlichen Hürden durch ein Antragsverfahren zur Verbindlichmachung eines Tarifvertrags aufgebaut würden. Stattdessen gelte es, angemessene Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz zu definieren und eine geplante Kontrollgruppe mit genügend Personal und Kapazitäten auszustatten.
Die gewerkschaftliche Sichtweise brachte Dr. Ghazaleh Nassibi (IG BAU) in die Diskussion ein. Argumente, wonach die Tariftreue dem EU-Recht entgegensehe, ignorierten neuere europarechtliche Entwicklungen, wie z.B. die erweiterten Handlungsspielräume zur Inbezugnahme von Tarifverträgen nach der revidierten EU-Arbeitnehmerentsenderichtlinie. Die früher restriktive Rechtsprechung des EuGH ist damit überholt. Skandale wie der einer öffentlichen Baustelle in Hessen, auf der im Sommer 2022 einhundert rumänischen Bauarbeitern der Lohn vorenthalten wurde, verdeutlichten die Dringlichkeit der Einführung einer Tariftreueregelung bei öffentlichen Aufträgen auf Bundes- wie auch auf Länderebene.
Praxisperspektive: Kommunale Initiativen zur Einführung von Vergabeordnungen in Bayern
Katharina Joho und Viktor Grauberger vom DGB Bayern stellten kommunale Initiativen und deren Erfahrung mit der Einführung kommunaler Vergabeordnungen in Bayern vor.
Die Präsentationen zum Download:
Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, referierte zur Definition des öffentlichen Auftraggebers, dem vergaberechtlichen Anwendungsbereich und juristischen Fragestellungen einer Bundestariftreueregelung.
Die Präsentation zum Download:
Präsentation von Prof. Dr. Wolfhard Kohte auf der Vergabetagung 2023 zum Thema: Deutsches Vergaberecht als Umsetzung des EU Vergaberechts - Anwendungsbereich.
Susan Javad (FES) und Dr. Wolfgang Günther (DGB) bedankten sich bei den Teilnehmer*innen und Beitragenden der sechsten Vergabetagung und der Moderatorin Anna-Rebekka Helmy.
Anna-Rebekka Helmy leitete durch die gesamte Veranstaltung.
Plenumsimpressionen:
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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