Deutscher Gewerkschaftsbund

03.05.2017
Frauen

60 Jahre Gleichberechtigungsgesetz: Ein langer Weg

Am 3. Mai 1957 hat der Bundestag das heftig umkämpfte Gleichberechtigungsgesetz beschlossen. "Ein wichtiger Meilenstein", sagt DGB-Vize Elke Hannack. Doch das Ziel sei noch lange nicht erreicht: Von wirklich gleicher Teilhabe von Mann und Frau in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft könne nach wie vor nicht die Rede sein.

Joggende Frau von hinten

DGB/lzflzf/123rf.com

Dieser Artikel ist erschienen im Evangelischen Pressedienst epd sozial am 3. Mai 2017

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt"

Mit dem Gleichberechtigungsgesetz wurde die Dominanz der Männer im Ehe- und Familienrecht 1957 erstmals deutlich beschnitten. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", heißt es kurz und bündig im Grundgesetz von 1949. Ein Leitsatz mit kalkulierter politischer Sprengkraft: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) war im Ehe- und Familienrecht voller patriarchalischer Bestimmungen.

Vor allem die vier Frauen, die das Grundgesetz 1949 mitverantworteten, setzten im Artikel 117 eine enge Frist für die nötigen Gesetzesreformen durch: "Bis zum 31. März 1953 ist die Gleichstellung der Frau zu verwirklichen und sind alle entgegenstehenden Bestimmungen aufzuheben." Tatsächlich dauerte es bis zum 3. Mai 1957.

Der schwere Abschied vom männerzentrierten Familienbild

Vor 60 Jahren wurde das Gleichberechtigungsgesetz beschlossen - nach einem denkwürdigen Hauen und Stechen auf der politischen Bühne. Denn es war höchst umstritten, wie der Gleichberechtigungs-Artikel 3, Absatz 2 auszulegen war. Und viele Parlamentarier quer durch die Parteien wollten nicht vom männerzentrierten Familienbild lassen.

Wie schwer es der Politik fiel, die patriarchalen Zöpfe aus der Zeit des Kaiserreiches abzuschneiden, belegte der damalige Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP): Der Rechtsanwalt bekannte 1951 in einem Interview, die Verwirklichung gleicher Rechte für Frauen und Männer sei "der Alptraum meiner schlaflosen Nächte".

Eine Frau leistet die Vorarbeit

Es war eine Frau, die die Vorarbeit zu einer verfassungskonformen Regelung erledigte: Oberlandesgerichtsrätin Maria Hagemeyer, 1927 erste Frau im Richteramt in Preußen. Sie identifizierte zahlreiche Bestimmungen im Familienrecht aus dem Jahr 1900, die die Vormachtstellung des Mannes stützten und folglich verschwinden müssten.

Die Juristin plädierte für ein gemeinsames Entscheidungsrecht in allen ehelichen und familiären Fragen. Ein für damalige Zeiten radikaler Ansatz: Der Ehemann hätte auf einen Schlag sämtliche Privilegien verloren, die bis dato als sogenanntes "Letztentscheidungsrecht" in Ehe und Erziehung geregelt waren.

Massiver Widerstand von Konservativen und Kirche

Es regte sich massiver Widerstand in konservativen Kreisen und bei der katholischen Kirche. Der Kölner Erzbischof Josef Frings warnte in einem Brief an Minister Dehler, die tradierte Eheordnung sei bedroht. Frings bezeichnete den Mann "als naturgemäßen Träger der von dem Ehe-Ordnungs-Prinzip geforderten Autorität". Die Frau sah der Kardinal primär am heimischen Herd.

Es zeichnete sich ab, dass die tiefgreifenden Differenzen nicht zügig auszuräumen waren. Kanzler Konrad Adenauer (CDU) beharrte auf dem sogenannten Stichentscheid - dem "Letztentscheidungsrecht" des Mannes in strittigen Ehefragen wie der Wahl des Wohnorts.

