Schuldenbremse? Ausgeglichener Haushalt? Schwarze Null? Was genau ist das alles? Warum ist ein Sparkurs schädlich für Konjunktur, Wirtschaft und Gesellschaft – was braucht es stattdessen? Und warum sollte mich das interessieren? Alle Hintergründe und Positionen des DGB im Überblick.
DGB/Abdul Razak Latif/123rf.com
Die Schuldenbremse ist ein finanzpolitisches Instrument. Die Schuldenbremse soll dafür sorgen, dass Bund und Länder nicht wesentlich mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Sie begrenzt die Höhe der Neuverschuldung. Genauer gesagt: der sogenannten strukturellen Neuverschuldung. Hierfür wird die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung (Konjunktur) berücksichtigt bzw. herausgerechnet.
Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund jährlich neue Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu machen. Gemessen am BIP von 2022 bedeutet das z. B., dass der Bund Kredite von höchstens 13,5 Milliarden Euro aufnehmen dürfte. Das gilt jedoch nur bei einer "normalen" Konjunktur. Gibt es beispielsweise einen Abschwung, ist der Spielraum für neue Schulden geringer. Das ist ein Problem, denn dadurch kann der Staat nicht in dem Umfang gegensteuern, der nötig wäre, um die Menschen bedarfsgerecht zu entlasten und die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Abschwungstendenz wird verstärkt. Das liegt daran, dass die Berechnungsmethode für die Neuverschuldung den finanziellen Spielraum systematisch falsch bemisst. Die Finanzpolitik wirkt somit prozyklisch. Weitere Infos dazu gibt es hier.
Um die Einnahmen und Ausgaben zu planen, erstellt der Bund einen Haushalt für das kommende Jahr sowie einen Finanzplan für die darauffolgenden drei Jahre. Darin werden alle Einnahmen und Ausgaben erfasst. Zu den Einnahmen gehören in erster Linie Steuern wie zum Beispiel Lohn- und Einkommensteuer, Energiesteuer oder Tabaksteuer. Die Ausgaben umfassen unter anderem Sozialleistungen sowie Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Klimaschutz.
An der Haushalts- und Finanzplanung für die Bundesrepublik Deutschland sind alle Bundesministerien beteiligt, federführend ist das Bundesministerium der Finanzen. Der Haushaltsentwurf wird zunächst vom Bundeskabinett beschlossen und geht dann in das parlamentarische Verfahren. Hier berät und beschließt der Bundestag unter Beteiligung des Bundesrats die geplanten Einnahmen und Ausgaben. Durch die Unterschrift des Bundespräsidenten wird der Haushaltsentwurf zum Gesetz. Seit 2011 wird bei diesem Prozedere die Schuldenbremse berücksichtigt.
Im Zuge der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde die Schuldenbremse seit 2020 ausgesetzt. Hierfür wurde eine Sonderregelung (siehe Abschnitt Sonderregelung) genutzt, um die notwendigen Entlastungs- und Stabilisierungsmaßnahmen über Kredite zu finanzieren. So konnten die Auswirkungen der Krisen für viele Menschen und die Wirtschaft abgefedert werden (mehr dazu im klartext Nr. 27/2022). Im Jahr 2023 greift die Schuldenbremse wieder.
Die Schuldenbremse für den Bund gilt seit 2016. Im Jahr 2011 wurde sie im Grundgesetz verankert. In den Jahren zuvor waren die Schulden stetig gewachsen, unter anderem durch die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Bankenrettung hatte die öffentlichen Schulden in Deutschland, aber auch in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten, kräftig ansteigen lassen.
Mit der Schuldenbremse sollte der Haushalt per Gesetz wieder in Ordnung gebracht werden. Seit 2016 müssen sich Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich die Waage halten; für den Bund ist maximal eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des BIP erlaubt. Seit dem Jahr 2020 gilt auch für die Bundesländer eine Schuldenbremse, die je nach Bundesland unterschiedlich ausgestaltet ist. Allen gleich ist, dass eine Kreditaufnahme den Bundesländern komplett untersagt ist. Finanzielle Spielräume ergeben sich nur noch über Umwege, z.B. in Form von sogenannten Sondervermögen.
Da die Schuldenbremse Teil der Verfassung ist, darf sie nur in absoluten Notlagen gelockert werden, etwa bei wirtschaftlichen Schieflagen oder Naturkatastrophen. In diesem Fall muss es einen verbindlichen Plan für die Rückzahlung der zusätzlichen Schulden geben.
Die Corona-Pandemie sowie die Energiepreiskrise waren Notlagen, die die Bundesregierung richtigerweise dazu veranlassten, die Schuldenbremse auszusetzen und neue Kredite aufzunehmen. So betrug die Neuverschuldung (Nettokreditaufnahme) in diesen Krisenjahren 130,5 Milliarden Euro (2020), 215,4 Milliarden Euro (2021) und 138,9 Milliarden Euro (2022).
