Dieser Beitrag ist Titel im BM Ausgabe 01/2021 - dem Magazin für Beamtinnen und Beamte des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Das Apple-Prinzip
„Und, was machen Sie so?“ „Ich bin Professor für Mensch-Computer-Interaktion und beschäftige mich mit der UUX (Usability, User Experience, Barrierefreiheit, Softwareergonomie und Gebrauchstauglichkeit) von behördlichen Fachanwendungen.“ „User Experience? Kenne ich - das hat doch Apple erfunden.“
Wenngleich diese UUX-Lichtgestalt namens Apple gegenwärtig ein klein wenig entzaubert wird, so müssen wir dennoch zugeben: Apple hat sich durch eine Vielzahl von klugen Entscheidungen, insbesondere in den Bereichen Strategie und Marketing, eine hervorragende Reputation erarbeitet. Jeder möchte ein bisschen wie Apple sein - der kreative Freiberufler, der kleine Mittelständler und die große Landesbehörde. Aber wie ist Apple eigentlich? Manche würden sagen: Apple ist ein Unternehmen, das das „Look und Feel“ seiner Produkte in den Mittelpunkt stellt.
Doch Steve Jobs hat bereits sehr früh klargestellt: „It’s not just what it looks like and feels like. Design is how it works.“ Apple ist also letztendlich eine extrem erfolgreiche Design-Agentur, die funktionsfähige Lösungen schafft - anstatt ästhetischer Ornamente. Die Produkte sind nicht erfolgreich, weil sie schön aussehen. Sie sind erfolgreich, weil sie funktionieren. Zugegebenermaßen darf Apple durchaus auch stolz auf die Ästhetik seiner Produkte sein; aber im Themenfeld UUX gibt es für Apple dennoch klare Prioritäten: Erst die Gebrauchstauglichkeit, dann die User Experience.
Gebrauchstauglichkeit macht erfolgreich
Für Behörden stellen sich viele Fragen, beispielsweise: Warum braucht man Gebrauchstauglichkeit und wie erreicht man sie? Die Antwort auf die erste Frage ist offensichtlich: Gute Gebrauchstauglichkeit macht Unternehmen erfolgreich. Wenn wir auf die großen vier der Technologiebranche Google, Amazon, Facebook und Apple schauen, finden wir auch Antworten auf die zweite Frage: Gebrauchstauglichkeit fokussiert sich nicht nur auf die Technologie, sondern auf das soziotechnische Gesamtsystem.
So spielen beispielsweise bei Amazon nicht nur der Shop, die Webseite und die App eine wichtige Rolle. Das wichtigste für Amazon ist der Kunde - und dessen Zufriedenheit. Diese geradezu manische Fokussierung auf die Kundenzufriedenheit hat Amazon letztendlich so unglaublich erfolgreich gemacht. Amazon ist also menschzentriert; für deutsche Behörden taugt dieser Ansatz jedoch nur bedingt als Vorbild - da dieses Unternehmen stark differenziert: Die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen spielen aufgrund der Überhöhung der Kundenbedürfnisse leider nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.
Vision für die Zukunft des eGovernment
Eine deutsche Vision für das eGovernment sollte daher in der Lage sein, diese Lücke zu schließen. Wir sollten uns nicht nur an den internationalen Vorreitern orientieren, sondern die Konzepte konsequent zu Ende denken. Konkret bedeutet das: Jegliche technologische Innovation in deutschen Behörden sollte stets vom Menschen aus konzipiert und gedacht werden.
Die digitalen, öffentlichen Dienstleistungen sollten alle involvierten Personengruppen auf gleichberechtige Weise berücksichtigen: Auf der einen Seite die Bedürfnisse der BürgerInnen (die online zur Verfügung gestellte Verwaltungsdienstleistungen nutzen) und auf der anderen Seite die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen (die mithilfe von Fachanwendungen für das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Verwaltung sorgen). Die Abstimmung zwischen Bedürfnis und Lösung muss dabei situativ erfolgen; beispielsweise in Form eines adaptiven Lebenslagenmodells - statt eines statischen und technologiezentrierten Dienstleistungskompasses.
Dieses Umdenken hätte ganz praktische Implikationen für die Behörde: Eine Fachabteilung würde nicht länger Software, also technische Lösungen, beschaffen. Stattdessen wäre die Fachabteilung ein Kompetenzzentrum für die Probleme der MitarbeiterInnen und BürgerInnen. Statt schlechte Software besser zu machen, würden schlecht oder ungelöste Probleme besser gelöst. Die Fachabteilung würde schrittweise Expertise zu den Blind Spots der Digitalisierung sammeln: Insbesondere zu all den Excel Sheets, unterstützenden Dokumenten, internen Dateiablagen und vielem mehr - die parallel zu den offiziellen Fachanwendungen notwendig sind, um die Systeme in der Praxis überhaupt nutzen zu können.
Die Blind Spots von behördlichen Fachanwendungen
Natürlich gibt es dabei einen Haken: Die Identifikation und Analyse dieser Blind Spots ist leider alles andere als trivial. Fachabteilungen benötigen hier in der Regel - insbesondere am Anfang - Unterstützung durch ExpertInnen. Deren UUX Gutachten legen offen, wie die MitarbeiterInnen in der Praxis wirklich mit der Software arbeiten. Aktuell fehlt dieses Verständnis dafür sowohl bei den Dienstleistern als auch bei den Fachabteilungen. Häufig sind es die Personalratsmitglieder, die dieses Thema erfolgreich in den Fokus rücken.
Der Qualitätsanspruch an das behördliche Handeln gilt selbstverständlich auch für die verwendeten Fachanwendungen. Durch UUX Gutachten entsteht innerhalb der Behörde sehr schnell eine intrinsische Motivation, den MitarbeiterInnen und BürgerInnen die bestmögliche Software zu bieten. Das Pareto-Prinzip ist dabei auch im Themenfeld UUX sehr wirkungsvoll: Zwanzig Prozent der Probleme beeinflussen achtzig Prozent der MitarbeiterInnen besonders negativ. Achtzig Prozent der Probleme treten hingegen nur bei zwanzig Prozent der MitarbeiterInnen auf. Wenngleich die Kundenzufriedenheit in manchen behördlichen Aufgabenfeldern eine problematische Metrik ist, so führt der Paradigmenwechsel dennoch zu einer positiven Veränderung der Behördenkultur.
UUX macht Behörden effektiv und effizient
UUX ist mehr als ein Kulturwandel. Behörden müssen im Zuge der digitalen Transformation ihre Effektivität und Effizienz verbessern: Der gesellschaftliche Wandel, die wachsende Komplexität und die steigende Arbeitslast stellen Behörden vor Herausforderungen, die sich nur noch mit maximal gebrauchstauglicher Software ohne negative Auswirkungen für die MitarbeiterInnen bewältigen lassen. Die Einführung von neuer Software darf nicht länger zu einer zusätzlichen Belastung der betroffenen Abteilungen führen. Nur Gebrauchstauglichkeit kann dazu beitragen, dass behördliche Fachanwendungen auch wirklich das tun, wozu sie eingeführt werden: MitarbeiterInnen entlasten.
Checkliste: UUX Reifegrad von behördlichen Fachanwendungen
Die nachfolgende Checkliste hilft Interessensvertretungen und Behörden, Schritt für Schritt ihre eigene Strategie im Themenfeld UUX zu reflektieren und zu etablieren: Existiert bisher nur ein grundlegendes Verständnis für die Thematik oder werden bereits konkrete Maßnahmen umgesetzt? Setzt die Behörde primär auf die Expertise innerhalb der Fachabteilungen oder involviert sie auch die BenutzerInnen? Beschränken sich die Verantwortlichen auf die behördeninterne Perspektive oder wird gezielt externe UUX-Expertise eingebunden? Wird das Thema primär punktuell adressiert oder sind die Methoden, Prozesse und Verantwortlichkeiten bereits fester Bestandteil der Behördenkultur?
1. Die Verantwortlichen für die Fachanwendung pflegen einen regelmäßigen Kontakt zu ihren MitarbeiterInnen.
2. MitarbeiterInnen und Fachabteilung entwickeln gemeinsam die zentralen Anforderungen an die Fachanwendung.
3. Fachanwendungen werden in regelmäßigen Abständen mit den MitarbeiterInnen in Bezug auf UUX getestet.
4. Die Erfordernisse der MitarbeiterInnen werden in allen Projekten in standardisierter Form berücksichtigt.
5. Innerhalb der für IT-Anwendungen verantwortlichen Fachabteilungen gibt es ein festes Budget für UUX.
6. Die UUX der Fachanwendungen wird mithilfe von UUX Gutachten strukturiert und objektiv untersucht.
7. Die Methoden der menschzentrierten Gestaltung kommen in allen Projektphasen zum Einsatz.
8. Für alle in der Behörde genutzten Fachanwendungen sind UUX Verantwortliche definiert.
9. Es gibt einen internen und externen Dialog und Austausch zu Fragestellungen im Themenfeld UUX.
10. Die Behörde hat klare Standards für die Durchführung von UUX Maßnahmen definiert.
11. Der Erfolg der verschiedenen UUX Methoden wird innerhalb der Behörde strukturiert analysiert.