DGB-Umfrage: Arbeitgeber sind das größte Hindernis für flexible Arbeit
Pressemitteilung05. September 2025
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Bis zu 13 Stunden arbeiten, wenn viel zu tun ist? Praktisch, finden Arbeitgeber. Die Bundesregierung zieht mit und will den 8-Stunden-Tag abschaffen. Wir sagen: Hände weg vom 8-Stunden-Tag!
Die Bundesregierung will den 8-Stunden-Tag abschaffen und die maximale Arbeitszeit pro Tag verlängern. Sie nennt das “Flexibilität” und “Vereinbarkeit”. Wir sagen, das ist nichts anderes als ein Täuschungsversuch auf Kosten der Arbeitnehmer*innen. Mit Symbolpolitik sollen die strukturellen Ursachen der Wirtschaftsflaute den Arbeitnehmer*innen in die Schuhe geschoben werden. Dabei löst die Verlängerung der täglichen Höchstarbeitszeit keines der aktuellen Probleme der deutschen Wirtschaft. Und auch nicht den Wunsch der Beschäftigten nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Der scheitert nämlich nicht am Arbeitszeitgesetz, sondern in der Regel am Willen der Arbeitgeber. Das zeigt auch unsere neue repräsentative Befragung von Arbeitnehmer*innen.
Die Beschäftigten sind fleißig und leisten bereits zahlreiche Überstunden, oft bis an die Belastungsgrenze. Außerdem gibt es flexible Gestaltungsmöglichkeiten, die in Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und uns Gewerkschaften gemeinsam vereinbart werden.
Der 8-Stunden-Tag ist eine gewerkschaftliche und auch gesellschaftliche Errungenschaft wie der freie Samstag oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Deshalb protestieren wir gegen diesen Rückschritt.
privat
20 Jahre Bereitschaftsdienst mit bis zu 36 Stunden als Pfleger im Operationssaal brachten Holger mit Herz-Rhythmus-Störungen auf die Intensivstation. Am gleichen Tag wurden noch 2 andere Kolleg*innen mit ähnlichen Symptomen eingeliefert: “Es war eine stressige Zeit vorangegangen, es gab einfach nicht genug Personal”, berichtet Holger.
Holger steht stellvertretend für die Geschichten vieler Beschäftigter, die unter langen und überlangen Arbeitszeiten leiden. Die von Arbeitgebern und Teilen der Politik geforderte Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes würden Menschen wie Holger mit ihrer Gesundheit bezahlen. Denn die Forschung zeigt unmissverständlich: Lange Arbeitszeiten machen krank.
Und nicht nur das. Studien zeigen: Bereits ab der 9. Arbeitsstunde steigt das Unfallrisiko exponentiell. Bei einer Verlängerung von 8 auf 12 Stunden erhöht sich das Unfallrisiko sogar um 80 Prozent.
In stark belasteten Berufen, wie der Pflege, führen lange Arbeitszeiten außerdem zu einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels, weil viele Beschäftigte aus diesen Berufen aussteigen. Die Abschaffung des 8-Stunden-Tages schadet nicht nur den Beschäftigten – sie bringt auch hohe Folgekosten für die Volkswirtschaft mit sich: durch steigende Kosten für das Gesundheitssystem, Arbeitsausfälle und Produktivitätsverluste.
Längere Arbeitszeiten als Wirtschaftsbooster? Reines Wunschdenken und Symbolpolitik auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten.
DGB/Gordon Welters
“Wer diesen Schutz abschaffen will, hat keine Ahnung, wie es in der Realität aussieht.” Das sagt Hedi, der in einem Amazon-Verteilzentrum arbeitet und Mitglied im Betriebsrat ist. Schon jetzt kommt er oft nach 8 Stunden an seine Grenzen: "Ich arbeite im Schichtsystem in der Logistik – das ist körperlich und psychisch anstrengend", erzählt er. Für ihn ist der 8-Stunden-Tag kein bürokratisches Hindernis, sondern eine Notwendigkeit: "Der 8-Stunden-Tag schützt meine Gesundheit – er gibt mir Luft zum Atmen und zur Erholung."
Genau dieser Schutz wird von der Regierung in Frage gestellt. Gerade Beschäftigte in Hedis Branche würde das hart treffen. Sie arbeiten besonders häufig ohne den Schutz eines Tarifvertrages – wie fast die Hälfte der Arbeitnehmer*innen in Deutschland. Das bedeutet: kein Mitspracherecht durch betriebliche Mitbestimmung, keine Gewerkschaft, die sie schützt. Und auch: keine passgenauen Lösungen, die Gewerkschaften und Arbeitgeber in Tarifverträgen seit über 75 Jahren erfolgreich vereinbaren.
Für sie ist das Arbeitszeitgesetz der einzige Rahmen. Ein Rahmen, der bereits jetzt flexibel ist, und vor allem im Niedriglohnsektor von ausbeuterischen Arbeitgebern viel zu häufig missachtet wird.
Statt das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen, braucht es mehr Schutz beim Arbeitszeitgesetz. Nur so wird ausbeuterischen Geschäftsmodellen der Riegel vorgeschoben.
privat
“Der Gast ist König” – dieser Satz kostet Barbaras Kolleg*innen in der Gastronomie täglich Freizeit: Ein Gast will noch ein Bier, obwohl ihre Schicht längst vorbei ist. Weggehen? Undenkbar. Überstunden und Dienstplanänderungen sind längst Alltag.
Barbara ist NGG-Mitglied, Betriebsrätin und stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei der Steigenberger Hotels GmbH und weiß: Die Arbeit ihrer Kolleg*innen ist bereits jetzt ein Kampf gegen die Uhr. “Wenn die Arbeitszeiten ausgeweitet werden können, dann wird das nur noch mehr ausgenutzt”, sagt sie.
Als Betriebsrätin erlebt Barbara, wie Grenzen verschwimmen. Eine Kollegin wollte in Teilzeit arbeiten, weil ihre Mutter pflegebedürftig wurde. Die “großzügige” Lösung des Chefs: 4 Tage arbeiten – aber 10 Stunden täglich. “Das war körperlich einfach nicht möglich für sie. 10 Stunden stehen und laufen und danach noch die ebenfalls körperlich anstrengende Pflege.”
Immer mehr Beschäftigte haben Eltern, die Unterstützung brauchen. Sie alle wären von der Abschaffung des 8-Stunden-Tages besonders getroffen. Denn wer stemmt 13-Stunden-Schichten, wenn zu Hause Eltern gepflegt oder Kinder betreut werden müssen? Für Menschen mit Care-Arbeit ist das schlicht unmöglich. Meist sind es Frauen, die diese Doppelbelastung tragen.
Für Barbara ist klar: “Mehr geht einfach nicht.” Schon jetzt arbeiten Gastro-Beschäftigte wie viele andere regelmäßig länger als 8 Stunden. 1,2 Milliarden Überstunden wurden 2024 in Deutschland geleistet, 638 Millionen unbezahlt.
Beschäftigte brauchen Entlastung statt Experimente auf ihrem Rücken.
Holgers, Hedis und Barbaras Erfahrungen zeigen: Die geplante wöchentliche Höchstarbeitszeit ist ein gefährlicher Irrweg.
Die Verlängerung der täglichen Höchstarbeitszeit löst kein Problem, sie schafft neue. Viele Beschäftigte arbeiten jetzt schon an der Belastungsgrenze und leisten zahlreiche Überstunden. Eine weitere Ausdehnung der Arbeitszeiten gefährdet die Gesundheit, bedeutet eine Rolle rückwärts für die Gleichberechtigung und schwächt die Demokratie. Arbeitszeiten müssen an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtet werden – nicht einseitig an den Interessen der Arbeitgeber.
Das Arbeitszeitgesetz bietet bereits alle notwendige Flexibilität. Hier ein paar Beispiele: 10 Stunden am Tag, 60 Wochenstunden, 6 Tage die Woche, Montag bis Samstag 9 bis 20 Uhr, 13 Tage Arbeit ohne Pause am Stück, ein Einsatz von 8 bis 21 Uhr. All das ist bereits möglich bei Einhaltung der Pausen- und Ruhezeiten – immer mit dem Schutz der Beschäftigten im Blick.
Bei der geplanten wöchentlichen Höchstarbeitszeit geht es im Übrigen nicht um flexible Arbeitszeiten im Sinne der Beschäftigten. Im Gegenteil: Arbeitgeber sollen Arbeitnehmer*innen möglichst umfassend “flexibel” einsetzen können.
Mit Tarifvertrag geht mehr: Je nach Branche können mit Tarifvertrag zum Beispiel kürzere Ruhezeiten und längere Arbeitszeiten vereinbart werden. So werden seit 75 Jahren die besonderen Anforderungen beispielsweise in Krankenhäusern, in der Pflege und in der Landwirtschaft berücksichtigt und gute Lösungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern verhandelt. Anders als bei einer einseitigen Gesetzesänderung haben die Beschäftigten bei Tarifverträgen eine starke Stimme. Sie können mitbestimmen, wie ihre Arbeitszeit gestaltet wird. Gleichzeitig bekommen sie dafür oft etwas zurück: höhere Löhne, mehr Urlaub oder bessere Arbeitsbedingungen.
Deshalb ist es unverständlich, warum man diese bewährte sogenannte Sozialpartnerschaft durch eine Verschlechterung des Arbeitszeitgesetzes schwächen sollte. Damit würde man die Interessen der tarifflüchtigen Arbeitgeber vertreten – also derjenigen Arbeitgeber, die sich nicht gemeinsam mit uns Gewerkschaften über gute Arbeitsbedingungen in Tarifverhandlungen einigen. Das ist nicht nur zum Nachteil der Beschäftigten, sondern auch zum Nachteil des Staates.
Wissenschaftler*innen sind sich einig: Wer mit längeren Arbeitszeiten die Wirtschaft ankurbeln will, setzt aufs falsche Pferd. Die Wirtschaft braucht Investitionen, nicht erschöpfte Beschäftigte. Mehrarbeit bedeutet außerdem nicht automatisch mehr Produktivität. In stark belasteten Branchen wie der Pflege kann sie sie den bestehenden Fachkräftemangel verschärfen, weil der Beruf damit nicht attraktiver wird.
Die repräsentative Befragung von Beschäftigten in Deutschland Index Gute Arbeit zeigt: 53 Prozent der Arbeitnehmer*innen wollen weniger arbeiten – im Schnitt 4,2 Stunden weniger pro Woche. Dabei ist der Wunsch nach einer kürzeren Wochenarbeitszeit bei denjenigen besonders ausgeprägt, die über 48 Stunden pro Woche arbeiten. Nur ein kleiner Teil der Arbeitnehmer*innen (7 Prozent), welcher häufig in Teilzeit arbeitet, möchte länger arbeiten. Dieser Wunsch scheitert allerdings nicht am Arbeitszeitgesetz, sondern häufig an unflexiblen Arbeitgebern. Außerdem zeigt die Befragung: 72 Prozent aller Beschäftigten würden bei freier Wahl maximal 8 Stunden pro Tag arbeiten. 95 Prozent wollen spätestens um 18 Uhr Feierabend haben. Besonders Eltern brauchen planbare Arbeitszeiten. Von denen, die heute schon oft nach 19 Uhr arbeiten müssen, wünschen sich 97 Prozent, früher Schluss zu haben. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: Menschen wollen Zeit für ihre Familie, für Freunde, für Hobbys und für sich selbst. Sie wollen nicht ihr ganzes Leben der Arbeit opfern.
Längere Arbeitszeiten machen das Familienleben nicht einfacher, sondern schwerer. Wer 12 Stunden arbeitet, kann nicht um 14 Uhr das Kind aus der Kita holen. Frauen leisten schon heute 25 Stunden unbezahlte Arbeit pro Woche, Männer nur 17 Stunden. Wenn die Arbeitszeiten noch länger werden, wird das vor allem zu Lasten der Frauen gehen. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit, um die Sorgearbeit zu übernehmen. Mit der Verlängerung der Arbeitszeit dürfte sich diese Entwicklung verstärken – das ist das Gegenteil von Gleichberechtigung. Familien brauchen verlässliche Zeiten, nicht noch mehr Stress.
Nach 8 Stunden Arbeit steigt das Unfallrisiko steil an. Nach 12 Stunden ist es fast doppelt so hoch. Lange Arbeitszeiten machen krank: Burn-out, Herzkrankheiten, Schlafstörungen und Depressionen nehmen zu. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat berechnet: Die Krankheitskosten liegen mit 77 Milliarden Euro pro Jahr doppelt so hoch wie vor 15 Jahren. Wer die Arbeitszeiten verlängert, macht die Menschen krank und treibt die Kosten weiter hoch.
Seit 1918 gibt es in Deutschland den 8-Stunden-Tag. Er sorgt dafür, dass Menschen Zeit für ihre Familie, ihre Gesundheit und ihr Leben haben. Er ist auch ein Baustein unserer Demokratie – denn wer ständig arbeitet, hat keine Zeit für Politik und Gesellschaft. Diese Errungenschaft dürfen wir nicht aufgeben! Der 8-Stunden-Tag schützt alle Beschäftigten, vom Bauarbeiter bis zur Bürokraft, von der Pflegekraft bis zur Ingenieurin.
Die Regierung und Arbeitgeber versprechen mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit "mehr Flexibilität" und "bessere Vereinbarkeit" für Beschäftigte. Doch die sehen das anders. Die meisten Arbeitnehmer*innen wünschen sich Entlastung, statt eine Ausweitung der Arbeitszeit, wie unsere repräsentative Umfrage unter Beschäftigten zeigt:
Besonders deutlich wird der Widerspruch bei Eltern: 97 Prozent derjenigen, die häufig nach 19 Uhr weiterarbeiten müssen, möchten ihren Arbeitstag vor 19 Uhr beenden. Sie brauchen Planbarkeit für Familie und Kinderbetreuung – keine 13-Stunden-Schichten.
Kein Wunder, denn lange Arbeitszeiten machen nachweislich krank! Arbeitsunfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle und psychische Erkrankungen sind die Folge.
Und die beschworene “Flexibilität”? Die liegt bei der geplanten wöchentlichen Höchstarbeitszeit beim Arbeitgeber. Er bestimmt, wann bis zu 13 Stunden gearbeitet werden muss – nicht die Beschäftigten. Das hat nichts mit dem Wunsch der Beschäftigten zu tun, Arbeitszeiten selbst mitzugestalten, damit Arbeit und Privatleben gut miteinander vereinbar sind. Echte Flexibilität und Vereinbarkeit sehen anders aus.
Das Arbeitszeitgesetz bietet bereits alle notwendige Flexibilität. Schon heute sind beispielsweise 10 Stunden täglich, 60 Wochenstunden oder Arbeit an 6 Tagen möglich bei Einhaltung der Pausenzeiten.
Zusätzlich verhandeln wir Gewerkschaften in Tarifverträgen seit 75 Jahren erfolgreich passgenaue Lösungen mit unterschiedlichen Branchen – von verkürzten Ruhezeiten bis zu Bereitschaftsdiensten.
Doch rund die Hälfte aller Beschäftigten profitiert aufgrund von Tarifflucht nicht von Tarifverträgen. Für sie ist das Arbeitszeitgesetz der einzige Schutzrahmen. Sie haben wenig Einfluss auf ihre Arbeitszeiten. Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde genau diese Menschen am härtesten treffen: Paketauslieferer, Pflegekräfte, Beschäftigte in der Gastronomie könnten zu 13-Stunden-Schichten gedrängt werden.
Beschäftigte brauchen:
Der 8-Stunden-Tag ist eine hart erkämpfte Errungenschaft von uns Gewerkschaften für unsere Gesellschaft. Ist er einmal abgeschafft, bekommen wir so schnell nicht wieder. Deshalb verteidigen wir das Arbeitszeitgesetz!
