Deutscher Gewerkschaftsbund

04.05.2022

DGB-Nein zu Energie-Embargo

3 Fragen an Stefan Körzell

Derzeit wird in Deutschland intensiv über ein mögliches Embargo russischer Gasimporte als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine diskutiert. Der DGB hat diesen Angriffskrieg auf das Schärfste verurteilt und hat seine Solidarität mit der Ukraine bekundet. Vielerorts engagieren sich Gewerkschafter*innen in der humanitären Unterstützung von Geflüchteten. Wir haben DGB-Vorstand Stefan Körzell gefragt, wieso sich der DGB gegen ein Energieembargo ausspricht und welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen ein Lieferstopp hätte.

Flaggen der Europäischen Union und Russland hinter einer gelben verknoteten Gaspipeline

DGB/Yakobchuk/123rf.com

Wieso spricht sich der DGB gegen ein Energie-Embargo aus

Stefan Körzell: Ein Gas-Embargo stoppt den Krieg nicht, auch wenn das in der öffentlichen Debatte teils so verstanden wird. Es ist nicht erkennbar, dass ein sofortiger Lieferstopp und ein damit verbundener Zahlungsstopp die russische Kriegsführung signifikant verändern oder gar beenden könnte. Russland ist für die Finanzierung seiner Armee mittelfristig nicht auf ausländische Devisen angewiesen. Soldaten, Treibstoff, Verpflegung werden in der russischen Währung Rubel bezahlt, die – unabhängig von Energieexporten – unbegrenzt zur Verfügung steht. Auch Waffen und Kriegsgerät stammen zu großen Teilen aus Russland und dürften angesichts der Größe der Armee und früherer Aufrüstung reichlich vorhanden sein. Etwaige Ersatzteile, die aus der westlichen Welt stammen, sind ohnehin direkt sanktioniert und dürfen schon jetzt nicht mehr geliefert werden. An einer notwendigen mittel- bis langfristig stärkeren Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und entsprechenden Gasimporten aus Russland wird bereits gearbeitet. Natürlich wäre ein kurzfristiger Importstopp für Gas eine harte Sanktion und würde den russischen Staat und die Bevölkerung dort ärmer machen. Das Kriegstreiben würde dadurch aber nicht automatisch gebremst.

Portrait Stefan Körzell

DGB/Simone M. Neumann

Welche Folgen hätte ein Gas-Lieferstopp für die Wirtschaft?

Stefan Körzell: Die Auswirkungen lassen sich für verschiedene Branchen und Produktionsnetzwerke vorhersehen. Der genaue Umfang lässt sich jedoch nur schwer präzise beziffern. Das Wirtschaftsforschungsinstitut IMK geht bei großer Unsicherheit von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von 6 Prozent und mehr aus. Drastische Einschränkungen insbesondere bei der industriellen Produktion wären die Folge. Höhere und dauerhaftere Schäden sind angesichts von Abhängigkeiten und Verflechtungen moderner Produktionsstrukturen wahrscheinlich. Wenn Wertschöpfungsketten reißen, Vorprodukte wegfallen sowie Industrieanlagen dauerhaft geschädigt und in Folge geschlossen werden. Als Beispiel wäre die Glasproduktion für die Verpackung von Lebensmitteln zu nennen: Kann das Glas nicht mehr produziert werden, können auch die Lebensmittel nicht mehr verpackt werden und die Supermarktregale bleiben irgendwann leer. Werden „Glasschmelzwannen“ in den Produktionsanlagen nicht mehr kontinuierlich und ausreichend beheizt, fallen sie dauerhaft aus und müssten erst einmal ersetzt werden. Das erfordert Investitionen und dauert Monate.

Auch für die Herstellung von Lebensmitteln selbst wird viel Erdgas verwendet. Hinzu kommt, dass vor allem in den energieintensiven Branchen kurzfristig große Reinvestitionszyklen anstehen. Es wird befürchtet, dass ein Runterfahren der deutschen Standorte, aufgrund eines möglichen Gasmangels, dann auch dazu führen würde, dass die Standorte dauerhaft aufgegeben werden, denn das Investment steht sowieso an. Statt den deutschen Standort zu modernisieren, wird die Produktion direkt in ein anderes vermeintlich „kostengünstigeres“ Land verlagert. Die Wirtschaftskraft Deutschlands würde also dauerhaft geschwächt - und das in einer Phase in der Zukunftsaufgaben wie die klimaneutrale und digitale Transformation ebenso gemeistert werden müssen wie die notwendige Unterstützung der Ukrainer*innen.

Welche sozialen Risiken sind mit einem Gas-Embargo verbunden?

Stefan Körzell: Welche sozialen Folgen solch ein Szenario hätte, ist schwer zu prognostizieren. In jedem Fall dürfte der soziale Frieden auf eine mindestens genauso harte Bewährungsprobe wie im Corona-Lockdown gestellt werden. Grundsätzlich werden die Auswirkungen eines Lieferstopps die Endverbraucher*innen mit aller Wucht treffen. Die ohnehin schon stark gestiegenen Lebenshaltungskosten würden weiter zunehmen. Gerade vor dem Hintergrund des großen Niedriglohnsektors in Deutschland, wären die vielen Menschen mit niedrigem Einkommen nicht mehr in der Lage die steigenden Kosten zu bewältigen. Ein drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine drohende Insolvenzwelle dürfte Deutschland und andere europäische Staaten zusätzlich zu den Nachwehen der Corona-Pandemie empfindlich treffen. Wie stark solch ein Szenario unsere Demokratie destabilisieren kann, lässt sich natürlich nur mutmaßen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, wie wichtig es ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht aufs Spiel zu setzen!


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