Deutscher Gewerkschaftsbund

20.12.2021
EU-Whistleblower-Richtlinie

FAQs zum Thema Whistleblowing aus Sicht der Beschäftigten

Fragen und Antworten des DGB zur nicht fristgerechten Umsetzung der Richtlinie

Das Europäische Parlament hat 2019 die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (Whistleblower-RL) erlassen. Diese schafft für Hinweisgeber*innen Schutzinstrumente vor Schikanen bzw. Repressionen. Sie sollte bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Da dies in Deutschland nicht erfolgt ist entsteht für Beschäftigte und Interessenvertretungen eine rechtlich schwierige Situation. Der DGB bietet Antworten auf Fragen rund um Whistleblower*innen und deren Schutz.

Dunkle Personen

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Am 23.10.2019 hat das Europäische Parlament die "Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden", (Whistleblower-RL) erlassen. Die Richtlinie regelt Meldeverfahren und Offenlegungsmöglichkeiten für Beschäftigte und andere Personen, wenn sie Rechtsverstöße und Missstände im beruflichen Kontext aufdecken wollen und schafft für diese Hinweisgeber*innen Schutzinstrumente vor Schikanen bzw. Repressionen bei der Arbeit. Die Richtlinie sollte von den nationalen Gesetzgebern bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umgesetzt werden. 

Rechtlich schwierige Situation

Für die Beschäftigten und Interessenvertretungen in Deutschland entsteht nach dem Verstreichen der Umsetzungsfrist eine rechtlich schwierige Situation. Es fehlt nach wie vor eine klare gesetzliche Regelung zum Schutz der Hinweisgeber*innen im deutschen Recht. Deren Schutz beruhte bisher auf richterlicher Rechtsfortbildung in Abwägung allgemeiner Grundsätze (Treue- und Verschwiegenheitspflichten vs. Meinungsfreiheit und Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte). Die Richtlinie wirkt aber ab dem 18. Dezember 2021 trotz fehlender Umsetzung auf die Rechtslage in Deutschland.

Zahlreiche Arbeitgeber und Dienstherren beginnen bereits, ohne auf das Tätigwerden des Gesetzgebers zu warten, mit der Umsetzung der Richtlinie in ihren Unternehmen und Dienststellen und richten entsprechende betriebliche Meldeverfahren ein.

Inhalte der FAQ zu Whistleblower*innen

Die vorliegenden FAQs geben eine erste Orientierung über die Inhalte der Richtlinie (Fragen 1-3) und die rechtliche Situation der Beschäftigten als Hinweisgebende nach dem Verstreichen der Umsetzungsfrist (Fragen 4 -10). Die Forderungen des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften, bezogen auf die Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht, finden sich im Link unter der Frage 11.

  • 1. Wer ist von der Richtlinie erfasst – und ab wann?

    Die Richtlinie schützt verschiedene Personengruppen vor Nachteilen, die im beruflichen Kontext von Rechtsverstößen und Missständen erfahren, diese Verstöße bzw. Missstände melden und infolgedessen Nachteile erfahren können:

    • Arbeitnehmer*innen im privaten wie öffentlichen Sektor,
    • Beamt*innen.
    • Auszubildende, Anwärter*innen und Praktikant*innen,
    • Selbstständige,
    • Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder sowie
    • Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten.

    Diese Personen erhalten den Schutz nach der Richtlinie, wenn sie einen (tatsächlichen oder im guten Glauben angenommenen) Verstoß gegen die in der Richtlinie genannten Vorschriften des Unionsrechts über die dafür vorgesehenen Meldewege oder durch Offenlegung gegenüber der Öffentlichkeit anzeigen. Zu den von der Richtlinie erfassten Bereichen des Unionsrechts gehören laut ihrem Art. 2 u. a. Vorschriften der Finanzmarktregulierung, das Wettbewerbs-, Beihilfen-, Körperschaftsteuer- und Vergaberechts, das Umwelt- und Tierschutzrecht, das Recht der Produkt-, Verkehrs- und Lebensmittelsicherheit sowie das Verbraucher- und Datenschutzrecht. Der Anhang der Richtlinie listet die einzelnen Vorschriften auf.

    Die Mitgliedstaaten können bei der Umsetzung der Richtlinie den Schutz der Richtlinie auf Beschäftigte, die Meldungen von Verstößen in weiteren Rechtsbereichen abgeben, erweitern. Das fordern auch der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften (vgl. im Forderungspapier des DGB am Ende der Frage 11).

  • 2. Welche Meldewege schreibt die Whistleblower-Richtlinie vor?

    Die Richtlinie schreibt vor, dass Unternehmen und Organisationseinheiten des öffentlichen Dienstes Meldestellen einzurichten haben. Staatlicherseits sind zudem externe Meldestellen einzurichten. Die internen und externen Meldewege sind gleichwertig. Die Nutzung der internen Kanäle bleibt für die Hinweisgeber stets freiwillig: die Informationen können intern gemeldet werden, müssen es aber nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 der WB-Richtlinie). Eine Meldung direkt an die externen, staatlicherseits einzurichtenden Meldestellen ist ohne besondere Voraussetzungen zulässig, Hinweisgebende sind also nicht verpflichtet, vorher eine interne Meldung abzugeben. (vgl. Art. 10, 2. HS der WB-Richtlinie). Schließlich gibt es die Möglichkeit, die Information über einen Verstoß gegenüber der Öffentlichkeit offenzulegen. Diese Offenlegung gilt dann als geschütztes Whistleblowing, wenn sie erfolgt, nachdem nach einer internen und/oder externen Meldung nach Ablauf der vorgesehenen Fristen keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden (Art.15 lit a der WB-Richtlinie) oder eine Gefährdung des öffentlichen Interesses bzw. das Risiko der Verschleierung vorliegt (Art.15 lit b der WB-Richtlinie).

  • 3. Welche Schutzmaßnahmen gelten für Whistleblower*innen nach der Richtlinie?

    Zu den wichtigsten Schutzinstrumenten der Richtlinie gehört das spezielle und sehr konkrete Verbot von Repressalien gegenüber den Hinweisgeber*innen, die Meldungen entsprechend den Vorgaben der Richtlinie abgeben (Art. 19 der Richtlinie). Verboten sind folgende Repressionsformen:

    • Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen,
    • Herabstufung oder Versagung einer Beförderung,
    • Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeit,
    • Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen,
    • negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses,
    • sämtliche sonstige Disziplinarmaßnahmen sowie Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung,
    • Diskriminierung, benachteiligende oder ungleiche Behandlung,
    • Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen Arbeitnehmer*innen zu Recht erwarten durften, einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten zu bekommen,
    • Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags,
    • Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmeverluste),
    • „Blacklisting“.

    Ergreift der Arbeitgeber bzw. Dienstherr die als Maßregelung empfundenen Maßnahmen, gelten im gerichtlichen oder sonstigen behördlichen Verfahren für Hinweisgebende Beweiserleichterungen (Art. 21 Abs. 5): Bringen Hinweisgebende Indizien vor, die auf eine Maßregelung infolge der Meldung hinwiesen, muss der Arbeitgeber bzw. Dienstherr*in beweisen, dass die ergriffene Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte.

    Eine weitere wichtige Vorgabe ist die Verpflichtung zur Regelung der „vollständigen Wiedergutmachung des erlittenen Schadens“ (Art. 21 Abs. 8 der Richtlinie). Übersetzt bedeutet es, dass ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch zu schaffen ist, der auch die immateriellen Schäden erfasst.

  • 4. Wie wirkt die Richtlinie nach der Verletzung der Umsetzungsfrist auf die Rechtssituation von Beschäftigten als potenzielle Whistleblower*innen in Deutschland?

    Für Beschäftigte des Staates (Tarifbeschäftigte wie auch Beamt*innen) – und hier gilt der weite Begriff des Unionsrechts, welcher auch privatrechtlichen Unternehmen in staatlicher Hand umfasst – gelten die günstigen, unbedingten und hinreichend klaren Regelungen der Richtlinie direkt. Nach der Rechtsbrechung des EuGH greift die vertikale Direktwirkung immer dann, wenn der Staat unmittelbar oder mittelbar als Arbeitgeber auftritt. Erfasst sind neben Arbeitsverhältnissen mit dem Staat auch Arbeitsverhältnisse mit öffentlichen Unternehmen in privater Rechtsform und sogar mit privaten Unternehmen, an welchen der Staat eine bloße Mehrheitsbeteiligung hat. Damit ergänzt die Richtlinie bezogen auf die Beamtenschaft die in § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG bzw. § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG normierte Meldepflicht in Fällen des Korruptionsverdachts.

    Darüber hinaus sind die Gerichte verpflichtet, das deutsche Recht so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen. Innerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie muss dies Wertungskorrekturen zu Gunsten der Hinweisgeber*innen im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung zu Whistleblowing-Fällen nach sich ziehen.

  • 5. Welche Bestimmungen der Whistleblower-Richtlinie wirken konkret unmittelbar auf die Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst und was folgt daraus?

    Alle Beschäftigten im öffentlichen Sektor können die aus der Richtlinie resultierenden, hinreichend eindeutigen Schutzrechte für sich in Anspruch nehmen, wenn sie Verstöße im sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie – also gegen ausgewählte Unionsrechtsvorschriften (s. dazu Antwort auf die Frage 1) anzeigen. Für sie kommt also unmittelbar beispielsweise das zentrale Verbot von Repressalien aus Art. 19 der Richtlinie zur Anwendung, welches sehr konkret unzulässige Repressionsformen auflistet (s. dazu Frage 3) und sie profitieren dann von der widerlegbaren Vermutung nach Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie.

    Voraussetzung für den Schutz ist, dass die Meldung des Verstoßes über einen dafür vorgesehenen Melde- bzw. Offenlegungsweg erfolgt, also entweder an eine verwaltungs- bzw. behördenintern einzurichtende interne oder eine staatlicherseits einzurichtende externe Meldestelle oder aber – unter bestimmten Voraussetzungen – direkt an die Öffentlichkeit.

  • 6. Ist der öffentliche Dienst auch ohne ein Umsetzungsgesetz verpflichtet, verwaltungsinterne Meldestellen nach den Vorgaben der Whistleblower-Richtlinie einzurichten?

    Ja. Einzelne Verwaltungen und Behörden sind bereits ab dem 18. Dezember 2021 unmittelbar aus der Richtlinie verpflichtet, dienststelleninterne Meldemöglichkeiten einzurichten. Das gilt selbst für kleinste Organisationseinheiten, also etwa kleine Gemeinden. Zwar ermöglicht die Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Abweichung von dieser Pflicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts mit weniger als 50 Arbeitnehmer*innen sowie Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohner*innen, allerdings hat der Gesetzgeber fürs Erste diese Möglichkeit ungenutzt gelassen. Zum 18. Dezember 2021 gilt also die Einrichtungspflicht für alle Organisationseinheiten des öffentlichen Sektors. Hier besteht in der Praxis ein offensichtlicher Handlungsbedarf. Viele Behörden und Verwaltungen sind auf diese Aufgaben nicht vorbereitet. Auch eine staatliche Stelle bzw. Stellen, die nach den Vorgaben der Richtlinie zur Entgegennahme von externen Meldungen verpflichtet wären, sind noch nicht eingerichtet. Für die Beschäftigten bzw. Bediensteten der öffentlichen Hand bleibt es dadurch oft unklar, an welche Stellen sie sich wenden können, wenn sie rechtsicher ihre Meldung abgeben wollen. Nach zutreffender Auffassung darf aber nicht die fehlende Umsetzung zulasten der Hinweisgeber*innen gehen, so dass auch eine Meldung an eine andere, potenziell geeignete Einheit innerhalb der Dienststelle oder Behörde, etwa an eine Compliance- oder Rechtsabteilung als schutzauslösend gewertet werden müsste.

    Hier empfiehlt es sich, über die Interessenvertretungen in den öffentlichen Betrieben und Dienststellen an die Arbeitgeber*innen bzw. Dienstherr*innen heranzutreten, um bezüglich der Zuständigkeit für die Entgegennahme von Meldungen Klarheit zu erlangen bzw. die Einrichtung entsprechender Stellen zu initiieren.

    Ob ein Mitbestimmungsrecht besteht richtet, sich nach dem jeweils geltenden Personalvertretungsgesetz. Auf Bundesebene ist ein solches beispielweise nur hinsichtlich des „wie“ und nicht des „ob“ der Einrichtung einer internen Meldestelle normiert, vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 18 BPersVG.

  • 7. Können sich Beschäftigte, die einen Verstoß melden wollen, solange es keine offizielle staatliche Whistleblowing-Meldestelle bzw. -stellen gibt, direkt an die Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden wenden und erhalten sie dann den Schutz nach der Richtlinie?

    Diese Frage kann derzeit nicht klar beantwortet werden. Nach den Vorgaben der Richtlinie ist der Staat verpflichtet, externe Meldestelle einzurichten. Gleichzeitig überlässt die Richtlinie die konkrete Ausgestaltung dieser Stellen den nationalen Gesetzgebern, räumt ihnen also diesbezüglich einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Es ist nicht selbstverständlich, dass die bisher vorhandenen Behörden die Funktion der Whistleblowing-Meldestellen annehmen können und auch sollen. Eine dementsprechende Direktwirkung der Richtlinienvorgaben ist hier zumindest fraglich. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht hinnehmbar, dass Beschäftigte aufgrund staatlicher Untätigkeit ihre Rechte nach der Richtlinie nicht geltend machen können, indem sie extern keine Meldung abgeben können und ausschließlich auf interne Meldungen angewiesen sind. Das widerspricht dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie, dem auch Deutschland verpflichtet ist. Folgerichtig erscheint, dass bis zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht, etwa eine Meldung eines Verstoßes gegen EU-Finanzmarktvorschriften an die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin oder die Meldung eines Verstoßes gegen das Datenschutz an den Datenschutzbeauftragten den Schutz nach der Richtlinie auslöst. Sicher ist aber diese Rechtsauffassung nicht. Ohne eine Klarstellung besteht aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht das Risiko arbeitsrechtlicher Sanktionen, wenn sich Beschäftigte unmittelbar an öffentliche Stellen wenden, welche dann Bußgeld- oder Strafverfahren gegen den Arbeitgeber einleiten. Hier besteht also dringender Klärungs- und Handlungsbedarf und bis dahin auch die Möglichkeit, die Bundesrepublik in die sog. Staatshaftung zu nehmen.

  • 8. Wie wirkt sich der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung auf die Situation der Beschäftigten vor der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie ins deutsche Recht aus?

    In der Privatwirtschaft, aber auch im öffentlichen Dienst (zusätzlich zur vertikalen Drittwirkung der Richtlinie), greift nach dem Verstreichen der Umsetzungsfrist der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des geltenen Rechts. Die deutschen Gerichte sind demnach verpflichtet, so weit wie möglich – also unter Beachtung der anerkannten Auslegungsmethoden – das deutsche Recht an den Vorgaben der Richtlinie auszurichten. Das gilt allerdings nur in Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie, also dann, wenn sich die Meldung auf einen Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts in den durch die Richtlinie vorgegeben Bereichen (s. dazu Frage 1) bezieht.

    Den Whistleblower*innen kommt in diesem Fall die Tatsache zugute, dass es sich bei den Regeln des Whistleblowing-Schutzes in Deutschland nicht um eindeutige Gesetzesformulierungen, sondern um die Auslegung der allgemeinen Grundsätze – Treue- und Verschwiegenheitspflichten der Beschäftigten auf der einen und deren Meinungsfreiheit und Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte auf der anderen Seite – handelt. Diese Grundsätze können durch die Gerichte weiterentwickelt werden und sind der richtlinienkonformen Auslegung ohne weiteres zugänglich.

  • 9. Wie wirkt sich die richtlinienkonforme Auslegung konkret im Verfahren vor Gericht aus?

    Das Bundesarbeitsgericht entwickelte in Abwägung zwischen Rechten und Pflichten der Beschäftigten Grundsätze zum Schutz der Whistleblower*innen, wie ein grundsätzlicher Vorrang vorheriger interner Klärung oder die besondere Berücksichtigung der individuellen Motive des Whistleblowers. Diese Grundsätze stehen im Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie und dürften in Gerichtverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Stattdessen ist der Grundsatz der grundsätzlichen Zulässigkeit externer Meldungen, im Einklang mit der Richtlinie, fortzuentwickeln. Hinweisgeber*innen können sich – entsprechend den Vorgaben der Richtlinie – direkt an eine externe Meldestelle wenden. Arbeitsrechtliche Sanktionen wären dann, und zwar unabhängig von der Motivationslage, unzulässig. Das gilt im Übrigen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft gleichermaßen.

