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Fünf Tage zusätzlicher Urlaub, erhöhter Kündigungsschutz und das Recht, Überstunden zu verweigern: Menschen mit einer Schwerbehinderung haben im Job besondere Rechte. Doch viele verzichten darauf – aus Scham oder Unwissen.
DGB/Luca Bertolli/123rf.com
Job und Behinderung: Antworten auf alle wichtigen Fragen
Rund eine Million Menschen mit einer Schwerbehinderung sind in deutschen Unternehmen beschäftigt – offiziell. Die Dunkelziffer liegt viel höher: Viele Betroffene verschweigen die Behinderung gegenüber dem Arbeitgeber, aus Scham oder Angst vor Nachteilen.
Andere wissen vielleicht gar nicht, dass eine ihrer Einschränkungen oder Krankheiten bereits als Behinderung oder sogar Schwerbehinderung gilt. Damit entgehen diesen Beschäftigten bestimmte Rechte, die ihnen als Nachteilsausgleich zustehen – bezahlter Sonderurlaub etwa oder das Recht, bei Bedarf in Teilzeit zu arbeiten.
Die meisten Menschen denken dabei an Menschen im Rollstuhl oder mit einer geistigen Behinderung. Doch auch eine überstandene Krebserkrankung, Diabetes, Rheuma, Depressionen, Tinnitus oder eine schwere Akne können Grund für eine Behinderung sein. Das Schwerbehindertengesetz definiert den Begriff so:
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. (§ 2 SGB IX)
Sätze wie "Sie ist 80% schwerbehindert." kennen wir alle. Die Angabe in Prozent ist allerdings nicht ganz korrekt. Die Zahlen geben keine Prozentzahl, sondern den "Grad der Behinderung" an. Der bewegt sich abgestuft in Zehnerschritten von 20 bis 100. Korrekt wäre also eher die Aussage "Sie hat einen Grad der Behinderung von 80".
Einen groben Anhaltspunkt, wie hoch der Grad der Behinderung bei welchen Krankheiten ist, liefert die so genannte GdS-Tabelle. Die Abkürzung GdS steht für „Grad der Schädigungsfolgen“.
Der Grad der Behinderung gibt an, wie stark die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen eingeschränkt sind.
Wichtig: Mehrere Beeinträchtigungen/Krankheiten können den Grad der Behinderung erhöhen, werden aber nicht einfach addiert.
Wenn mehrere Beeinträchtigungen vorliegen, erhöht sich der Grad der Behinderung. Die Werte werden dabei jedoch nicht einfach nur addiert, sondern für jeden Einzelfall entsprechend gewichtet.
Beispiel: Mittelgradiges Stottern mit einem GdS von 20 und eine Neurodermitis mit einem GdS von 40 ergeben also nicht automatisch einen Grad der Behinderung von 60.
Gesundheitsstörung |
Grad der Schädigungsfolgen (GdS) |
---|---|
Echte Migräne, mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) |
20-40 |
Psychische Erkrankungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische oder phobische Störungen) |
30-40 |
Krebserkrankungen: Nach Entfernung bestimmter bösartiger Tumore (Karzinome) gilt für den Zeitraum des sogenannten Heilungsvorbehaltes ein GdS. Dieser Zeitraum dauert mehrere Jahre je nach Tumorart, der GdS unterscheidet sich je nach Tumorart und Tumorstadium |
mindestens 50 |
Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten |
30-40 |
Ohrgeräusche (Tinnitus) mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen |
20 |
Chronische Nasennebenhöhlenentzündung schweren Grades |
20-40 |
Umfassender Zahnverlust, über ein halbes Jahr hinaus nur unzureichend prothetisch zu versorgen |
10-20 |
Stottern (mittelgradig, situationsunabhängig) |
20 |
Bronchialasthma ohne dauerhafte Einschränkung der Lungenfunktion, Hyperreagibilität mit Serien schwerer Anfälle |
50 |
Herzrhythmusstörungen, ohne andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens |
10-30 |
Unkomplizierte Krampfadern, mit erheblicher Ödembildung und häufigen Entzündungen |
20-30 |
Bluthochdruck (Hypertonie), schwere Form mit Beteiligung mehrerer Organe |
50-100 |
Zöliakie (Glutenunverträglichkeit), ohne wesentliche Folgeerscheinungen unter diätischer Therapie |
20 |
Leisten- oder Schenkelbruch, bei erheblicher Einschränkung der Belastungsfähigkeit |
20 |
Nierensteinleiden, ohne Funktionseinschränkung der Niere, mit häufigeren Koliken und wiederholten Harnwegsinfekten |
20-30 |
Harninkontinenz, mit leichtem Harnabgang bei Belastung |
0-10 |
Verlust der Brust (Mastektomie), einseitig |
30 |
Verlust der Gebärmutter und/oder Sterilität, in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch |
20 |
Diabetes (wenn die Therapie eine Unterzuckerung auslösen kann und es Beeinträchtigungen in der Lebensführung gibt) |
20 |
Neurodermitis mit generalisierten Hauterscheinungen, insbesondere Gesichtsbefall |
40 |
Akne (Akne vulgaris) schweren Grades mit vereinzelter Abzess- und Knotenbildung und entsprechender kosmetischer Beeinträchtigung |
20-30 |
Entzündlich-rheumatische Krankheiten (z.B. Bechterew-Krankheit), mit geringen Auswirkungen, geringe Krankheitsaktivität |
20-40 |
Verlust eines Armes im Schultergelenk oder mit sehr kurzem Oberarmstumpf |
80 |
Verlust eines Daumens |
25 |
Verlust beider Beine im Oberschenkel |
100 |
Die komplette GdS-Tabelle gibt's hier online.
