Deutscher Gewerkschaftsbund

20.02.2024
Finanzpolitik

Schuldenbremse, Schwarze Null und Investitionen

Warum der Sparkurs unserem Land schadet

Schuldenbremse, Ausgeglichener Haushalt, Schwarze Null: Was genau ist das alles? Und warum ist der aktuelle Sparkurs der Bundesregierung schädlich für Konjunktur, Wirtschaft und Gesellschaft? Alle Infos und Hintergünde - und unsere Forderungen und Alternativen. Damit Deutschland nicht kaputtgespart wird, sondern auch in Zukunft wettbewerbsfähig und lebenswert ist.

"Deutschland hat kein allgemeines Konjunkturproblem, sondern ein Investitionsproblem"

Die Bundesregierung senkt die Wachstumsprognose, die Wirtschaft stagniert. Höchste Zeit, sich endlich von der lähmenden Schuldenbremse zu verabschieden, die Nachfrage durch massive Investitionen zu stärken und die Energiepreise zu dämpfen. 

Portrait Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

DGB/Benno Kraehahn

"Deutschland hat kein allgemeines Konjunkturproblem, sondern ein Investitionsproblem. Mit der Gießkanne jetzt Steuergeschenke zu verteilen wäre daher sogar kontraproduktiv. Mit Investitionsprämien und -verträgen sowie verbesserten Abschreibemöglichkeiten müssen stattdessen private Investitionen angeregt werden. Der Staat muss seinerseits die Energiepreise dämpfen und von zusätzlichen Abgaben und Steuern befreien. Und für die öffentliche Infrastruktur muss endlich ein überzeugendes Investitionsprogramm her – für Energietrassen, Mobilität und Bildung.

Eine Schuldenbremse, die selbst bei weltweit niedrigster Staatsschuldenquote und unterdurchschnittlichen Staatsausgaben solche Staatstätigkeiten verhindert, ist daher völlig aus der Zeit gefallen. Es muss jetzt von allen verantwortlichen Demokraten schnell eine haushaltspolitische Lösung gefunden werden für eine Investitionsoffensive, um Deutschland nicht kaputt zu sparen.“

DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, 20.02.2024

Portrait Stefan Körzell

DGB/Simone M. Neumann

"Die Bundesregierung stellt sich mit ihrer aktuellen Sparpolitik selbst ein Bein. Das wird angesichts der erneut nach unten korrigierten Prognose immer deutlicher. Die deutsche Konjunktur braucht kurzfristig eine Stärkung der Nachfrage – gerade durch mehr staatliche Ausgaben. Außerdem braucht es umfassende öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung und wirtschaftliche Modernisierung um Deutschland auch langfristig Wettbewerbs- und Zukunftsfähig zu machen. Bundesregierung und Opposition sollten jetzt gemeinsam die Investitionsbremse im Grundgesetz lösen, die Schuldenregel reformieren und damit aktiv Arbeitsplätze schaffen und sichern.     

Die Vorschläge des Finanzministers zur Wirtschaftswende sind dagegen nichts anderes als Wirtschafts-Voodoo. Seine Rezepte würden Deutschland keinen Millimeter voranbringen: Die Abschaffung des Solis für Spitzenverdienende macht die reichsten zehn Prozent noch reicher, erschwert aber die notwendige Finanzierung einer modernen öffentlichen Infrastruktur. Bürokratieabbau klingt sympathisch, verkauft aber kein einziges deutsches Auto oder Industrieprodukt und steigert auch nicht die Nachfrage nach Dienstleistungen."

DGB-Vorstand Stefan Körzell, 15.02.2024

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Bundesverfassungsgerichtsurteil von November 2023

Welche Folgen hat das Urteils des Bundesverfassungsgerichts für Schuldenbremse und Investitionen?

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 15. November 2023 ein Urteil zum sogenannten Nachtragshaushalt 2021 mit weitreichenden Folgen gefällt. Die Höhe der Neuverschuldung des Bundes und der Länder wird durch die grundgesetzliche Schuldenbremse beschränkt. Die Begrenzung der Kreditaufnahme kann aber in außergewöhnlichen Notsituationen aufgehoben werden (Sonderregelung für Krisen und Notlagen). Solche Notsituationen wurden in der Corona- und in der Energiekrise erklärt.

