Deutscher Gewerkschaftsbund

20.06.2023
Gesundheitspolitik

GKV-Defizit: Beitragssatzerhöhungen statt strukturelle Reformen

Um das Milliarden-Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu decken, will Lauterbach wieder an der Beitragsschraube drehen und so die Versicherten noch weiter belasten. Dabei liegen andere Optionen für eine stabile und faire Finanzierung auf dem Tisch.

Schreibtisch mit Stethoskop und Kladde, Hände und Arm Ärztin nah

DGB/morganka/123rf.com

Es scheint langsam zur Gewohnheit zu werden: Die Politik lässt die GKV in ein Defizit laufen, doch anstatt nachhaltige Lösungen zu erarbeiten, wird kurzfristiges Flickwerk präsentiert und die Beitragszahler*innen zur Kasse gebeten. Für die Kassen und ihre Beitragszahler*innen sind das keine guten Neuigkeiten. Denn wie auch für das laufende Jahr muss auch für 2024 mit einem Milliarden-Defizit in der GKV gerechnet werden. Zwar schätzt der GKV-Spitzenverband aufgrund der vielen guten Tarifabschlüsse und den damit verbundenen höheren Beitragseinnahmen das Finanzloch „nur noch“ auf 3,5 bis 7 Milliarden Euro – gestopft werden muss es jedoch trotzdem, wenn die Gesundheitsversorgung gesichert werden soll. Seit Wochen kursieren daher verschiedene Möglichkeiten, wie eine Stabilisierung der GKV-Finanzen gelingen kann. Nun hat Lauterbach in der letzten Woche das verkündet, was viele befürchtet haben: Der Beitragssatz soll erneut steigen – um 0,2 bis 0,4 Prozent. Wieder einmal sollen also die Versicherten und ihre Arbeitgeber*innen für mutlose politische Entscheidungen und die Blockadepolitik von Bundesfinanzminister Lindner gegenüber allem Sozialen und Ökologischem die Zeche zahlen. Eine Anhebung des Beitragssatzes bedeutet insbesondere für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen eine spürbare Zusatzbelastung, ohne dafür eine bessere Gesundheitsversorgung zu erhalten – und das in für viele Bürger*innen wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit hohen Preissteigerungen im Alltag.

Dabei liegen sinnvolle und faire Alternativen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen seit Langem auf dem Tisch. Eine der Hauptforderungen, auf die sich fast alle Akteure einigen können, lautet: Der Staat muss endlich seiner finanziellen Verantwortung gerecht werden und gesamtgesellschaftliche und versicherungsfremde Leistungen der Kassen vollständig refinanzieren, so wie dies ordnungspolitisch geboten ist. Dafür muss der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds deutlich angehoben und regelhaft dynamisiert werden. Selbst im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass die Finanzierung der Beiträge für Bürgergeld-Bezieher*innen durch den Bund erhöht werden sollen. Allein durch deren unzureichende Finanzierung durch den Staat gehen der GKV und ihren Beitragszahler*innen jährlich zehn Milliarden Euro verloren. Auch eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arznei-, Heil- und Hilfsmittel von 19 Prozent auf 7 Prozent ist lange überfällig. Das würde die GKV um weitere fünf Milliarden Euro entlasten. Diese und weitere Subventionierungen des Bundeshaushalts durch die Beitragszahlenden sind schlicht systemwidrig, rechtlich fragwürdig und müssen umgehend beendet werden.

Zusätzlich müssen auch die stark steigenden Ausgaben unter die Lupe genommen werden, ohne Leistungseinbußen für die Versicherten zu riskieren. Ausgabensteigerungen müssen dafür deutlich stärker an eine Verbesserung der Versorgung gebunden werden und Vergütungssysteme sich deutlicher am Patientennutzen orientieren. Profitstrategien zulasten der Versorgungsqualität sowie zulasten der Beschäftigten und der Versicherten müssen konsequent zurückgedrängt werden und ökonomische Fehlanreize behoben werden.

Um die GKV-Finanzen nachhaltig zu stabilisieren und die zu erwartenden Kostensteigerungen fair und solidarisch zu finanzieren, sehen wir langfristig nur ein Mittel: Die Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung für alle. Dies beinhaltet die Abschaffung des Zwei-Klassen-Systems in unserem Gesundheitswesen, denn das Nebeneinander von GKV und PKV ist ineffizient und unsolidarisch. Deutschland ist das einzige Land weltweit, das an diesem kaum nachvollziehbaren Unikum nach wie vor festhält. Nur durch die Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung kann auch in Zukunft eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung für aller Bürger*innen, unabhängig von Alter, gesundheitlichem Status oder finanzieller Situation nachhaltig gesichert werden. Der Leitgedanke der Bürgerversicherung ist daher die Verbreiterung der solidarischen Finanzierungsgrundlage in der GKV: Alle Bürger*innen beteiligen sich an der Finanzierung – und das nicht nur durch eine Verbeitragung ihres Einkommens durch Erwerbsarbeit, sondern anhand ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dafür müssen hohe Zusatzeinnahmen, bspw. aus Kapitalerträgen, Zinseinnahmen oder Vermietung oberhalb eines Freibetrags, bei der Berechnung der individuellen Beitragshöhe miteinbezogen werden. Und auch die bislang privatversicherten Personengruppen müssen dafür schrittweise in das einheitliche System einer Bürgerversicherung einbezogen werden. 

Um nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitssystem steht, umzusetzen, muss die politische Blockade der FDP endlich aufgelöst werden. Denn letztendlich geht es neben den nachvollziehbaren Investitionen in die äußere Sicherheit auch darum, wichtige Maßnahmen zum Erhalt und zur Stärkung der sozialen Sicherheit in Deutschland auf den Weg zu bringen. Hierfür brauchen wir finanziell tragfähige und zuverlässige Sozialsysteme, die für alle zugänglich sind. Sie sind der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält und dürfen bei haushaltpolitischen Abwägungen unter keinen Umständen hinten runterfallen.

Gerade in Zeiten, in denen die Umfragewerte für rechtsradikale Parteien wie der AfD nahe an der 20-Prozentmarke liegen, ist es wichtiger denn je, Gesellschaft und Demokratie resilient gegen Verfassungsfeinde zu machen. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass sich die Menschen in Deutschland auf eine gerecht finanzierte Sozialversicherung, die eine gute Versorgung in den Wechselfällen des Lebens gewährleistet, verlassen können. Das schafft Vertrauen in die Reziprozität und Handlungsfähigkeit von Politik. Und dieses Vertrauen müssen sich Politik und Institutionen in unserer demokratischen Gesellschaft wieder stärker erarbeiten. Mit reiner Interessenpolitik und Blockaden à la FDP wir dies nicht gelingen.


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