Von Arbeitgeberseite und aus der Politik hören wir immer wieder, dass die Beschäftigten länger arbeiten sollen. Aber ganz ehrlich: Viel öfter müssen die Arbeitnehmer*innen früher anfangen, länger bleiben, am Wochenende oder abends schuften – also deutlich länger als vertraglich vereinbart. Das Problem heißt Arbeitszeitmissbrauch. Besonders weit verbreitet ist es in der Logistik, der Gebäudereinigung und der Gastronomie.
Der DGB-Index Gute Arbeit hat 2025 herausgefunden: 44 Prozent der Beschäftigten arbeiten länger als vereinbart. 25 Prozent müssen sogar mehr als 5 Stunden pro Woche länger arbeiten als in ihrem Arbeitsvertrag steht – um die Menge der Arbeit zu schaffen. Für 10 Prozent bedeutet das, dass sie mit Überstunden mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten – ein gesundheitsgefährdender Wert.
Die Mehrheit der in Deutschland geleisteten Überstunden werden nicht bezahlt. 2024 wurden 638 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet – ein gigantisches Geschenk der Beschäftigten an die Unternehmen.
2025 haben insgesamt 40 Prozent der Befragten im DGB-Index angegeben, dass sie außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit auch unbezahlt für ihren Arbeitgeber gearbeitet haben – das entspricht etwa 14 Millionen Arbeitnehmer*innen. 16 Prozent taten dies sehr häufig oder oft – das sind umgerechnet mehr als 5,5 Millionen Beschäftigte, die häufig unbezahlte Überstunden leisten.
Je höher die Arbeitsintensität – also die Arbeitsverdichtung mit mehr Aufgaben und Zeitdruck – desto mehr Überstunden werden geleistet. Was das in der Praxis bedeutet, zeigen die Erfahrungen von Beschäftigten aus verschiedenen Branchen.
Karim* arbeitet als Kurierfahrer im Auftrag für Amazon. Morgens um 9:30 Uhr trifft er sich mit seinen Kolleg*innen, belädt den Transporter mit 300 Paketen und beginnt mit der Zustellung. Fertig ist er selten vor 20 Uhr – das sind bis zu 11 Stunden Arbeit am Tag und das an 5 Tagen in der Woche. Doch nicht alles wird erfasst und vergütet: Parken, Warten auf die Ladung, Vorbesprechung und Beladen gehören offiziell nicht zur Arbeitszeit. Die Arbeitszeiterfassung startet erst nach der Beladung und endet nach der letzten Zustellung. Die Rückfahrt zum Verteilzentrum ist bereits wieder unbezahlte Zeit. So überschreitet er die 10 Stunden Arbeitszeit nicht.
"Es ist nicht möglich, 300 Pakete in 8 Stunden zuzustellen", erzählt Piotr vom DGB-Beratungsnetzwerk “Faire Mobilität”. Die Zusteller*innen werden pauschal pro Arbeitstag bezahlt, unabhängig von der Paketmenge und der tatsächlichen Arbeitsdauer. Schaffen sie die Menge nicht, kommen sogenannte Rescue-Fahrer*innen – was aber Nachteile für die ursprünglichen Fahrer*innen bedeutet. Sie arbeiten deshalb über ihre Grenzen hinaus, um das zu verhindern. Diese Ausbeutung hat System!
In der Reinigungsbranche sind die Ausbeutungs-Mechanismen noch subtiler. Paul*, seit 12 Jahren Betriebsrat in einem Facility Management Unternehmen, berichtet: Den Reinigungskräften wird eine bestimmte Fläche für die Säuberung zugewiesen, die Anforderungen werden dabei jedes Jahr höher. Die Mitarbeiterinnen – meist Frauen mit Migrationshintergrund – stehen unter enormem Druck: Die Arbeit muss geschafft werden, sie wissen nicht, dass sie nach Arbeitszeit und nicht nach der Größe der gereinigten Fläche bezahlt werden.