Das Verfassungsgericht legt den Begriff der Notlage nun sehr eng aus:

  • So muss die Notsituation unvorhersehbar sein und wie ein Schock auf die Volkswirtschaft – die öffentlichen Finanzen und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – wirken.
  • Außerdem muss zwischen der Notlagensituation und den extra aufgenommenen Krediten zur Bewältigung dieses Schocks ein engerer Zusammenhang bestehen, der präzise begründet werden muss.

Der Gesetzgeber muss jetzt also genau darlegen, mit welchen durch diese Kredite finanzierten Maßnahmen er auf welche Art und Weise die Notlage bekämpfen möchte. Diese neue Auslegung bedeutet wahrscheinlich, dass die Klimakrise selbst keine Notlage im Sinne der Schuldenbremse ist. Denn sie ist seit vielen Jahren bekannt. Was aber nicht bedeutet, dass Politik nicht massiv gegensteuern und Klimaschutz betreiben muss, denn das hat das Verfassungsgericht bereits 2021 klar gemacht: Die Rechte künftiger Generationen müssen gewahrt bleiben und Deutschland seinen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten. Dazu gehören auch massive Investitionen.

Darüber hinaus spricht das Gericht den Haushaltsprinzipien der "Jährigkeit" und "Jährlichkeit" durch das Urteil einen Verfassungsrang zu. Das bedeutet, dass Kredite in dem Jahr verwendet werden müssen, in dem sie bereitgestellt wurden (Jährigkeit). Man darf also aus der Not heraus keine Rücklagen für spätere Jahre bilden. Damit wird eine überjährliche Nutzung von Krediten ausgeschlossen und somit eine langfristige Planungssicherheit z.B. zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen erschwert. Anstatt in Legislaturperioden zu denken, muss nun in Haushaltsjahren gedacht werden, denn die entsprechenden Gelder müssen jedes Jahr neu vom Parlament beschlossen werden. Allerdings könnte die Notlage bei angemessener Begründung theoretisch jedes Jahr neu ausgerufen werden.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte den 2. Nachtragshaushalt 2021 für nichtig, denn dieser verschob ungenutzte Corona-Kredite aus dem Jahr 2021 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), um aus diesem Sondervermögen in den nächsten Jahren Maßnahmen für den Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft zu finanzieren. Auch andere Sondervermögen auf Bundes- und Länderebene sind davon betroffen und müssen nun überarbeitet werden.

So ist zum Beispiel der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), umgangssprachlich auch als "Doppel-Wumms" bekannt, vom Urteil betroffen. Aus diesem Sondervermögen werden die Gas- und Strompreisbremsen im Jahr 2023 finanziert – mit Mitteln, die aus den Vorjahren stammen.

Reaktion der Bndesregierung auf Urteil zum Nachtragshaushalt

Die Bundesregierung hat nun nach dem Urteil mit einem Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 reagiert. Es wurde eine erneute Notlage mit Bezug zur Energiekrise definiert und die Schuldenbremse auch für 2023 noch einmal ausgesetzt. So können die in diesem Jahr bereits ausgegeben Gelder aus dem KTF und dem WFS über neue Kredite abgesichert werden. Sie wurden nun im "richtigen" Haushaltsjahr aufgenommen. Doch wie geht es jetzt weiter? Im nächsten Jahr und den darauffolgenden?

Die Möglichkeit, langfristige Investitionen aus mehrjährigen Sondervermögen zu finanzieren, gibt es nicht mehr. Wie die Bundesregierung mit den für die kommenden Jahre angekündigten Investitionsprojekten, Subventionen und Förderprogrammen vor allem im Klimabereich umgehen wird, wird sich im überarbeiteten Haushaltsentwurf 2024 und dem Finanzplan für die Folgejahre zeigen.