Die meisten Beeinträchtigungen/Krankheiten können je nach Ausprägung sehr unterschiedliche GdS ergeben. Das Beispiel unten zeigt: Ein Wirbelsäulenschaden ohne Bewegungseinschränkung bringt gar keinen GdS-Wert, ein Wirbelsäulenschaden mit Geh- oder Stehunfähigkeit hingegen den höchsten GdS von 100.
Beispiel: GdS bei Wirbelsäulenschäden | |
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Quelle: DGB-Ratgeber "Was ist, wenn es mir passiert? Tipps für behinderte und von Behinderung bedrohte Beschäftigte", 2011 | |
ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität | → GdS 0 |
mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) | → GdS 10 |
mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) |
→ GdS 20 |
mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) | → GdS 30 |
mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten | → GdS 30-40 |
mit besonders schweren Auswirkungen (Versteifung großer Teile derWirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthesse, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) | → GdS 50-70 |
bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit | → GdS 80-100 |
Schwerbehinderte Menschen dürfen vom Arbeitgeber nicht benachteiligt werden. Im Gegenteil: Er muss sie umfassend fördern und so beschäftigten, dass sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten möglichst voll verwerten können. Schwerbehinderte haben unter anderem Anspruch auf
Ein Großteil der behinderten Menschen wurde nicht mit der Behinderung geboren, sondern hat sie im Laufe des Berufslebens erworben. Eine Behinderung kann durch die Arbeit entstehen oder zum Beispiel durch einen Unfall in der Freizeit. In den meisten Fällen geht die Behinderung auf eine chronische Krankheit zurück. Und: Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nehmen vor allem Behinderungen aufgrund von psychischen Erkrankungen stark zu.
Dafür muss ein Antrag beim Versorgungsamt (oder einer nach Landesrecht zuständigen Behörde) gestellt werden. Das kann formlos erfolgen. Es reicht der Satz „Hiermit beantrage ich die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.“ Das Amt schickt daraufhin ein mehrseitiges Formular zu und fordert bei Bedarf zusätzliche ärztliche Gutachten an. Anhand dieser Informationen stellt es fest, ob eine Behinderung vorliegt und welchen Grad sie hat. Bei einem Grad von mindestens 50 wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt
Er dient gegenüber Arbeitgebern, Behörden und Sozialleistungsträgern als Nachweis und ermöglicht es, so genannte Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen. Hintergrund ist, dass schwerbehinderte Menschen bestimmte Leistungen nur deshalb beziehen, damit sie, genau wie alle anderen, am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Vorab: Niemand muss eine Schwerbehinderung von sich aus offenbaren. Aber: Nur wenn der Arbeitgeber davon weiß, kann er den entsprechenden Nachteilsausgleich gewähren. Für die Mitteilung reicht ein formloses Anschreiben an das Personalbüro mit einer Kopie des Schwerbehindertenausweises aus. Wer Hemmungen hat oder unsicher ist kann sich Unterstützung bei der gewählten Vertrauensperson der Schwerbehinderten im Betrieb holen. Spätestens, wenn es zu einer Kündigung kommt, sollte die Schwerbehinderung allerdings auf jeden Fall offenbart werden: Der Arbeitgeber kann Schwerbehinderte nur entlassen, wenn das Integrationsamt zustimmt.
Die besonderen Rechte für Schwerbehinderte sind kein freundliches Entgegenkommen der Arbeitgeber, sondern geltendes Recht. Wenn ein Arbeitgeber sie nicht gewährt, ist das ein Gesetzesverstoß. Vor allem große und mittlere Unternehmen haben auch selbst ein Interesse daran, genügend Schwerbehinderte zu beschäftigen: Wenn sie das nicht tun, müssen sie monatlich eine Ausgleichsabgabe zahlen, also eine Art Strafe. Außerdem bekommen sie Unterstützung von den Integrationsämtern, wenn Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse Schwerbehinderte angepasst werden müssen.
Der DGB ist Partner des Aktionsbündnisses MyHandicap. Auf der Internetseite gibt es aktuelle Meldungen und Infos rund um das Thema Behinderung und eine Jobbörse.
Kostenlos zum Download (PDF): DGB-Ratgeber Was ist, wenn es mir passiert? Tipps für behinderte und von Behinderung bedrohte Beschäftigte
Mit Infos zur Situation schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt, zur Rehabilitation und den rechtlichen Grundlagen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz sowie den Chancen auf Ausbildung für behinderte Jugendliche.
"Welche Vorteile hat ein Schwerbehindertenausweis - und wo kann man ihn beantragen?" sind häufig gestellte Fragen. Zunächst einmal ist wichtig: Eine Behinderung, beziehungsweise Schwerbehinderung ist selbstverständlich kein "Vorteil". Die Rechte, auf die behinderte Menschen Anspruch haben, sind ein "Nachteilsausgleich", um Behinderten und Schwerbehinderten dieselbe Teilhabe zu ermöglichen, wie allen Menschen.
Aber wo kann man eigentlich einen Schwerbehindertenausweis beantragen? Und was bringt er tatsächlich für Vorteile? Einen Schwerbehindertenausweis beantragt man je nach Bundesland bei den zuständigen Versorgungsämtern, beziehungsweise Landesämtern. Alle weiteren Infos zum Thema: