Deutscher Gewerkschaftsbund

20.05.2020
BM - Magazin für Beamtinnen und Beamte 5/2020

Digitalisierung der Justiz: Die E-Akte

Wir leben in einer digitalen Gesellschaft. Und diese braucht einen verlässlichen Rechtsrahmen. Die Umstellung von Papierakten zu elektronischen Akten ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Justiz. Daher müssen sämtliche Dokumente ab dem Jahr 2022 in elektronischer Form bei den Gerichten eingereicht werden. Und bis Anfang des Jahres 2026 muss die E-Akte flächendeckend in allen Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeführt sein. So sieht es der Gesetzgeber vor. Doch wie sieht es mit der praktischen Umsetzung aus?

Dieser Beitrag ist Titel im BM Ausgabe 05/2020 - dem Magazin für Beamtinnen und Beamte des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Im Amtsgericht Hamm begegnen sich Vergangenheit und Zukunft. Papierberge, die auf Aktenwagen durch die Flure geschoben werden, sind hier schon beinahe Geschichte. „Momentan fahren wir allerdings noch zweigleisig,“ sagt Natalie Rohl. Die 49-Jährige ist Justizbeschäftigte und arbeitet in der Service-Einheit für Zivilsachen. Dort verwaltet sie mit ihren KollegInnen sämtliche Akten. Und die liegen in der Zivilabteilung des Amtsgerichts Hamm sowohl elektronisch als auch in Papierform vor. Denn im Februar 2019 hat das Land Nordrhein-Westfalen im Bereich von Natalie Rohl ein Pilotprojekt mit der E-Akte e²A eingeführt. Ein halbes Jahr dauerte die Umstellung auf das neue System. In dieser Zeit wurden alle neuen Akten elektronisch angelegt und parallel noch einmal auf Papier ausgedruckt. „Das ist unheimlich viel Aufwand gewesen, da wir jede Akte doppelt bearbeiten mussten“, sagt die Justizbeschäftigte. Doch seit September 2019 werden die neuen Verfahren ausschließlich digital erfasst. Das Folieren von Dokumenten und das Abheften in die Papierakte fielen seitdem weg, neue Aufgaben wie die Umbenennung von digitalen Dokumenten kämen hinzu. „Insgesamt läuft die Arbeit nun aber viel zügiger,“ sagt Natalie Rohl. So könne sie jetzt beispielsweise zeitgleich mit KollegInnen auf eine Akte zugreifen oder elektronische Notizen für die bearbeitenden RichterInnen in der Akte hinterlassen. Lediglich bei einem Viertel der Verfahren – bei den auslaufenden nämlich – gebe es noch eine Papierakte.

Dabei funktionierte zu Beginn des Pilotprojektes nicht immer alles reibungslos. Insbesondere wenn das Programm e²A nach System-Updates nicht fehlerfrei lief, „kam es stundenweise zu einem Stillstand der Rechtspflege. Da ging dann nichts mehr,“ sagt Natalie Rohl. Doch diese Zeiten sind zum Glück vorbei.

Eine kleine Revolution

„Die E-Akte revolutioniert die Arbeit der Justiz,“ sagt auch Dr. Ralf Köbler. Er ist Präsident des Landgerichts Darmstadt und setzt sich seit vielen Jahren für eine digitale Transformation der Justiz ein. „Die Papierakte hat als einziges Ordnungsprinzip die Chronologie. Es gibt keine sachliche Untergliederung,“ sagt der Jurist. Bisher verbrächten RichterInnen ein Großteil ihrer Arbeitszeit damit, in Papier-Akten nach entscheidungsrelevanten Dokumenten zu suchen. Die Suchfunktion in elektronischen Akten könne dazu beitragen, überlange Verfahrenszeiten zu verkürzen. Angesichts der knappen Personalausstattung in der Justiz und der daraus folgenden Überlastung, sei die flächendeckende Einführung der E-Akte längst überfällig. Die entsprechende Technik für Datenschutz und Datensicherheit der elektronischen Akte, davon ist der 60-Jährige überzeugt, „ist beherrschbar“. Banken und Versicherungen arbeiteten beispielsweise schon seit 30 Jahren mit elektronischen Akten. Kritikern der juristischen E-Akte entgegnet Dr. Köbler daher gerne, dass er noch nie von einem verschwunden Giro-Konto gehört habe. „Natürlich müssen wir trotzdem über die Sicherheit sprechen“, sagt der Jurist. Das größte Risiko für einen unbefugten Zugriff auf die Daten in der E-Akte sieht er im Email-Verkehr. Angriffe von Hackern erfolgten fast ausschließlich über einen Email-Kontakt. Daher empfiehlt Ralf Köbler den Ausschluss von HTML-Mails, bis bessere Lösungen zum Schutz des offenen Email-Verkehrs entwickelt werden. Dass es solche Lösungen aber geben wird, da ist er sich sicher.

Die rechtlichen Grundlagen zur bundesweiten Einführung der E-Akte in der Justiz beurteilt der Präsident des Landgerichts Darmstadt positiv. Die Bundesgesetze seien vom Gesetzgeber mit Unterstützung der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz über viele Jahre hinweg ausgefeilt worden, um den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung gut begegnen zu können. In der praktischen Umsetzung wünscht sich Dr. Köbler allerdings, besonders bei der Verwendung von elektronischen Signaturen, erhebliche Vereinfachungen. Und der Jurist geht noch einen Schritt weiter. In Zukunft sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, mit Hilfe elektronischer Formulare einen sogenannten strukturierten Parteivortrag direkt in der E-Akte niederzuschreiben. Auf diese Weise würde der inhaltliche Sachvortrag der beiden Parteien schon geordnet bei Gericht eingehen. Eine erhebliche Zeitersparnis wäre die Folge.

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Blick nach vorn

Die Justizbeschäftigte Natalie Rohl sieht langfristig die Gefahr von Personalabbau durch die flächendeckende Einführung der E-Akte. Dieser müsse dann sozialverträglich gestaltet werden, so ihre Forderung. Mittelfristig wünscht sie sich für die Beschäftigen in den Service-Einheiten die Möglichkeit mit der E-Akte im Homeoffice arbeiten zu können. Bisher ist das im Pilotprojekt nur für die RichterInnen und SachbearbeiterInnen am Amtsgericht Hamm möglich. Einen ganz unmittelbaren Effekt hat die Arbeit mit der E-Akte aber auch: Die riesigen Akten-Regale entlang der Wände in Natalie Rohls Büro leeren sich langsam und machen Platz für Neues.

In Deutschland gibt es drei unterschiedliche E-Aktensysteme. Die ergonomische elektronische Akte (e²A), die E-Akte als Service (eAS) und das elektronische Integrationsportal (eIP). Alle drei E-Aktenprojekte werden inzwischen in Pilotprojekten angewendet, und zwar sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sowie in der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit.

Der laufende Austausch zwischen den unterschiedlichen E-Akte-Verbünden wird durch die Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz begleitet. Auch die Zusammenarbeit bei Standardisierungen, wie zum Beispiel einer einheitlichen Architektur der E-Akten, und die Einrichtung von Schnittstellen zwischen den drei Systemen ist Teil dieses Austausches.

Die Entwicklung der e²A wird gemeinsam von den Bundesländern Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt vorangetrieben. Während Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen den eAS-Verbund bilden. Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz betreiben gemeinsam das E-Aktenprojekt eIP.


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