Foto von DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, daneben Zitat: „Wer heute bei Sozial-ausgaben und drängenden Zukunfts-investitionen kürzt, bremst die Zukunft aus. Mit der Schwarzen Null ist kein Staat zu machen.“

Kurzfristig muss die Schuldenbremse ausgesetzt, langfristig reformiert werden, stellt unser Vorstandsmitglied Stefan Körzell angesichts der Haushaltssperre klar. DGB/Simone M. Neumann

Unsere Forderung: Schuldenbremse aussetzen

Für uns ist klar: Kürzungen sind keine Lösung! Zukunftsinvestitionen und Sozialstaat dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Jetzt den Rotstift anzusetzen, bedeutet, Zusammenhalt und Demokratie zu gefährden und die Zukunftsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Investitionen in die Daseinsvorsorge also in Schulen, Kitas und Gesundheit sind genauso nötig wie die Modernisierung der Infrastrukturen und Industrien.

Daher muss mindestens auch in 2024 eine Notlage erklärt und die Schuldenbremse ausgesetzt werden.

Was ist die Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse ist ein finanzpolitisches Instrument. Die Schuldenbremse soll dafür sorgen, dass Bund und Länder nicht wesentlich mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Sie begrenzt die Höhe der Neuverschuldung. Genauer gesagt: der sogenannten strukturellen Neuverschuldung. Hierfür wird die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung (Konjunktur) berücksichtigt bzw. herausgerechnet.

Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund jährlich neue Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu machen. Gemessen am BIP von 2022 bedeutet das z. B., dass der Bund Kredite von höchstens 13,5 Milliarden Euro aufnehmen dürfte.

Das gilt jedoch nur bei einer "normalen" Konjunktur. Gibt es beispielsweise einen Abschwung, ist der Spielraum für neue Schulden geringer. Das ist ein Problem, denn dadurch kann der Staat nicht in dem Umfang gegensteuern, der nötig wäre, um die Menschen bedarfsgerecht zu entlasten und die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Abschwungstendenz wird verstärkt. Das liegt daran, dass die Berechnungsmethode für die Neuverschuldung den finanziellen Spielraum systematisch falsch bemisst. Die Finanzpolitik wirkt somit prozyklisch. Weitere Infos: Warum die Schuldenbremse der Konjunktur schadet.

Finanzplanung und Haushalt

Um die Einnahmen und Ausgaben zu planen, erstellt der Bund einen Haushalt für das kommende Jahr sowie einen Finanzplan für die darauffolgenden 3 Jahre. Darin werden alle Einnahmen und Ausgaben erfasst. Zu den Einnahmen gehören in erster Linie Steuern wie zum Beispiel Lohn- und Einkommensteuer, Energiesteuer oder Tabaksteuer. Die Ausgaben umfassen unter anderem Sozialleistungen sowie Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Klimaschutz.

An der Haushalts- und Finanzplanung für die Bundesrepublik Deutschland sind alle Bundesministerien beteiligt, federführend ist das Bundesministerium der Finanzen.

  • Der Haushaltsentwurf wird zunächst vom Bundeskabinett beschlossen und geht dann in das parlamentarische Verfahren.
  • Hier berät und beschließt der Bundestag unter Beteiligung des Bundesrats die geplanten Einnahmen und Ausgaben.
  • Durch die Unterschrift des Bundespräsidenten wird der Haushaltsentwurf zum Gesetz.
  • Seit 2011 wird bei diesem Prozedere die Schuldenbremse berücksichtigt.

Im Zuge der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde die Schuldenbremse seit 2020 ausgesetzt. Hierfür wurde eine Sonderregelung genutzt, um die notwendigen Entlastungs- und Stabilisierungsmaßnahmen über Kredite zu finanzieren. So konnten die Auswirkungen der Krisen für viele Menschen und die Wirtschaft abgefedert werden (mehr dazu in unserem Newsletter klartext Nr. 27/2022).

Im Jahr 2023 sollte die Schuldenbremse zunächst wieder greifen. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 musste die Haushaltsaufstellung für dieses Jahr angepasst werden, um verfassungskonform zu sein. Im Zuge eines Nachtragshaushaltes für 2023 wurde erneut eine Notlage erklärt und die Schuldenbremse ausgesetzt.

Die Schuldenbremse im Gesetz

Die Schuldenbremse für den Bund gilt seit 2016. Im Jahr 2009 wurde sie im Grundgesetz verankert. In den Jahren zuvor waren die Schulden stetig gewachsen, unter anderem durch die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Bankenrettung hatte die öffentlichen Schulden in Deutschland, aber auch in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten, kräftig ansteigen lassen.

Mit der Schuldenbremse sollte der Haushalt per Gesetz wieder in Ordnung gebracht werden. Seit 2016 müssen sich Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich die Waage halten; für den Bund ist maximal eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des BIP erlaubt. Seit dem Jahr 2020 gilt auch für die Bundesländer eine Schuldenbremse, die je nach Bundesland unterschiedlich ausgestaltet ist. Allen gleich ist, dass eine Kreditaufnahme den Bundesländern komplett untersagt ist. Finanzielle Spielräume ergeben sich nur noch über Umwege.

Sonderregelung für Krisen und Notlagen – Beispiel Corona und Energiepreiskrise

Da die Schuldenbremse Teil der Verfassung ist, darf sie nur in absoluten Notlagen gelockert werden, etwa bei wirtschaftlichen Schieflagen oder Naturkatastrophen. In diesem Fall muss es einen verbindlichen Plan für die Rückzahlung der zusätzlichen Schulden geben.

Die Corona-Pandemie sowie die Energiepreiskrise waren Notlagen, die die Bundesregierung richtigerweise dazu veranlassten, die Schuldenbremse auszusetzen und neue Kredite aufzunehmen. So betrug die Neuverschuldung (Nettokreditaufnahme) in diesen Krisenjahren 130,5 Milliarden Euro (2020), 215,4 Milliarden Euro (2021) und 138,9 Milliarden Euro (2022).    

Die aufgenommenen Kredite wurden verwendet, um die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise für Bürger*innen und die Wirtschaft abzufedern. Dazu zählten u.a.:

  • Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen über bspw. Kurzarbeiter*innengeld
  • Kinderbonus und steuerliche Entlastungen
  • Hilfen für Unternehmen zur Überbrückung der Folgen der Lockdowns
  • Impfstoffbeschaffung und weitere pandemiebedingte Ausgaben
  • Finanzielle Entlastung von Kommunen
  • Die schrittweise Abschaffung der Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage (EEG)
  • Energiepreispauschalen
  • Investitionsmittel für Kitas, Schulen, Krankenhäuser etc.

Ursprünglich sollte die Schuldenbremse im Jahr 2023 wieder eingehalten werden, obwohl die Auswirkungen der Energiepreiskrise und der Kriege weiterhin anhielten. Die nötigen Entlastungsmaßnahmen wie bspw. Strom- und Gaspreisbremsen sollten über ungenutzte Gelder aus dem Jahr 2022 finanziert werden. Ebenso sollten wichtige Effizienzmaßnahmen und Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft mit diesen Mitteln finanziert werden. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden und schaffen damit Abhilfe gegen die Folgen hoher Energiepreise.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 ist jedoch klar, dass nicht genutzte Gelder aus den Vorjahren nicht automatisch in die nächsten Jahre mitgenommen werden können (Prinzip der Jährigkeit). Die Bundesregierung muss diese Mittel jedes Jahr neu beschließen und mit einem bestimmten Zweck versehen. Damit war der ursprüngliche Bundeshaushalt nicht mehr haltbar und musste angepasst werden. Um die Mittel für die Energiepreisbremsen und andere Maßnahmen, die in 2023 bereits bezahlt wurden, abzusichern, musste die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden.

Was ist (war) die Schwarze Null?

Die "Schwarze Null" geht noch einen Schritt weiter als die Schuldenbremse. Während die Schuldenbremse immer noch Neuverschuldung zulässt – wenn auch in stark begrenzter Höhe – muss bei der Schwarzen Null der Haushalt ausgeglichen sein. Das heißt: Die Ausgaben dürfen die Einnahmen nicht überschreiten.

Das war in Deutschland 2014 zum ersten Mal nach 45 Jahren der Fall. Seitdem wurde bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie jedes Jahr eisern an der Schwarzen Null festgehalten. Gab es zu Beginn der Krise noch Forderungen, so schnell wie möglich zur Schwarzen Null zurückzukehren, sobald die Krise überstanden ist, ist angesichts der vielen Krisen, die bewältigt werden müssen, davon mittlerweile zum Glück nicht mehr die Rede.

Anders als die Schuldenbremse ist die Schwarze Null keine gesetzliche Verpflichtung, sondern lediglich ein politisches Bekenntnis.

Warum sind Schuldenbremse und Schwarze Null eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft?

Ein ausgeglichener Haushalt: das klingt erstmal gut. Und tatsächlich hat sich der Sparkurs der Regierung vor 2020 positiv auf die Bonität der Bundesrepublik auswirkt. Die europäischen Schuldenregeln wurden eingehalten, 2019 zum ersten Mal seit 2002 auch die Schuldenquote von 60 Prozent des BIP.

Trotzdem ist die Schuldenbremse hoch umstritten. Der Grund: wegen des strikten Sparkurses wurden dringend nötige Investitionen nicht getätigt, zum Beispiel in die Infrastruktur oder den Bildungsbereich. Die Digitalisierung geht nach wie vor nur schleppend voran. Auch das haben die letzten Jahre sehr deutlich gemacht. Maßnahmen zum Schutz des Klimas, wie der Ausbau der Erneuerbarer Energien und der Netze, wurden nicht umgesetzt. Die Auswirkungen der verschleppten Energiewende wurden für Bevölkerung und Wirtschaft seit Ausbruch des Ukrainekrieges ganz besonders spürbar.

Auch der DGB fordert eine Abkehr von der Schuldenbremse – und stattdessen eine Investitionsoffensive.

Investitionen für Gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt

Jetzt investieren – für Gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt

Um die Fehler der vergangenen Jahrzehnte zu beheben, die brennenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern und die Konjunktur zu stabilisieren, braucht es ein großangelegtes, verlässliches öffentliches Investitionsprogramm. Denn öffentliche Investitionen stärken den sozialen Zusammenhalt und fördern gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland. Sie sichern die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft – und damit Wertschöpfung und die guten Arbeitsplätze von morgen.

Es gibt zudem breite gesellschaftliche Mehrheiten dafür, diese längst überfälligen Investitionen zu realisieren. Diese sind allerdings nur finanzierbar, wenn die ideologischen Schuldenregeln flexibilisiert werden. Vor allem in den Bereichen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheidend sind, wie lebenswerte Städte und Gemeinden, bezahlbarer Wohnraum, bedarfsorientierter Nahverkehr, Krankenhäuser, Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie ein hochwertiges Bildungssystem, wurde in den letzten Jahren viel zu wenig getan. Der akute Handlungsbedarf, gerade auch im Gesundheits- und Bildungswesen, wurde durch die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Was es braucht, um handlungsfähige Kommunen zu schaffen, steht auf unserer Themenseite "Kommunen mit Zukunft".

Finanzielle Situation von Städten und Gemeinden

Finanzielle Situation von Städten und Gemeinden hat sich in Energiepreiskrise verschlechtert

Viele dieser dringend notwendigen Investitionen werden auf kommunaler Ebene getätigt. Deshalb muss die Handlungsfähigkeit der Gemeinden gesichert werden. Das bedeutet: dringend die Altschulden-Problematik lösen und dauerhaft die Einnahmebasis stärken. Trotz Rettungsmaßnahmen hat sich die finanzielle Situation der Kommunen durch die Krise massiv verschlechtert.

Schon Anfang des Jahres 2022 gab eine Vielzahl von Kommunen an, dass die steigenden Energiepreise für sie gar nicht oder kaum noch tragbar sind. Mögliche Folgen: Schulen und öffentliche Gebäude wie Bibliotheken oder Verwaltungen konnten nicht mehr so stark beheizt werden, energieintensive Infrastrukturen wie Schwimmbäder oder Turnhallen konnten unter Umständen nur eingeschränkt betrieben oder mussten ganz geschlossen werden. So richtig diese Maßnahmen waren, als es darum ging, möglichst viel Energie einzusparen, um auch ohne russische Gaslieferungen über den Winter 2022/2023 zu kommen, so zentral ist es, diese Infrastrukturen nicht aufgrund vermeintlicher Sparzwänge dauerhaft geschlossen zu halten.

Zudem brauchen Kommunen Zugriff auf bebaubare Flächen, um Investitionsprojekte realisieren zu können. Die explodierenden Bodenpreise in den Städten schränken die Handlungsfähigkeit der Kommunen stark ein. Wir fordern, das kommunale Vorkaufsrecht zu stärken und den Kommunen schärfere planungsrechtliche Instrumente an die Hand zu geben (mehr in unserem Newsletter klartext Nr. 7/2020).

Investitionen für Klimaschutz und unsere Zukunft

Jetzt investieren – für Klimaschutz und langfristige Perspektiven

Gleichzeitig kann eine sozial und (geschlechter-)gerechte, ökologische Transformation unserer Wirtschaft angesichts von Klimawandel, veränderter Globalisierung und Digitalisierung nur mit mehr öffentlichen Investitionen gelingen. Auch eine aktive Industrie-, Dienstleistungs- und Strukturpolitik sowie eine bedarfsgerechte Ausweitung von Qualifizierungs- und Weiterbildungskapazitäten sind hierbei unverzichtbar (unser Newsletter klartext Nr. 40/2022).

Denn: die Corona-Pandemie und die Energiepreiskrise haben den Strukturwandel nicht gebremst, sondern teilweise sogar beschleunigt und neue Handlungsfelder offengelegt. Deshalb müssen Investitionen dringend ausgeweitet werden: in den Breitbandausbau, eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, eine beschleunigte und bezahlbare Energiewende, den Klima- und Umweltschutz, Smarte Städte, in Forschung und Entwicklung.

Öffentliche Gelder müssen verlässlich zur Verfügung stehen, sodass Planungssicherheit beispielsweise in der Baubranche oder in Handwerksbetrieben herrscht. Nur so kann erreicht werden, dass genügend Kapazitäten aufgebaut werden, um die Investitionen und Projekte zu realisieren. Nicht zuletzt werden so auch private Investitionen angeregt.

Investitionen in das öffentliche Personal

Jetzt investieren – auch in das öffentliche Personal

Außerdem gilt: Öffentliche Investitionen dürfen nicht zulasten von anderen Ausgaben gehen. Investitionen in Infrastruktur, Gebäude und Anlagen funktionieren nur mit mehr, gut bezahltem und qualifiziertem öffentlichen Personal. Hier zeigt wiederum das Beispiel des Baugewebes: Zur Verfügung stehende Gelder können nicht abgerufen werden, weil massiv Personal in den zuständigen Behörden fehlt und sich deshalb Genehmigungsverfahren teilweise über Jahre hinziehen. Auch weil die Baukonjunktur in Folge von gestiegenen Zinsen und Baukosten droht einzubrechen, ist es besonders wichtig, dass die öffentliche Hand hier schnell und verlässlich handelt.

So sind die Voraussetzung für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren eine umfassende Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltungsstrukturen sowie eine Vereinfachung von bürokratischen Verfahren. Insbesondere Doppelprüfungen gilt es zu vermeiden. Zudem braucht es ausreichend Personal und Fachwissen in den Planungsbehörden, um den Anforderungen gerecht zu werden. Entsprechende Weiterbildungsangebote und attraktive Arbeitsbedingungen sind hier der Schlüssel. Dabei ist sicherzustellen, dass Umweltprüfungen und die Beteiligung der betroffenen Bürger*innen nicht eingeschränkt werden.

Der Mangel an Erzieher*innen, Lehrer*innen, Pflegekräften und Personal im Öffentlichen Personennahverkehr sind andere Paradebeispiele, die zeigen, dass Investitionen in Gebäude, Anlagen und Infrastruktur nur sinnvoll funktionieren können, wenn auch das notwendige öffentliche Personal vorhanden ist. Personalausgaben können und sollten über ein gerechteres Steuersystem finanziert werden, während Investitionen in Infrastruktur sinnvollerweise über Kredite finanziert werden.

Klar ist: Zur Erfüllung der Zukunftsaufgaben braucht es einen klugen Mix aus allem. Nur dann erfahren die Bürger*innen vor Ort ganz praktisch, dass sich etwas zum Besseren bewegt. So können der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert und die Zukunftsfähigkeit des Landes gesichert werden. Die Tilgung der Schulden, die zur Bewältigung der Krisen aufgenommenen wurden, darf deshalb nicht zu Sozialabbau führen, für Einsparungen im öffentlichen Dienst missbraucht werden oder wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge und die sozial-ökologische Transformation behindern.

Die Argumentation, Schulden seien nicht im Sinne künftiger Generationen, ist deshalb haltlos. Im Gegenteil: wird hier gespart, kommt es ihr wesentlich teurer zu stehen.


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