Nur noch rund die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland profitiert von Tarifverträgen – mit gravierenden Folgen. Für Beschäftigte bedeutet diese fehlende Tarifbindung im Schnitt finanzielle Einbußen und schlechtere Arbeitsbedingungen, für die Allgemeinheit entstehen enorme Kosten. Wie teuer die Tarifflucht für uns alle ist, wurde diese Woche in unserer Tarifflucht-Bilanz offengelegt.
DGB
Tarifverträge sind eine tragende Säule der Tarifautonomie und unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung. Sie sind die Voraussetzung für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Außerdem fördern sie Gleichbehandlung und Gerechtigkeit.
Mit Tarifvertrag haben die Beschäftigten im Schnitt 12 Prozent mehr in der Lohntüte. Außerdem gibt es mit Tarifvertrag öfter Urlaubs- und Weihnachtsgeld, mehr Urlaub, bessere Regeln bei Überstunden, Kurzarbeitergeld und bei der betrieblichen Altersvorsorge.
Doch immer weniger Beschäftigte in Deutschland sind durch einen Tarifvertrag abgesichert. Aktuell profitiert nur noch rund die Hälfte aller Beschäftigten.
Die sinkende Tarifbindung gefährdet jedoch nicht nur die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sondern erzeugt auch enorme Kosten für die Allgemeinheit. Denn geringere Einkommen bedeuten gleichzeitig auch weniger Einzahlungen in die Sozialversicherungen. Und auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer fallen geringer aus.
Laut der neuen Tarifflucht-Bilanz des DGB (siehe Abbildung) entgehen allein den Sozialversicherungen in Deutschland durch Tarifflucht und die entsprechend niedrigeren Löhne jährlich rund 43 Milliarden Euro an Beiträgen. Dazu kommen aus demselben Grund noch circa 27 Milliarden Euro weniger Einnahmen aus wegbleibender Einkommenssteuer. Insgesamt wirkt sich die fehlende Tarifbindung auch negativ auf die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung aus. Rund 60 Milliarden Euro hätten Beschäftigte mehr zur Verfügung, würde es eine flächendeckende Tarifbindung geben. Betrachtet man die Gesamtkosten der Tarifflucht, belaufen sich diese auf 31 Milliarden Euro im Osten und 99 Milliarden Euro im Westen.
Insgesamt wirkt sich die fehlende Tarifbindung auch negativ auf die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung aus. Rund 60 Milliarden Euro hätten Beschäftigte mehr zur Verfügung, würde es eine flächendeckende Tarifbindung geben. Betrachtet man die Gesamtkosten der Tarifflucht, belaufen sich diese auf 31 Milliarden Euro im Osten und 99 Milliarden Euro im Westen. DGB / Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage Sonderauswertung Statistisches Bundesamt, VSE 2022
Dieser Zustand ist inakzeptabel und muss aktiv bekämpft werden. Deshalb setzt sich der DGB weiterhin dafür ein, dass die Tarifflucht bekämpft wird. Wir brauchen eine Wende hin zu mehr Tarifbindung – eine Tarifwende!
Auch die Arbeitgeber müssen dafür in die Pflicht genommen werden. Mitgliedschaften in Verbänden „ohne Tarifbindung“ (OT) müssen zurückgedrängt werden. Die Mitgliedschaft in einem Verband geht auch mit einer Verantwortung zu Fairness und Tarifpartnerschaft einher. Außerdem muss die Allgemeinverbindlicherklärung für Tarifverträge gestärkt werden, damit Tarifverträge einfacher auf alle Unternehmen einer Branche Anwendung finden können.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, durch ein Bundestariftreuegesetz, neue Regeln für die Fortgeltung von Tarifverträgen bei Betriebsausgliederungen und durch ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften in Betrieben für mehr Tarifbindung und Tarifanwendung zu sorgen. Dies muss nun alles schnell auf den Weg gebracht werden. Die Bundesregierung hat zudem noch genau ein Jahr Zeit, um die europäische Mindestlohnrichtlinie umzusetzen, die einen „Aktionsplan zur Förderung der Tarifbindung“ vorschreibt.
Der DGB wird in den kommenden Jahren nicht lockerlassen, um die Tarifbindung zu stärken und startet dazu eine Kampagne. Mehr Infos unter: www.tarifwende.de.
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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