Die Bildungsgewerkschaft pocht darauf: Das Menschenrecht auf Bildung muss ausnahmslos auch für Flüchtlinge gelten. In den vergangenen Monaten hat die GEW konkrete Vorschläge und Forderungen eingebracht, wie Integration durch Bildung gelingen kann. Zu den Details hat das Beamtenmagazin die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe befragt.
GEW
"Wir können nicht auf den Abschluss von Asylverfahren warten, sonst produzieren wir eine weitere Generation von Bildungsverlierern."
GEW-Vorsitzende Marlis Tepe
Beamtenmagazin: Bildung gilt als ein zentraler Schlüssel für eine gelingende Integration geflüchteter junger Menschen. Dafür bedarf es vor allem qualifizierter Pädagoginnen und Pädagogen. Welche Erkenntnisse hat die GEW über den aktuellen Mehrbedarf an Personal?
Marlis Tepe: Wir gehen von einem Mehrbedarf von 24.000 Lehrerinnen und Lehrern an allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie 14.000 Erzieherinnen und Erziehern jährlich aus. Das haben wir anhand der Zuwanderungszahlen und sinnvoller Gruppengrößen hochgerechnet. Darüber hinaus brauchen wir weitere pädagogische Fachkräfte, beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter.
Beamtenmagazin: Unter dem Motto „Bildung kann nicht warten!“ hat die GEW im vergangenen Jahr Handlungsempfehlungen für den Zugang zu Bildung für Flüchtlinge und Asylsuchende formuliert. Welche Maßnahmen könnten kurzfristig umgesetzt werden?
Marlis Tepe: Wir können nicht auf den Abschluss von Asylverfahren warten, sonst produzieren wir eine weitere Generation von Bildungsverlierern. Deshalb müssen schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen Bildungsangebote bereitgestellt werden. Am besten kommen Kinder und Jugendliche möglichst zeitnah in Kitas und Schulen. Dazu müssen mehr Stellen geschaffen werden. Da es mittlerweile sowohl an Personal für Kitas als auch Schulen mangelt, brauchen wir kurzfristig intensive Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen mit den Schwerpunkten Sprachbildung und interkulturelle Kompetenzen, um die vorhandenen Beschäftigten in ihren Aufgaben zu unterstützen. Im Übergang kann das fachliche Potenzial pensionierter Fachkräfte genutzt werden. Was nicht geht ist, Bildung nicht hinreichend qualifizierten Ehrenamtlichen zu überlassen.
Beamtenmagazin: Und welche langfristigen bildungspolitischen Maßnahmen fordert die GEW von Bund und Ländern?
Marlis Tepe: Wir mahnen seit Jahren eine Debatte über Bildung in der Migrationsgesellschaft an. Auch hier wären die Bausteine Sprach- und interkulturelle Bildung wichtig. Sie müssten als Querschnittsaufgabe in die hochschulische Ausbildung von Lehrkräften integriert werden. Außerdem brauchen wir eine Pädagogik, die weit mehr als heute Unterschiede berücksichtigt und sensibel für Vorurteilslagen ist. Das ist ganz wichtig, um zunehmenden rassistischen Tendenzen entgegen zu wirken. Wir brauchen im Bildungswesen Strategien, die sich auf soziale Inklusion richten. Das geht weit über migrationsspezifische Fragestellungen hinaus.
Beamtenmagazin: Vor Kurzem konnte die GEW in Rheinland-Pfalz die falsche Eingruppierung der Lehrkräfte für Sprachförderung abstellen. Welche anderen arbeits- bzw. dienstrechtlichen Baustellen gibt es?
Marlis Tepe: Lehrkräfte für Deutsch als Zweit- bzw. Fremdsprache sind häufig Quereinsteigerinnen und -einsteiger und haben kein komplettes Lehramtsstudium absolviert. Zudem wird Deutsch als Zweitsprache bislang kaum als vollwertiges Studienfach im Lehramt angeboten. Hier muss die Lehramtsausbildung ausgeweitet werden. In der Grundschule ist die Quote sozialer Inklusion am höchsten. Dort werden die Weichen für eine gelingende Bildungsbiografie gestellt. Die Lehrkräfte – weit überwiegend Frauen – werden aber schlechter als am Gymnasium bezahlt, deswegen fordern wir eine Besoldung nach A 13 auch für sie.
Das Interview erschien im Magazin für Beamtinnen und Beamte 5/2016