Die neue Bundesregierung nimmt ihre Arbeit auf. Eines der wichtigsten Projekte ist das neue Finanzpaket mit dem 500 Milliarden schweren Sondervermögen zur Modernisierung der Infrastruktur. Aus unserer Sicht kann das einen zentralen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft leisten. Aber die finanzpolitische Wende droht durch die EU ausgebremst zu werden. Denn das Finanzpaket steht in Konflikt mit den EU-Schuldenregeln.
Diese europäischen Fiskalregeln wurden erst im Frühjahr 2024 reformiert. Auf eine investitionsfreundliche Reform konnten sich die EU-Gesetzgeber aber nicht einigen, was wir massiv kritisiert haben. Insbesondere der frühere deutsche Finanzminister Christian Lindner blockierte eine progressive Reform. Nach der Wahl Donald Trumps und der veränderten geopolitischen Lage hat die EU-Kommission im März 2025 die sog. "nationale Ausweichklausel" in den neuen EU-Fiskalregeln aktiviert: Mitgliedstaaten ist es jetzt erlaubt, über vier Jahre jedes Jahr zusätzliche Schulden in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (also insgesamt bis zu 6 Prozent des BIP) für Verteidigungsausgaben aufzunehmen – ohne dabei Sanktionen seitens der EU befürchten zu müssen.
Für Deutschland sind die Folgen dramatisch: Während die beschlossene Lockerung der Schuldenbremse zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht gegen die EU-Fiskalregeln verstößt (zumindest für die nächsten vier Jahre), drohen der höhere Verschuldungsspielraum für die Bundesländer und das 500-Milliarden-Sondervermögen mit dem EU-Regelwerk in Konflikt zu geraten.
Aus Sicht der EU ist das Infrastruktur-Sondervermögen u. a. deshalb problematisch, weil bei einer effektiven Umsetzung die Schuldenquote steigen würde. Das wäre zwar kein Problem für die Schuldentragfähigkeit Deutschlands. Aktuell liegt die Schuldenquote Deutschlands deutlich unter dem Eurozonendurchschnitt. Es wäre aber mit dem EU-Regelwerk nicht vereinbar. Dort ist festgelegt, dass die Schuldenquote mittelfristig sinken muss, um den Zielwert von 60 Prozent des BIPs zu erreichen.
Für uns steht fest: Die Investitionen aus dem Sondervermögen müssen zügig und spürbar abfließen. Eine im Bundestag gefundene 2/3-Mehrheit für eine progressivere Fiskalpolitik darf nicht durch die EU-Ebene ausgebremst werden. Wenn jetzt massiv in Panzer und Munition investiert wird, während die EU bei Investitionen in Schulen, Schienen und Krankenhäuser weiterhin den Geldhahn zudreht, dann wäre das fatal und schürt zudem anti-europäische Ressentiments.
Um das Finanzpaket umzusetzen, sind mehrere Wege denkbar. Konsequent wäre es, wenn die EU-Fiskalregeln endlich in einer Weise reformiert werden, die wachstumssteigernde Investitionen über eine Schuldenfinanzierung ermöglicht. Das forderten Gewerkschaften, Ökonom*innen und viele andere zivilgesellschaftliche Akteure schon bei der Reform im letzten Jahr. Mit einer gezielten Revision des Stabilitäts- und Wachstumspaktes könnte das nun nachgeholt werden.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die erlaubte Schuldenquote von 60 auf 90 Prozent hochzusetzen. Die willkürliche Festlegung ist in den Anhängen zu den EU-Verträgen geregelt und könnte im Rat mit Einstimmigkeit geändert werden. Findet sich keine politische Mehrheit für eine pragmatische Reform der EU-Fiskalregeln, besteht schließlich die Möglichkeit, ein Strafverfahren in Brüssel in Kauf zu nehmen.