Protest alleine reicht nicht, um Arbeitsplätze nach dem Kohleausstieg zu sichern. Als Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Energy diskutiert Jens Rotthäuser mit der Geschäftsleitung auf Augenhöhe: "Es bringt nichts, wenn man sich bekriegt." Auch in diesem Jahr kandidiert er bei der Betriebsratswahl.
DGB/Christian Plambeck
Wie ist das eigentlich, wenn eine Energiewende politisch beschlossen wurde und vor der Tür steht? Und es nicht darum geht, welchen Stromanbieter man nun nimmt, oder welches Auto man kauft, sondern darum, was in der Werkshalle demnächst noch produziert wird und wer seinen Arbeitsplatz behält? Jens Rotthäuser, 41, kann das sehr genau beschreiben. Denn der Industriemechaniker ist Betriebsratsvorsitzender bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr.
"Wir bekommen die Energiewende hautnah zu spüren"
Siemens Energy hat jahrzehntelang Kraftwerkskomponenten hergestellt, auch für die Kohleverstromung. Aber der Kohleausstieg schreitet voran, in Deutschland, und auch weltweit immer mehr. "Die Kohleprojekte, die früher gemacht wurden, gibt es zum größten Teil nicht mehr. Und Siemens Energy hat beschlossen, auszusteigen. Wir bekommen die Energiewende damit hautnah zu spüren. Wenn ein Unternehmen aus einer Produktion aussteigt, kann man gerne mal vor dem Tor mit Schildern protestieren, aber das hilft hier nicht. Wir brauchten und brauchen eine Perspektive!", sagt Rotthäuser.
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Betriebsrat ist er schon lange. Schon in seinem zweiten Ausbildungsjahr 1999 ging er in die Jugend- und Auszubildendenvertretung, 2006 stellte er sich als Betriebsrat zur Wahl. Ein Kollege hatte ihn auf die Aufgabe vorbereitet, ihn mitgenommen und gezeigt, was auf ihn zukommt. 2016 folgte die Freistellung, 2018 wurde er Betriebsratsvorsitzender. Sein Gremium kommt auf 29 Köpfe, zuständig sind sie für derzeit noch 4200 Beschäftigte – es waren mal 5000.
"Pfiffige Ideen alleine reichen nicht. Man muss auch die Möglichkeit bekommen, sie auszuprobieren."
Die Transformation ist das größte und wichtigste Thema für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen. Klar gehe es für das Gremium auch immer noch um Fragen zur Kantine und zum Spind, aber wichtiger sei diese Frage: "Welche Zukunft hat eine Dampfturbine, ein Generator, eine Gasturbine? Was ist technologisch möglich? Welche pfiffigen Ideen gibt es dafür bei der Belegschaft?" Schließlich nenne sich Siemens Energy "Kompetenzzentrum für Energiewendetechnologie". "Das ist ein schöner Begriff, aber da muss auch Inhalt her".
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Eine Idee wurde gefunden: Weil immer mehr erneuerbare Energie in das Netz eingespeist wird, kommt es zu Schwankungen im Netz – schließlich weht nicht immer der Wind, und scheint nicht immer die Sonne. Wie kann das Netz technisch stabilisiert werden? "Wir bieten jetzt mit abgewandelten Generatoren und Dampfturbinen, in Form von Phasenschiebern und Schwungrädern, eine Netzstabilität mit rotierendem Equipment an", erzählt Rotthäuser. Die Idee sei erst "ein ganz zartes Pflänzchen" gewesen. "Aber es ist gewachsen, und die ersten Aufträge laufen ein". So liefert Siemens Energy mittlerweile diese Technologie nach Großbritannien.
"Wir müssen uns als Gremium zunehmend mit wirtschaftlich-strategischen Themen beschäftigen. Dazu arbeiten wir bewusst und gewollt gut mit der Betriebsleitung zusammen – es bringt nichts, wenn man sich bekriegt." Zu seinen Aufgaben gehört es, Fachwissen einzuholen, in der Belegschaft und mit Berater*innen, um dann mit Führungskräften auf Augenhöhe zu diskutieren, wie es weitergeht.
Wichtig: "Pfiffige Ideen alleine reichen nicht. Man muss auch die Möglichkeit bekommen, sie auszuprobieren." Bei Siemens Energy gibt es dafür einen Innovationsfonds, damit an neuer Technik herumgetüftelt werden kann. Und damit die Beschäftigten auch mit in die neue Welt mitgenommen werden, gibt es außerdem einen Zukunftsfonds, speziell für die Menschen: Aus dem Topf werden Qualifizierungen finanziert. Auch dafür ist Jens Rotthäuser zuständig – dass genug aus dem Topf auch an seinen Standort, einem von 17 bundesweit kommt.
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Als er Betriebsratsvorsitzender geworden sei, sei ihm erstmal mulmig gewesen: Eine solche Aufgabe! Und dann die Riesenfußstapfen, die ihm der Vorgänger hinterlassen hat! Aber er hat sich gut hineingefunden, sagt er: "Man muss sich klarmachen, dass man nicht allen Anforderungen entsprechen kann. Der Blumenstrauß ist viel zu groß. Aber genau deswegen ist man ja nicht alleine, sondern in einem vielfältigen Gremium. Teamplayer zu sein ist eine wichtige Fähigkeit für einen Betriebsrat." Teamplayer musste er dabei nicht mehr lernen – Rotthäuser ist seit seiner Kindheit engagierter Handballer.
Der Familienvater wird bei der nächsten Betriebsratswahl auch wieder kandidieren. Sein zentrales Thema wird gleichbleiben: Beschäftigung sichern, die Transformation begleiten, die Belegschaft mitnehmen. "Wir sind ein moderner Standort mit einem modernen Betriebsrat".
>> Mehr Informationen von Jens' Gewerkschaft IG Metall zu den Betriebsratswahlen