Teaser Elke Hannack

DGB/Simone M. Neumann

Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, zu 60 Jahren Gleichberechtigungsgesetz:

„Der Weg zur Gleichberechtigung von Frauen ist lang, das Ziel längst nicht erreicht. Aber das Gleichberechtigungsgesetz war ein wichtiger Meilenstein. Als der Deutsche Bundestag es am 3. Mai 1957 verabschiedete, ging nicht nur die mehrjährige Phase zu Ende, in der die überkommenen Vorschriften über Ehe und Familie durch das Bundesverfassungsgericht „außer Kraft“ gesetzt waren, weil sie gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes verstießen. Das Gesetz machte auch Schluss mit der Vorherrschaft des Mannes in Ehe und Familie. Beide Partner erhielten gleiche Rechte in ehelichen Angelegenheiten und in Fragen der Kindererziehung. Das Recht des Ehemannes, das Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kündigen, wurde abgeschafft, das eheliche Güterrecht geändert.

Trotzdem spiegelt sich bis heute das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe von Mann und Frau in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft längst nicht in allen Rechtsbereichen wider. Das Teilzeit- und Befristungsrecht z.B. eröffnet zwar die Möglichkeit, die Arbeitszeit zu reduzieren. Einen Anspruch, die Arbeitszeit auch wieder aufzustocken und in Vollzeitarbeit zurückzukehren, beinhaltet es aber nicht. Das wirkt sich für Frauen, die immer noch den Großteil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit schultern, nachteilig aus: beruflich, finanziell und bei der sozialen Sicherung – nicht zuletzt im Alter. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass viele Männer davor zurückschrecken, ihre Arbeitszeit zu reduzieren – obwohl wir aus Umfragen wissen, dass auch sie die Arbeit in Beruf und Familie eigentlich lieber partnerschaftlicher teilen würden.

Wer sich also der Weiterentwicklung des Teilzeitrechts verweigert, macht auch deutlich, dass er es mit dem Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung nicht so genau nimmt. Der DGB unterstützt jedenfalls den von Bundesarbeitsministerin Nahles vorgelegten Entwurf für ein Rückkehrrecht in Vollzeit – nicht zuletzt, um auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und Frauen wieder einen Schritt weiterzukommen.“

Die Frist verstreicht, das Problem bleibt

Vier Monate vor Ablauf der Verfassungsfrist diskutierte der Bundestag erstmals über die Reform. Die Fronten blieben verhärtet. Für Streit sorgten auch andere Punkte, wie etwa die Festlegung des Familiennamens und die Entscheidung über die Erwerbstätigkeit der Ehefrau. Die Frist für die Reformen lief aus - das Problem blieb ungelöst.

Doch der Druck in der Öffentlichkeit wuchs, bis das Gesetz schließlich gut vier Jahre später 1957 beschlossen wurde und 1958 in Kraft trat. Allerdings: "Das Gesetz versprach mehr, als es hielt", urteilte Lore-Maria Peschel-Gutzeit, Juristin und ehemalige Justizministerin in Berlin und Hamburg (SPD) im Rückblick. "Keinesfalls schaffte dieses Gesetz die vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter im bürgerlichen Recht."

Erste Schritte - und ein langer Weg

Aber es war ein erster Schritt: Frauen durften fortan über ihr eigenes Geld verfügen und bei Familienangelegenheiten mitreden. Der Ehemann war nicht mehr berechtigt, Arbeitsverhältnisse der Frau ohne deren Zustimmung zu kündigen. Der Stichentscheid in Ehefragen wurde abgeschafft, der Vater blieb aber alleiniger gesetzlicher Vertreter der Kinder, er hatte weiterhin das Letztentscheidungsrecht in Fragen der Kindererziehung. Erst das Bundesverfassungsgericht brachte das am 29. Juli 1959 endgültig zu Fall.

Bis zum Jahr 1977 sollte es dann noch dauern, bis das Ehe- und Familienrecht weiter reformiert wurde. Erst jetzt durften Frauen ohne Einverständnis ihres Mannes erwerbstätig sein. "Der Weg zur Gleichberechtigung von Frauen ist lang, das Ziel längst nicht erreicht. Aber das Gleichberechtigungsgesetz war ein wichtiger Meilenstein", sagt Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende. Sie betont: Von wirklich gleicher Teilhabe von Mann und Frau in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft könne noch immer nicht die Rede sein.

Vor allem weitere Reformen am Arbeitsmarkt seien nötig. Hannack wirbt für die Weiterentwicklung des Teilzeitrechts: "Der DGB unterstützt den von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Entwurf für ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit - "nicht zuletzt, um auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und Frauen wieder einen Schritt weiterzukommen".

 


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