Das Bildungssystem insgesamt muss finanziell besser ausgestattet werden

GEW-Vorsitzende Maike Finnern im Interview

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einblick | Die Bildungspolitik steht vor großen Herausforderungen. Was sind die dringendsten Aufgaben für die neue Bundesregierung?

Maike Finnern | Die Politik muss endlich einen großen Schritt in Richtung deutlich mehr Chancengleichheit im Bildungssystem machen. Dafür sollen aus den Sondervermögen mindestens 130 Milliarden Euro zusätzlich in die Bildung fließen. Zudem müssen wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um den Fachkräftemangel, der insbesondere an Kitas und Schulen gravierend ist, erfolgreich zu bekämpfen.

Der Fachkräftemangel ist ein Dauerthema, besonders in Kitas und Schulen. Was muss geschehen, um mehr Menschen für pädagogische Berufe zu gewinnen?

Die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte müssen dringend verbessert, die Arbeitszeit muss verkürzt werden, um wieder mehr junge Menschen für diesen eigentlich wunderbaren Beruf zu gewinnen. Gleichzeitig muss zusätzliches Personal eingestellt werden, um Lehrkräfte beispielsweise von Verwaltungsaufgaben und der IT-Administration zu entlasten. Die GEW macht sich zudem – auch mit Blick auf den kommenden Ganztag an Grundschulen – für multiprofessionelle Teams stark.

Wie kann dieses zusätzliche Geld konkret eingesetzt werden, um Chancengleichheit zu fördern?

Solange der Bildungserfolg der Kinder und jungen Menschen weiterhin so eng an ihre soziale Herkunft gekoppelt ist, können wir nicht von Chancengleichheit sprechen. Das Bildungssystem insgesamt muss finanziell besser ausgestattet werden. Und die Ressourcen müssen vor allem dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden: in sozial benachteiligten Regionen und Stadtteilen, für arme Familien. Das Startchancen-Programm ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es muss allerdings mit mehr Geld ausgestattet und verstetigt werden.

Inwiefern könnte die Digitalisierung dabei helfen, den Bildungsbereich zu entlasten?

Wir sind noch auf der Suche nach der Rolle und den Aufgaben der Digitalisierung. Klar ist, dass die Digitalisierung etwa im Unterricht nur unterstützenden Charakter haben kann. Es gilt das Primat der Pädagogik und der pädagogischen Beziehung. Es braucht Fortbildung und Forschung, insbesondere zur pädagogischen Nachhaltigkeit digitaler Medien. Die Schulen, Kinder und Lehrkräfte benötigen Zeit, Zeit und nochmals Zeit, um den digitalen Wandel zu gestalten.

Immer wieder kommt es vor, dass Kitas bei Krankheitswellen oder Personalmangel früher schließen müssen. Was braucht es, um in der frühkindlichen Bildung stabile Verhältnisse zu schaffen?

Die Politik muss endlich ein Kita-Qualitätsgesetz mit verbindlichen bundeseinheitlichen Standards verabschieden, um allen Kindern ihr Recht auf beste Bildung und verlässliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen sowie die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte nachhaltig zu verbessern. Eine bundesweite Initiative soll die Attraktivität der Berufe verbessern und mit einer Reduzierung der Belastungen für die Kolleginnen und Kollegen verbunden werden. Es darf zu keiner weiteren Dequalifizierung in der Ausbildung kommen. Im Gegenteil: Künftige Fachkräfte sind bestmöglich auszubilden, Höherqualifizierungen und Karrierewege müssen systemisch implementiert werden.

Der Gewerkschaftstag der GEW findet im Mai statt. Welche Themen werden dort im Mittelpunkt stehen?

Zur Bildungspolitik liegen beispielsweise Anträge zu den Themen “Qualität im Ganztag entwickeln”, “Bekämpfung des Fachkräftemangels”, “Nachhaltige Bildung in der digitalisierten Welt” und Künstlicher Intelligenz, zur “Stärkung der Demokratiebildung” und der Neujustierung der “Schulpolitischen Positionen der GEW” vor. Zudem wird sich der Gewerkschaftstag mit Fragestellungen wie “Streikrecht verteidigen – Beteiligungsrechte stärken" sowie gesellschaftspolitischen Themen wie dem Rechtsruck in der Gesellschaft mit der Stoßrichtung “Aktiv gegen Rechts 3.0 – für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt” beschäftigen.

In den USA stehen Wissenschaft und Forschung zunehmend unter Druck. Wie können wir in Deutschland die Wissenschaftsfreiheit schützen?

Um eine Situation wie in den USA gar nicht erst entstehen zu lassen, muss die Wissenschaftsfreiheit gestärkt, es müssen Maßnahmen eingeleitet werden, die Machtmissbrauch und Diskriminierung verhindern. Um die prekäre Lage, in der sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befinden, zu verändern, müssen an den Hochschulen endlich Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. Für Zeitverträge braucht es Mindestlaufzeiten, um den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Sicherheit zu geben. Die Grundfinanzierung der Hochschulen muss deutlich erhöht werden, um die Abhängigkeit von Drittmitteln zu verringern.

Zum Abschluss: Wenn Du einen Blick in die Zukunft werfen – wie sieht die Vision für das Bildungssystem in Deutschland aus?

Wir setzen uns für ein inklusives, gut ausfinanziertes, von qualifizierten Fachkräften getragenes Bildungssystem ein, das allen Kindern die bestmöglichen Entwicklungsmöglichkeiten bietet, das für Chancengleichheit steht und lebensbegleitendes Lernen möglich macht – von der Kita über alle Schulformen, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen bis hin zur Weiterbildung. Dieses Bildungssystem bietet allen Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung. Es gibt den Lehrenden ausreichend Zeit, Lernprozesse so zu gestalten, dass alle Lernenden bestmöglich unterstützt und gefördert werden können.


Maike Finnern ist seit 2021 Vorsitzende der GEW, 2025 wurde sie im Amt bestätigt. Sie war als Lehrerin für Deutsch und Mathematik zuletzt Zweite Konrektorin der Realschule in Enger/Kreis Herford und viele Jahre als Personalrätin im Bezirk Detmold sowie im Hauptpersonalrat beim Schulministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) tätig. Von 2011 bis 2019 war sie stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW und seit Mai 2019 Landesvorsitzende. Seit 2013 ist sie Mitglied im Hauptvorstand der GEW.

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