Die Bundesregierung plant, die Rentenerhöhung in diesem Jahr zu drosseln. Dabei hieß es noch in den Koalitionsverhandlungen, die Rente solle in einem stabilen Verhältnis zur Lohnentwicklung bleiben.
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Fast die Hälfte aller Menschen in Deutschland fürchtet im Alter finanzielle Probleme oder gar Armut. Vielfach nicht zu Unrecht. Denn Renten reichen oft nicht zum Leben aus - nicht nur wegen stetig steigender Verbraucherpreise. Jedem dritten Beschäftigten in Deutschland droht nach 45 Berufsjahren in Vollzeit eine Bruttorente von weniger als 1300 Euro im Monat. Nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung bleiben davon nur etwa 1160 Euro. Wer im Alter auf 1500 Euro Rente kommen will, muss nach derzeitigem Rentenniveau monatlich mindestens 3200 Euro brutto in Vollzeit verdienen.
Wer wieviel Rente bekommt, wird nach einer Formel errechnet. Ob die Rente dann wie die Löhne steigt, zeigt das Rentenniveau. Es ergibt sich aus dem Verhältnis des aktuellen Durchschnittsverdiensts und der Rentenhöhe eines Beschäftigten, der 45 Jahre lang diesen Durchschnittsverdienst hatte, dem sogenannten Eckrentner. Gemessen wird das Niveau nach Sozialbeiträgen. Ein Rentenniveau von 48 Prozent bedeutet, dass der Eckrentner 48 Prozent des Durchschnittslohns nach Sozialbeiträgen bekommt. Wer weniger verdient hat als der Eckrentner, bekommt entsprechend weniger. Wer mehr hatte, bekommt mehr.
Damit Rentner*innen nicht weiter von Armut bedroht sind, müssen die Renten ebenso wie die Löhne steigen. Doch Kürzungsmechanismen sorgen dafür, dass die Renten langsamer steigen als die Löhne. Rentner*innen profitieren dann künftig noch weniger vom gesellschaftlichen Wohlstand. Laut Rentenversicherungsbericht 2021 der Bundesregierung steigen die Altersrenten im Zeitraum 2021 bis 2035 um 37 Prozent. Dagegen steigen die Löhne um 53 Prozent.
Der Nachholfaktor ist eine Rentenbremse. Er ist Teil einer Schutzklausel bei der Rentenanpassung, der sogenannten Rentengarantie. Zunächst wird mit der Rentenanpassungsformel bestimmt, wie hoch die jährliche Rentenanpassung zur Mitte des Jahres ausfallen könnte. Rentengarantie und Nachholfaktor greifen danach. Rentengarantie besagt, dass Rentenkürzungen gesetzlich ausgeschlossen sind. Der Nachholfaktor verschiebt die nicht umgesetzte rechnerische Rentenkürzung auf spätere Jahre. Bei wieder steigenden Renten wird die verhinderte Rentenkürzung nachgeholt, indem die Rente weniger stark steigt als durch die Anpassungsformel berechnet.
Der Nachholfaktor wurde im Jahr 2018 mit dem Rentenpakt ausgesetzt. Denn der Rentenpakt sieht vor, dass die Renten wieder mindestens so wie die Löhne steigen sollen. Rentenkürzungen durch Dämpfungsfaktoren sollen nicht wirken und auch nicht nachgeholt werden.
Nun wird darüber gestritten, den Nachholfaktor dieses Jahr wieder anzuwenden und die Rentenerhöhung zu kürzen. Begründet wird das mit der Lohnentwicklung des Jahres 2020. Angeblich seien deswegen 3,25 Prozent Rentenkürzung nachzuholen. Verwiesen wird damit aber auf Zahlen, die nichts mit der Lohnentwicklung in 2020 zu tun haben. Würde der Nachholfaktor so aktiviert, stiegen die Renten rund 3 Prozent langsamer als die Löhne.
Dass Renten an Löhne gekoppelt sind, ist sinnvoll und gerecht. Das System, das diese Gelder verteilt, basiert auf Rentenbeiträgen der Beschäftigten. Nie zuvor waren in der Bundesrepublik so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das wirkt sich unmittelbar auf die Rentenkasse aus, weil automatisch Beiträge von jedem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Gleichzeitig sind die Renten im Vergleich zum Wohlstand deutlich niedriger als noch vor 20 Jahren. Deswegen liegt der Beitragssatz heute auch so niedrig wie seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr.
Tatsächlich sind die Bruttolöhne in 2020 gesunken. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit einem entsprechenden Rückgang des beitragspflichtigen Entgelts. Denn in 2020 wurde sehr viel Kurzarbeit in Anspruch genommen. Bei Kurzarbeit wird weniger Lohn gezahlt, dafür aber Kurzarbeitergeld. Deswegen weist die Statistik weniger Lohn aus. Die Einkommen der Beschäftigten sind wegen des Kurzarbeitergeldes sogar leicht gestiegen. Und auch die Beiträge zur Rentenversicherung sinken nicht in gleichem Maße. Bei Kurzarbeit zählen nämlich 80 Prozent der Differenz zwischen Soll- und Ist-Entgelt zum Rentenversicherungsbeitrag. Diese beitragspflichtigen Einkommen sind in 2020 sogar um rund 1,7 Prozent gestiegen.