Das Ergebnis: Nicht selten sind Mitarbeiterinnen zwei bis drei Stunden vor dem eigentlichen Beginn ihrer Arbeitszeit bereits im Zeiterfassungssystem erfasst. Sie kommen früher und bleiben länger, um ihre Arbeit zu schaffen – diese Zeit wird aber nicht als Mehrarbeit vergütet.
Sollte der Arbeitgeber Kenntnis davon haben und – auch nur stillschweigend – dulden, macht er sich strafbar. Für den Betriebsrat ist es jedoch schwer, dies nachzuweisen. Ein System von Sozialversicherungsbetrug, bei dem Notlage und Unkenntnis der Rechte der Beschäftigten perfide ausgenutzt werden. Die Reiniger*innen trauen sich nicht, gegen diesen Arbeitszeitmissbrauch vorzugehen, aus Angst vor Konsequenzen oder der Kündigung.
Eine Hochzeit soll für das Paar der schönste Tag im Leben sein. Für die Beschäftigten in der Veranstaltungs-Location bedeutet es aber oft nicht enden wollende Arbeitsschichten von bis zu 21 Stunden. Beginnt die Hochzeit um 14 Uhr, startet die Arbeit bereits gegen 10 Uhr mit Eindecken, Dekorieren und Vorbereitungen. Um 18 Uhr müsste eigentlich ein Schichtwechsel stattfinden, denn viele Feiern dauern bis 2, 3 oder 4 Uhr morgens. Doch der Schichtwechsel bleibt meist aus – zu wenig Personal, zu hohe Kosten. Die Mehrarbeit kostet den Arbeitgeber in der Regel nichts, da sie meistens nicht vergütet wird.
Auch werden regelmäßig Ruhezeiten nicht gewährt: Dauert das Event abends länger, muss trotzdem am nächsten Morgen aufgeräumt und weitergearbeitet werden.
Die NGG kennt diese Fälle und meldet Verstöße gegen den Arbeitsschutz bei den Behörden. Wenn diese dann die Betriebe kontrollieren, werden ihnen Listen mit regulären Arbeitszeiten vorgelegt – die nichts mit der Realität zu tun haben. Arbeitszeitverstöße sind so schwer nachzuweisen.
*Namen geändert
Die Beispiele oben zeigen: Unternehmen senken systematisch ihre Ausgaben auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten. Überstunden verschärfen nachweislich gesundheitliche Risiken - von Erschöpfung über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu psychischen Belastungen. Doch statt in ausreichend Personal zu investieren, werden unrealistische Vorgaben gemacht und die Beschäftigten in die Selbstausbeutung getrieben.
Bei Amazon werden neue Fahrer systematisch mit mehr Paketen belastet. Sie wollen keine Fehler machen und arbeiten mehr als möglich, um den Arbeitsplatz zu behalten. In der Reinigung nutzen Arbeitgeber die prekäre Situation der meist migrantischen und weiblichen Beschäftigten aus. In der Gastronomie wird mit dem Argument "Der Gast ist König" jede Ausbeutung gerechtfertigt.
Die Kontrolle dieser Verstöße wird bewusst erschwert. In der Gastronomie werden regelmäßig zwei Listen geführt: eine mit regulären Arbeitszeiten für eventuelle Kontrollen, eine mit den tatsächlichen Arbeitszeiten. Den Beschäftigten wird verboten, Dienstpläne zu fotografieren. Bei Amazon ist das System so komplex aufgebaut, dass der Konzern jede Verantwortung von sich weist - die Fahrer sind bei Subunternehmen beschäftigt, Amazon ist damit offiziell nicht "zuständig" für die schlechten Arbeitsbedingungen.
638 Millionen unbezahlte Überstunden jährlich sind kein Kavaliersdelikt – sie sind systematische Ausbeutung. Es ist höchste Zeit, dass Arbeitgeber für realistische Arbeitszeiten und ausreichend Personal sorgen, statt ihre Gewinne auf Kosten der Gesundheit ihrer Beschäftigten zu maximieren. Das Arbeitszeitgesetz mit seinen bestehenden Regelungen muss endlich konsequent durchgesetzt werden – zum Schutz aller Arbeitnehmer*innen.
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