Nach aktuellen Konjunkturprognosen ist Deutschland das einzige große westliche Industrieland mit einem negativen Wirtschaftswachstum. Was es jetzt braucht sind höhere Investitionen. Doch die Leitzinserhöhung der EZB und die restriktive Finanzpolitik der Bundesregierung bremsen diese aus. Statt Sparzwang braucht es mehr Anreize zur Ausweitung von Investitionen.
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In den vergangenen Tagen sind mehrere neue Konjunkturprognosen erschienen. Sowohl die Bundesregierung als auch der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichten ihre Vorausschau auf die wirtschaftliche Entwicklung. Beide sind sich einig: Die Lage ist schlechter als bislang angenommen.
Der IWF korrigierte seine Prognose vom Juli um 0,2 Prozentpunkte nach unten und geht jetzt davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2023 um ein halbes Prozent schrumpft. Deutschland ist dann das einzige große westliche Industrieland mit negativem Wirtschaftswachstum. Vergleichbaren Ländern, wie Frankreich, Spanien und den USA werden positive Wachstumsraten vorausgesagt. Die Bundesregierung geht für Deutschland von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um preisbereinigt 0,4 Prozent im laufenden Jahr aus. Vor einem halben Jahr hatte sie noch ein Wachstum von 0,4 Prozent erwartet.
Deutschland kämpft mit vielen Problemen gleichzeitig: Die Exportnachfrage aus dem Ausland schwächelt. Die weltweit gestiegenen Zinsen belasten auch die Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern. Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise haben nicht nur Probleme bei der Energieversorgung und in Lieferketten geschaffen. Die hohe Inflation und die seit Jahren sinkenden Reallöhne drücken auch die Konsumnachfrage.
Obwohl die Inflationsraten in der Eurozone und Deutschland deutlich zurückgehen, erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen übertrieben stark und bremst damit die Investitionen in Deutschland. Hinzu kommt jetzt auch noch eine restriktive Fiskalpolitik, die die Lage verschlimmert. Die Bundesregierung sagt in ihrer Projektion einen Rückgang der staatlichen Konsumausgaben um preisbereinigt 2,2 Prozent voraus. Der Entwurf des Bundeshaushalts enthält deutliche Kürzungen im Vergleich zu den Vorjahren. Gemessen am BIP liegen die Ausgaben kaum höher als vor Corona.
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Der Bundesfinanzminister rechtfertigt das mit einer angeblich notwendigen "Rückkehr zu finanzpolitischer Normalität". Er will damit andeuten, die Krise sei vorbei, der Staat müsse nicht mehr stabilisieren, sondern sparen. Das Gegenteil ist richtig: Wie stark der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise die deutsche Konjunktur nach wie vor belasten, zeigt der Vergleich der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung mit der Entwicklung, wie sie kurz vor dem russischen Angriff erwartet worden war. Damals – im Januar 2022 – ging die Bundesregierung noch von einem stetigen Wachstum in den folgenden Monaten und Jahren aus. Heute ist klar, dass die Wirtschaftsleistung bei unveränderter Geld- und Fiskalpolitik gut 3 Prozent unter dem früher erwarteten Niveau liegen wird (siehe Grafik).
Deutschland ist nach wie vor mit erheblichen Krisen konfrontiert. Allein deshalb wäre es sinnvoll, die Schuldenbremse erneut auszusetzen und fiskalpolitisch gegenzusteuern, anstatt die Rezession durch einen Sparkurs noch zu befördern. Hinzu kommen die immer deutlicher werdenden Mängel in der öffentlichen Infrastruktur, neue globale Herausforderungen und die immer drängendere sozial-ökologische Transformation.
Statt Sparzwang braucht es eine Ausreizung aller Möglichkeiten zur Ausweitung von Investitionen. Das trägt langfristig zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und zu einem solidarischen
Zusammenhalt in der Gesellschaft bei. Kurzfristig stabilisiert es auch die schwache Konjunktur.
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