Die aufgenommenen Kredite wurden verwendet, um die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise für Bürger*innen und die Wirtschaft abzufedern. Dazu zählten u.a.:
Laut dem Bundeshaushalt 2023 wird in diesem Jahr die Schuldenbremse wieder eingehalten. Die Neuverschuldung wird entsprechend sehr viel geringer ausfallen und ist mit 45,6 Milliarden Euro angesetzt (klartext Nr. 25/2023).
Die "Schwarze Null" geht noch einen Schritt weiter als die Schuldenbremse. Während die Schuldenbremse immer noch Neuverschuldung zulässt – wenn auch in stark begrenzter Höhe – muss bei der Schwarzen Null der Haushalt ausgeglichen sein. Das heißt: Die Ausgaben dürfen die Einnahmen nicht überschreiten. Das war in Deutschland 2014 zum ersten Mal nach 45 Jahren der Fall. Seitdem wurde bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie jedes Jahr eisern an der Schwarzen Null festgehalten. Gab es zu Beginn der Krise noch Forderungen, so schnell wie möglich zur Schwarzen Null zurückzukehren, sobald die Krise überstanden ist, ist angesichts der multiplen Krisen, die bewältigt werden müssen, davon mittlerweile zum Glück nicht mehr die Rede.
Anders als die Schuldenbremse ist die Schwarze Null keine gesetzliche Verpflichtung, sondern lediglich ein politisches Bekenntnis.
Ein ausgeglichener Haushalt: das klingt erstmal gut. Und tatsächlich hat sich der Sparkurs der Regierung vor 2020 positiv auf die Bonität der Bundesrepublik auswirkt. Die europäischen Schuldenregeln wurden eingehalten, 2019 zum ersten Mal seit 2002 auch die Schuldenquote von 60 Prozent des BIP.
Trotzdem ist die Schuldenbremse hoch umstritten. Der Grund: wegen des strikten Sparkurses wurden dringend nötige Investitionen nicht getätigt, zum Beispiel in die Infrastruktur oder den Bildungsbereich. Die Digitalisierung geht nach wie vor nur schleppend voran. Auch das haben die letzten Jahre sehr deutlich gemacht. Maßnahmen zum Schutz des Klimas, wie der Ausbau der Erneuerbarer Energien und der Netze, wurden nicht umgesetzt. Die Auswirkungen der verschleppten Energiewende wurden für Bevölkerung und Wirtschaft seit Ausbruch des Ukrainekrieges ganz besonders spürbar.
Auch der DGB fordert eine Abkehr von der Schuldenbremse – und stattdessen eine Investitionsoffensive.
Um die Fehler der vergangenen Jahrzehnte zu beheben, die brennenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern und die Konjunktur zu stabilisieren, braucht es ein großangelegtes, verlässliches öffentliches Investitionsprogramm. Denn öffentliche Investitionen stärken den sozialen Zusammenhalt und fördern gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland. Sie sichern die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft – und damit Wertschöpfung und die guten Arbeitsplätze von morgen.
Es gibt zudem breite gesellschaftliche Mehrheiten dafür, diese längst überfälligen Investitionen zu realisieren. Diese sind allerdings nur finanzierbar, wenn die ideologischen Schuldenregeln flexibilisiert werden. Vor allem in den Bereichen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entscheidend sind, wie lebenswerte Kommunen, bezahlbarer Wohnraum, bedarfsorientierter Nahverkehr, Krankenhäuser, Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie ein hochwertiges Bildungssystem, wurde in den letzten Jahren viel zu wenig getan. Der akute Handlungsbedarf, gerade auch im Gesundheits- und Bildungswesen, wurde durch die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Was es braucht, um handlungsfähige Kommunen zu schaffen, steht auf unserer Themenseite "Kommunen mit Zukunft".
Viele dieser dringend notwendigen Investitionen werden auf kommunaler Ebene getätigt. Deshalb muss die Handlungsfähigkeit der Gemeinden gesichert werden. Das bedeutet: dringend die Altschulden-Problematik lösen und dauerhaft die Einnahmebasis stärken. Trotz Rettungsmaßnahmen hat sich die finanzielle Situation der Kommunen durch die Krise massiv verschlechtert. Schon Anfang des Jahres 2022 gab eine Vielzahl von Kommunen an, dass die steigenden Energiepreise für sie gar nicht oder kaum noch tragbar sind. Mögliche Folgen: Schulen und öffentliche Gebäude wie Bibliotheken oder Verwaltungen konnten nicht mehr so stark beheizt werden, energieintensive Infrastrukturen wie Schwimmbäder oder Turnhallen konnten unter Umständen nur eingeschränkt betrieben oder mussten ganz geschlossen werden. So richtig diese Maßnahmen waren, als es darum ging, möglichst viel Energie einzusparen, um auch ohne russische Gaslieferungen über den Winter 2022/2023 zu kommen, so zentral ist es, diese Infrastrukturen nicht aufgrund vermeintlicher Sparzwänge dauerhaft geschlossen zu halten.
Zudem brauchen Kommunen Zugriff auf bebaubare Flächen, um Investitionsprojekte realisieren zu können. Die explodierenden Bodenpreise in den Städten schränken die Handlungsfähigkeit der Kommunen stark ein. Wir fordern, das kommunale Vorkaufsrecht zu stärken und den Kommunen schärfere planungsrechtliche Instrumente an die Hand zu geben (klartext Nr. 7/2020).
Gleichzeitig kann eine sozial und (geschlechter-)gerechte, ökologische Transformation unserer Wirtschaft angesichts von Klimawandel, veränderter Globalisierung und Digitalisierung nur mit mehr öffentlichen Investitionen gelingen. Auch eine aktive Industrie-, Dienstleistungs- und Strukturpolitik sowie eine bedarfsgerechte Ausweitung von Qualifizierungs- und Weiterbildungskapazitäten sind hierbei unverzichtbar (klartext Nr. 40/2022).
Denn: Die Corona-Pandemie und die Energiepreiskrise haben den Strukturwandel nicht gebremst, sondern teilweise sogar beschleunigt und neue Handlungsfelder offengelegt. Deshalb müssen Investitionen dringend ausgeweitet werden: in den Breitbandausbau, eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, eine beschleunigte und bezahlbare Energiewende, den Klima- und Umweltschutz, Smarte Städte, in Forschung und Entwicklung.
Öffentliche Gelder müssen verlässlich zur Verfügung stehen, sodass Planungssicherheit beispielsweise in der Baubranche oder in Handwerksbetrieben herrscht. Nur so kann erreicht werden, dass genügend Kapazitäten aufgebaut werden, um die Investitionen und Projekte zu realisieren. Nicht zuletzt werden so auch private Investitionen angeregt.
Außerdem gilt: Öffentliche Investitionen dürfen nicht zulasten von anderen Ausgaben gehen. Investitionen in Infrastruktur, Gebäude und Anlagen funktionieren nur mit mehr, gut bezahltem und qualifiziertem öffentlichen Personal. Hier zeigt wiederum das Beispiel des Baugewebes: Zur Verfügung stehende Gelder können nicht abgerufen werden, weil massiv Personal in den zuständigen Behörden fehlt und sich deshalb Genehmigungsverfahren teilweise über Jahre hinziehen. Auch weil die Baukonjunktur in Folge von gestiegenen Zinsen und Baukosten droht einzubrechen, ist es besonders wichtig, dass die öffentliche Hand hier schnell und verlässlich handelt.
So sind die Voraussetzung für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren eine umfassende Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltungsstrukturen sowie eine Vereinfachung von bürokratischen Verfahren. Insbesondere Doppelprüfungen gilt es zu vermeiden. Zudem braucht es ausreichend Personal und Fachwissen in den Planungsbehörden, um den Anforderungen gerecht zu werden. Entsprechende Weiterbildungsangebote und attraktive Arbeitsbedingungen sind hier der Schlüssel. Dabei ist sicherzustellen, dass Umweltprüfungen und die Beteiligung der betroffenen Bürger*innen nicht eingeschränkt werden.
Der Mangel an Erzieher*innen, Lehrer*innen, Pflegekräften und Personal im Öffentlichen Personennahverkehr sind andere Paradebeispiele, die zeigen, dass Investitionen in Gebäude, Anlagen und Infrastruktur nur sinnvoll funktionieren können, wenn auch das notwendige öffentliche Personal vorhanden ist. Personalausgaben können und sollten über ein gerechteres Steuersystem finanziert werden, während Investitionen in Infrastruktur sinnvollerweise über Kredite finanziert werden.
Klar ist: Zur Erfüllung der Zukunftsaufgaben braucht es einen klugen Mix aus allem. Nur dann erfahren die Bürger*innen vor Ort ganz praktisch, dass sich etwas zum Besseren bewegt. So können der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert und die Zukunftsfähigkeit des Landes gesichert werden. Die Tilgung der Schulden, die zur Bewältigung der Krisen aufgenommenen wurden, darf deshalb nicht zu Sozialabbau führen, für Einsparungen im öffentlichen Dienst missbraucht werden oder wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge und die sozial-ökologische Transformation behindern. Die Argumentation, Schulden seien nicht im Sinne künftiger Generationen, ist deshalb haltlos. Im Gegenteil: wird hier gespart, kommt es ihr wesentlich teurer zu stehen.