    Auch die Vorgaben der Richtlinie (art. 21 Abs. 5), wonach bei Klagen der Hinweisgeber*innen gegen die als Repression empfundenen Maßnahmen die Beweislast bei Arbeitgebern liegt, kommt im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung zur Anwendung. Konkret bedeutet es, dass Beschäftigte ihrer Beweispflicht genügen, wenn sie Indizien vorbringen, die auf eine Maßregelung infolge der Meldung hinwiesen. Die Arbeitgeber*in bzw. Dienstherr*in muss dann beweisen, dass die ergriffene Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte.

    Ungelöst bleibt aber auch hier, dass solange staatlicherseits keine externen Whistleblowing-Meldestellen eingerichtet sind, unklar ist, ob eine Meldung eines Verstoßes etwa an die fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder die Strafverfolgungsbehörde den Schutz der Richtlinie überhaupt auslöst. Die Behörden sind grundsätzlich nicht an die Vorgaben der Richtlinie hinsichtlich der Annahme, Bearbeitung und (fristgebundene) Rückmeldung zu den durch die die Hinweisgeber*innen abgegebenen Meldungen gebunden. Es erscheint zwar zielführend und der Verwirklichung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie dienlich, dass etwa bei Meldung von Datenschutzverstößen gegenüber den Datenschutzbehörden oder bei Finanzmarktvorgaben der EU gegenüber der BaFin der Schutz der Richtlinie greifen soll.

    Unproblematisch als schutzauslösend gelten hingegen Meldungen von Verstößen an die dafür in Unternehmen speziell eingerichteten Whistleblower-Meldestellen. Allerdings schreibt die Richtlinie die Gleichwertigkeit der Meldung an interne und externe Stellen vor, so dass für Hinweisgeber*innen in jedem Fall die Wahl zwischen interner und externer Meldung bestehen muss. Hier steht der Staat in der Pflicht, schnellstmöglich für die notwendige Klarheit hinsichtlich der Möglichkeiten der externen Meldung zu sorgen.

  • 10. Unter welchen Voraussetzungen können sich Whistleblower*innen direkt an die Öffentlichkeit, etwa an die Medien, wenden, wenn sie den Schutz der Richtlinie in Anspruch nehmen wollen?

    Der unmittelbare Gang eine*r Whistleblower*in an die Öffentlichkeit ist nach den Vorgaben der deutschen Rechtsprechung bislang nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig und unterliegt in aller Regel den arbeitsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten. Die EU-Whistleblower-Richtlinie führt hier neue und klare Regeln ein, die auch ohne ein Umsetzungsgesetz – sei es im Rahmen der Direktwirkung für Arbeitnehmer*innen im öffentlichen Dienst oder Beamt*innen, sei es im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung – zur Anwendung kommen. Sie überschreiben die bisher durch die Rechtsprechung geformten Grundsätze. Um den Konflikt zwischen der arbeitsvertraglichen Treuepflicht einerseits und dem europäischen Hinweisgeberschutz andererseits aufzulösen, bedarf es jedoch einer gesetzgeberischen Klarstellung.

    Die Offenlegungsvorschriften des Art. 15 Abs. 1 lit. b der Whistleblower-Richtlinie kommen zur Anwendung. Ab dem 18. Dezember 2021 können sich Beamt*innen und Arbeitnehmer*innen im öffentlichen Sektor innerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie – also bei (gutgläubig angenommenen) Verstößen gegen die in der Richtlinie genannten Vorschriften des Unionsrechts – bei einem hinreichenden Grund für die Annahme einer unmittelbaren oder offenkundigen Gefährdung des öffentlichen Interesses, unmittelbar an die Öffentlichkeit wenden und genießen die Schutzinstrumente der Richtlinie. Für die Beschäftigten in der Privatwirtschaft müssten die Gerichte im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung einen vergleichbaren Schutz herstellen.

  • 11. Wie stellen sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie ins deutsche Recht vor?

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat bereits Mitte letzten Jahres ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches die Anforderungen an die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie aufgezeigt hat. Auf Grundlage der Erkenntnisse dieses Gutachtens und unter Berücksichtigung der Schutzbedarfe abhängig Beschäftigter haben der DGB und seine Mitgliedgewerkschaften in einem Eckpunktepapier Anforderungen für die Umsetzung formuliert. Das Ziel ist eine effiziente und kohärente Regelung zum Schutz von Personen, die aufgrund von Geltendmachung von Rechten Benachteiligungen erfahren.


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