Für Bauarbeiter sind die Arbeitsplätze bunt verstreut. Hier ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, ist nicht einfach. Betriebsrat Mehmet Perisan hat es trotzdem geschafft – und mit seiner Gewerkschaft IG BAU einen Haustarifvertrag durchgeboxt.
DGB/Christian Plambeck
Die Baubranche ist eine sehr spezielle Branche, um dort zu arbeiten. Nur die Büro-Angestellten der Baufirmen fahren in der Regel immer ins gleiche Büro. Für die meisten anderen Beschäftigten, die Bauarbeiter, sind die Arbeitsplätze bunt verstreut. Und wenn eine Baustelle fertig ist, macht ganz woanders eine andere auf. Auch die Kollegen wechseln oft je nach Baustelle. Hier ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, ist nicht einfach.
Das ist bei HOCHTIEF Infrastructure nicht anders. Die Tochter des Baukonzerns HOCHTIEF mit Sitz in Essen baut fĂĽr die Infrastruktur, vom Tunnel in Stuttgart-Cannstatt ĂĽber die Elbphilharmonie in Hamburg, aber auch mal die Wartung eines stillgelegten Atomkraftwerks.
Weil angeblich in einem Geschäftsbereich – den Public-Private-Partnership-Projekten – eine Interessenvertretung fehle, stieg HOCHTIEF 2016 aus dem Arbeitgeberverband und damit aus dem Tarifvertrag aus. Was das für die Beschäftigten hieß, interessierte die Verantwortlichen dabei kaum. Mit Protesten von Arbeitnehmerseite rechnete offenbar niemand.
"Ihr mĂĽsst eintreten in die Gewerkschaft, sonst kriegen wir keinen Haustarifvertrag."
Das war allerdings eine Fehleinschätzung. Keine organisierte Mitbestimmung mehr? Die Betriebsratsgremien, und mit ihnen Betriebsrat Mehmet Perisan, reagierten umgehend mit einer Mitgliederkampagne. Denn das gilt bis heute: Je mehr Gewerkschaftsmitglieder ein Betrieb hat, desto besser lässt sich mit unwilligen Arbeitgebern verhandeln.
Mehmet Perisan, freigestellter Betriebsrat aus Köln, und mit seinen 13 Kolleginnen und Kollegen zuständig für die Betreuung von rund 900 HOCHTIEF-Mitarbeiter*innen, wurde zu einem engagierten Kämpfer im Werben um neue Mitglieder. "Wir sind von Baustelle zu Baustelle gefahren, von Büro zu Büro gegangen, und haben den Kollegen gesagt: Ihr müsst eintreten in die Gewerkschaft, sonst kriegen wir keinen Haustarifvertrag", erzählt er. "Und dann haben das sehr viele gemacht. Auch viele Angestellte, die in früheren Zeiten eher zurückhaltend beim Thema Gewerkschaft reagiert hatten und sogar Abteilungsleiter waren dabei." Das Werben war erfolgreich: Der Haustarifvertrag konnte durchgesetzt werden. Dieser sei sogar besser als der Flächentarifvertrag, sagt Perisan.
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Zum Zeitpunkt des HOCHTIEF-Austritts aus dem Arbeitgeberverband war der gelernte Betonbauer noch gar nicht so lange Betriebsrat. Er kommt zwar aus einer sehr politischen Familie, und war schon mit Beginn seiner Ausbildung 1997 schnell gewerkschaftlich aktiv. Aber der Schritt zum Betriebsrat kam erst 2010. "Da gab es eine Umstrukturierung bei HOCHTIEF, mit Tarifvertrag und Sozialplan. Damals habe ich mir angesichts der getroffenen Vereinbarungen gedacht: Das hätte ich anders gemacht, da hätte ich mehr für die Kollegen rausgeholt."
