In seinem Sommerinterview ließ Bundeskanzler Friedrich Merz durchblicken, wer aus seiner Sicht für die sozialen Spannungen im Land verantwortlich ist: Bürgergeldbeziehende, deren steigende Wohnkosten als "Kosten der Unterkunft" vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen werden. Merz will diese Erstattungen möglichst pauschal kürzen. Ohne entsprechende Senkung der Mietpreise am Markt, würde das Menschen im Extremfall in die Obdachlosigkeit treiben und in jedem Fall zusätzliche Existenznot bei Bürgergeldbeziehenden auslösen, die bereits heute Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren.
Anstatt den Schwächsten der Gesellschaft die Schuld in die Schuhe zu schieben, sollte Merz die wahren Ursachen der Steigerung bei den Ausgaben für die Kosten der Unterkunft in den Blick nehmen: Die – insbesondere von großen Wohnungskonzernen angetriebene – Mietpreisspirale.
Durch zahlreiche Recherchen (etwa von DIE ZEIT) ist mittlerweile öffentlich geworden: Es sind vor allem die großen Unternehmen wie Vonovia, LEG und Co., die stark von der anhaltenden Mietpreisexplosion und dem System der staatlichen Kostenübernahme profitieren.
Die sogenannten "Kosten der Unterkunft" werden durch die Jobcenter und Sozialämter für Menschen im Bürgergeldbezug übernommen: Im sogenannten ersten "Karenzjahr" noch in der vollen Höhe der anfallenden Wohn- und Heizkosten, danach meist nur noch in den sogenannten Grenzen der "Angemessenheit". Denn bereits heute sind Wohnungsgrößen und andere Rahmenbedingungen für Bürgergeldbeziehende begrenzt.
Was sich Vonovia und Co. allerdings zunutze machen: Neben regelmäßigen Mietsteigerungen drehen sie auch an der Nebenkostenschraube – und zwar selbst dann, wenn es sich um marode Wohnungen handelt. Betriebskosten für Reinigung, Wartung oder Grünflächen werden häufig, wie etwa bei Vonovia, "in-house" an eine der über 600 Konzerntöchter vergeben. Das Geld bleibt so im eigenen Unternehmensverbund – und landet wieder in der konzerneigenen Tasche.
Diese Praxis zahlt sich aus – vor allem für die Aktionär*innen: Zuletzt schüttete Vonovia eine Dividende von 1,22 Euro pro Aktie aus, insgesamt über 1 Milliarde Euro. Laut Mieterbund entspricht dies 29 Prozent der bereinigten Mieteinnahmen des Unternehmens im Jahr 2024. Ein beträchtlicher Teil der Mieteinnahmen – und ebenso der übernommenen Kosten der Unterkunft – landet damit als Dividende direkt bei den Eigentümer*innen des Wohnkonzerns.
Im Gegensatz zu Merz seinen Vorschlägen, muss das Problem an der Wurzel gepackt werden. Anstatt Hilfsbedürftige in immer kleinere Wohnungen und an den Stadtrand oder - im schlimmsten Fall - in die Wohnungslosigkeit zu drängen, müssen die Mieten insgesamt wieder bezahlbar werden.
Ein Mietenstopp muss her, der die Mietpreisspirale durchbricht und der Spekulation mit Wohnraum ein Ende setzt. Darüber hinaus braucht es mehr Sozialwohnungen und den Ausbau eines gemeinnützigen Wohnungsmarktsegments mit unbefristeten Mietpreis- und Belegungsbindungen sowie eine umfassende Mietrechtsreform, denn Wohnraum ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht.