Deutscher Gewerkschaftsbund

20.01.2022
Nachholfaktor bei der Rente

Acht Argumente gegen Rentenerhöhungen – die alle falsch sind

Der DGB erklärt, warum die Rente mit den Löhnen steigen muss

Arbeitnehmer*innen verdienen eine gute Rente. Die Höhe der Rente muss für das gewohnte Leben und die aktuelle Wohnung reichen. Für den DGB ist klar: Das Rentenniveau darf nicht unter 48 Prozent sinken und muss wieder angehoben werden, auf etwa 50 Prozent. Unstrittig ist auch: Die Renten müssen wie die Löhne steigen. 

Ältere Frau zählt Geld in ihrer Hand.

DGB/grinvalds/123rf

Aktuell möchte die neue Bundesregierung jedoch den sogenannten Nachholfaktor wieder anwenden bei geplanten Rentenerhöhungen: Die Ampel tritt bei der Rente auf die Bremse. Damit würden die Renten wieder deutlich langsamer steigen als die Löhne. Die Debatte um den Nachholfaktor läuft schon lange und mit den immer wieder gleichen falschen Behauptungen. Der DGB zeigt acht aktuelle Argumente dazu auf und widerlegt sie:

  • Falsches Argument 1: Um die Beitragszahlenden nicht übermäßig zu belasten, dürfen die Renten nicht stärker steigen als die Löhne.

    Mit diesem Argument wird suggeriert, dass die Renten stärker steigen würden als die Löhne.

    Fakt ist, dass die Renten in den letzten zwanzig Jahren zwar um rund 35 Prozent, die Löhne aber um rund 48 Prozent gestiegen sind. Und auch bis 2035 erwartet die Bundesregierung, dass die Löhne zwar um 53 Prozent steigen, die Renten aber sollen mit 37 Prozent deutlich langsamer steigen.

    Dabei ist die Botschaft, dass „die Renten nicht stärker steigen als die Löhne!“ ganz klar: Denn „nicht stärker als“ legt zwar nahe, es ginge darum, dass die Renten wie die Löhne steigen. Was sie aber sagen und fordern ist: die Renten dürfen und sollen in jedem Fall langsamer steigen als die Löhne.

    Die Forderung zielt darauf ab, den Beitragssatz zu senken, in dem die Renten gekürzt werden. Die Beschäftigten werden aber nicht entlastet, denn sie bekommen deswegen ja weniger Rente. Das rechnet sich aber für die Unternehmen, denn die bekommen keine Rente, erhöhen aber ihre Rendite.

  • Falsches Argument 2: Damit die Rente gerecht bleibt, muss die neue Bundesregierung den Nachholfaktor wieder einsetzen.

    Fakt ist, schon heute müssen Beschäftigte für eine auskömmliche Alterssicherung deutlich mehr zahlen als die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, beispielsweise für eine „Riester-Rente“.

    Jede dauerhafte Begrenzung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung erhöht ihre Kosten für die private Alterssicherung.

    „Damit die Rente gerecht bleibt“ heißt hier, dass die Renten langsamer steigen sollen als die Löhne. Gerecht heißt hier also nicht eine gute Rente, von der man im Alter gut leben kann, sondern ein möglichst niedriger Beitragssatz. Davon profitieren die Unternehmen. Die Beschäftigten und ihre Arbeitgeber zahlen dann zwar weniger in die gesetzliche Rente, das müssen die Beschäftigten aber durch höhere Eigenbeiträge zu privaten Zusatzrenten ausgleichen. Da zahlen die Arbeitgeber aber nicht mit ein. Neben einer geringeren gesetzlichen Rente sollen die Beschäftigten einen größeren Beitragsanteil selbst zahlen.

    Was der Nachholfaktor bedeutet und warum er nicht gerecht ist zeigt eine Analyse des DGB auf.

  • Falsches Argument 3: Der Nachholfaktor wurde während der Finanzkrise 2008 und 2009 eingeführt, um die Rentenanpassungen zu verstetigen.

    Fakt ist: Der Nachholfaktor wurde 2007 im Rahmen der Rente mit 67 eingeführt, damit die Renten langsamer steigen als die Löhne.

    Ziel war, den Beitragssatz senken zu können, indem die Renten langsamer steigen. Die Rentengarantie – die Schutzklausel – wurde 2009 erweitert. Die Rentengarantie wurde auch damit begründet, dass der Nachholfaktor die nicht durchgeführte Rentenkürzung später nachholen würde.

  • Falsches Argument 4: Aufgrund der Lohnentwicklung 2020 hätte die Rente im Jahr 2021 rechnerisch um 3,25 sinken müssen. Die Rentengarantie hat das verhindert.

    Diese Aussage legt nahe, die Minus 3,25 Prozent hätten sich aus der Lohnentwicklung ergeben.

    Fakt ist: Diese Schilderung ist irreführend und falsch. Nur knapp 0,3 Prozentpunkte sind dem Rückgang der Löhne in 2020 geschuldet. Die restlichen rund 3 Prozent sind ein verzerrender Statistik-Sondereffekt aus der Anpassungsformel und dem Dämpfungsfaktor (Nachhaltigkeitsfaktor).

    Die Rentenanpassung West vor Rentengarantie als Grafik.

    Deutsche Rentenversicherung Bund

    Außerdem sind die Löhne in 2020 zwar gesunken, die beitragspflichtigen Einkommen aber gestiegen. Denn in 2020 waren viele Menschen in Kurzarbeit und bezogen weniger Lohn. Sie bekamen aber Kurzarbeitergeld, das beitragspflichtig ist. Für 80 Prozent des entfallenen Lohns werden dann Rentenbeiträge gezahlt. Die beitragspflichtigen Einkommen sind in 2020 daher sogar um rund 1,7 Prozent gestiegen.

  • Falsches Argument 5: Mit wieder eingesetztem Nachholfaktor würden die Renten 2022 trotzdem voraussichtlich um über 2,5 Prozent erhöht.

    Fakt ist: Die Rentenerhöhung in 2022 bliebe bei reaktiviertem Nachholfaktor weit hinter der maßgeblichen Lohnentwicklung zurück.

    Die Rente müsste dieses Jahr, soll sie entsprechend der Löhne steigen, um rund 5 Prozent erhöht werden.  

    Mit dem Einsatz des Nachholfaktors sollen die Renten langsamer steigen als die Löhne. Vorläufig folgt die Rente der Lohnerhöhung des Vorjahres, bevor im Folgejahr eine Korrektur erfolgt. Maßgeblich ist für 2022 also zunächst die Lohnerhöhung 2021, die voraussichtlich bei über 3 Prozent lag. Die Korrektur sorgt dafür, dass die Renten am Ende den beitragspflichtigen Löhnen folgen, allerdings mit zwei Jahren Verzögerung, da die Daten nicht früher vorliegen. Korrigiert werden die im Vorjahr bei der Rentenerhöhung vorläufig verwendeten Werte. Bei der Rentenerhöhung in 2021 ist für die Lohnerhöhung 2020 vorläufig von einem Minus von 0,28 Prozent ausgegangen worden. Die beitragspflichtigen Löhne sind in 2020 aber um voraussichtlich rund 1,7 Prozent gestiegen. Damit war die bei der Rentenerhöhung 2021 vorläufig angenommene Lohnerhöhung rund zwei Prozentpunkte zu niedrig. Dies wird dann in 2022 korrigiert, die Rentenerhöhung fällt also um rund 2 Prozent höher aus. Zusammen mit der Lohnerhöhung in 2021 von (vorläufig) über 3 Prozent ergibt sich daher, dass die Renten um rund 5 Prozent steigen müssen, damit sie tatsächlich den Löhnen folgen. Steigen sie langsamer als fünf Prozent, bleiben sie hinter den Löhnen zurück. Dies würde sich dann auch im sinkenden Rentenniveau zeigen.

  • Falsches Argument 6: Selbst wenn der Nachholfaktor noch vor der Rentenanpassung 2022 wiedereingesetzt würde, bliebe bis Ende 2025 das Sicherungsniveau der Rente innerhalb der geltenden Haltelinie von 48 Prozent.

    Fakt ist: Der wiedereingesetzte Nachholfaktor würde dafür sorgen, dass die Renten ab 2026 langsamer steigen als nach geltendem Recht und damit das Rentenniveau stärker sinkt.

    Damit würde die Haltelinie von 48 Prozent faktisch unterlaufen.

  • Falsches Argument 7: Die Renten sollten nicht stärker steigen als die Löhne.

    Fakt ist: Die Renten steigen nicht schneller als die Löhne. Kurzfristige „Sprünge“ sind Sondereffekten geschuldet wie beispielsweise der Kurzarbeit oder dem Korrekturfaktor.

    Der Rentenversicherungsbericht 2021 der Bundesregierung weist aus, dass die Löhne in den Jahren 2019 bis 2025 um insgesamt 19,43 Prozent steigen. Bei den Renten wird in den Jahren 2019 bis 2025 ein Anstieg um 19,36 Prozent erwartet – und zwar ohne Nachholfaktor. Auch wenn man andere Bezugszeiträume betrachtet, ändert sich wenig am Befund. Nähme man den Zeitraum 2020 bis 2025 stiegen die Renten um 15,7 und die Löhne um 16,2 Prozent. Vergleicht man die Rentenerhöhung von 2020 bis 2025 mit der Lohnentwicklungen des Vorjahres (2019 bis 2024), dann steigen die Renten weiter um 15,7 und die Löhne um 16 Prozent.

    Grafik Renten und Lohnerhöhungen

    DGB

    Das bestehende System sorgt gerade dafür, dass die Renten etwas langsamer steigen als die Löhne. Der Nachholfaktor würde dafür sorgen, dass die Renten noch weiter hinter den Löhnen zurück bleiben.

  • Falsches Argument 8: Neben dem Beitragssatz der Rentenversicherung steigt auch automatisch und erheblich der Bundeszuschuss für die Rente aufgrund der Corona-Pandemie.

    Die Corona-Pandemie habe auch Auswirkungen auf die Rente, so ein Beitrag des IFO-Instituts. Die Annahme, dass Beitragssatz und Bundeszuschuss deshalb stark steigen müssten, ist jedoch überzogen.

    Fakt ist: Die Rentenversicherung ist hervorragend durch die Krise gekommen. In 2021 hat sie mehr eingenommen als ausgegeben, die Rücklagen sind leicht gestiegen. Schockmeldungen von Wissenschaftler*innen über einen drohenden Bankrott sind politisch motiviert und sollen massive Rentenkürzungen rechtfertigen. Selbst wenn der Beitragssatz um 0,4 Prozentpunkte stiege, würde der Bundeszuschuss dann nur um rund 0,8 Mrd. Euro jährlich steigen. Dies ist mit Blick auf die Ausgaben der Deutschen Rentenversicherung von 340 Mrd. Euro pro Jahr und der Bundesmittel von rund 100 Mrd. Euro ein sehr geringer Betrag. Von den behaupteten 0,4 Prozentpunkten Beitragssatzanstieg würden außerdem nicht mal ein Zehntel auf den Lohnrückgang in 2020 zurückgehen. Über 90 Prozent sind einem verzerrenden statistischen Sondereffekt und den Kürzungsfaktoren geschuldet. Die Kürzungsfaktoren sorgen dafür, dass die Renten mittel und langfristig langsamer steigen als die Löhne.


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