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Also hat er sich zur Wahl gestellt, wurde zum Betriebsrat gewählt, und später dann auch zum NRW-Vertreter im Gesamtbetriebsrat. Im Alltag muss er dafür vor allem eines: Autofahren, von Baustelle zu Baustelle, quer durch Nordrhein-Westfalen. Musik hören kann er dabei allerdings nicht. "Ich telefoniere im Auto sehr viel, mit der Freisprechanlage geht das gut." Die Jahre auf dem Bau haben ihm gezeigt, warum Betriebsratsarbeit so wichtig ist. "Allein kann man nichts bewirken. In einer Baustellen-Kolonne muss einer immer nach vorne gehen, und die anderen müssen ihm den notwendigen Rückhalt geben. Dann erreicht man auch was."
"Allein kann man nichts bewirken. In einer Baustellen-Kolonne muss einer immer nach vorne gehen, und die anderen mĂĽssen ihm den notwendigen RĂĽckhalt geben. Dann erreicht man auch was."
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In den folgenden Jahren haben er und sein Gremium so manche Verbesserungen erreicht. Dazu gehört eine ungewöhnlich flexible Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, die bei sehr unterschiedlichen Bedürfnisse allen gerecht wird: Die Beschäftigten können frei wählen, ob sie die Vertrauensarbeitszeit wählen, oder ob sie eine Arbeitszeiterfassung machen.
Arbeitszeit ist ein großes Thema in der Baubranche, nicht nur, weil das Pendeln und die unterschiedlichen Standorte der Baustellen zu immer wieder veränderten Fahrtrouten und Fahrzeiten zwingen. Es fehlen auch überall Fachkräfte. Davor haben IG BAU und Betriebsräte zwar schon vor Jahren gewarnt und immer wieder gefordert, dass mehr ausgebildet wird, erzählt Perisan, aber passiert ist leider viel zu wenig. Mitten im Bauboom fehlen schon länger Mitarbeiter, und durch Corona noch mehr. Die Fachkräfte aus dem Ausland können deswegen auch nicht mehr in so großer Anzahl kommen. Jetzt müssen die, die da sind, oft bis an die Grenze der gesetzlichen Arbeitszeitregelung arbeiten.
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Viele Kollegen sind dabei nicht direkt bei HOCHTIEF angestellt, sondern bei Nachunternehmern oder bei Arbeitnehmerüberlassungsfirmen. Es sind Bulgaren, Polen, Portugiesen, Rumänen und andere Landsleute. Um diese Menschen kümmert sich Mehmet Perisan auch. "Das sind alles Menschen, die ihre Familien ernähren wollen. Ich mache da keinen Unterschied. Wenn wir uns nicht verständigen können, besorge ich ehrenamtliche Dolmetscher, die uns helfen." Dieses Engagement ist nicht unbemerkt geblieben. 2019 bekam er den Preis "Demokratie im Betrieb", verliehen vom Verein "Arbeit und Leben Nordrhein-Westfalen". In der Begründung heißt es, Mehmet Perisan "macht keinen Halt, wo andere Menschen Grenzen sehen."
"Das sind alles Menschen, die ihre Familien ernähren wollen. Ich mache da keinen Unterschied. Wenn wir uns nicht verständigen können, besorge ich ehrenamtliche Dolmetscher, die uns helfen."
Und natĂĽrlich kandidiert er auch in diesem Jahr wieder als Betriebsrat. Eines seiner Ziele ist dabei eine Regelung fĂĽr das Mobile Arbeiten bzw. das Home-Office. Denn viele aus der Belegschaft arbeiten wegen Corona gerade vom eigenen Zuhause aus.
Wenn er nicht unterwegs ist, im Einsatz für seine Kolleginnen und Kollegen, ist Mehmet Perisan gerne beim Kickboxen, oder er geht joggen. Allerdings hat er nicht viel Zeit dafür, denn er ist außerdem noch ehrenamtlicher Richter, Mitglied im örtlichen DGB-Vorstand, im Vorstand der Bau-Berufsgenossenschaft (BG BAU)  und Bezirksverbandsvorsitzender der IG Bau Köln-Bonn. Und trotzdem bekommt er es immer wieder hin, Karneval feiern. "In Köln natürlich, nicht in Düsseldorf", lacht er.