An die neue Bundesregierung: Appell für eine verantwortungsvolle Migrationspolitik

Datum

Ordnungsnummer PM 027

Mit ihrem Koalitionsvertrag stellen Union und SPD die Verantwortung für Deutschland ins Zentrum ihres Handelns. Zum Amtsantritt der Regierung machen 293 Organisationen und Verbände deutlich: Diese Verantwortung muss für alle Menschen in Deutschland gelten.

Der Wahlkampf war geprägt von einer aufgeheizten Stimmung, die sich vor allem gegen Geflüchtete und Zugewanderte richtete. Das hat sich auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen. Doch die Ausgrenzung einzelner Gruppen schafft ein Klima der Angst für alle und untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Am Ende nützt das nur den Feinden einer freiheitlichen Demokratie. Damit muss endlich Schluss sein.

Zugewanderte und hierher geflüchtete Menschen sind integraler Teil unserer Gesellschaft – sie gehören zu Deutschland. Sie bereichern uns in allen Bereichen, ob in Familie und Freundeskreis, der Nachbarschaft, den Schulen, den Sportvereinen oder den Betrieben. Viele von ihnen leisten jeden Tag unverzichtbare Arbeit – im Einzelhandel, im Krankenhaus, in der Industrie, in der Gastronomie, an Flughäfen, im öffentlichen Nahverkehr oder ehrenamtlich in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen. Für uns ist klar: Unsere Gesellschaft gewinnt ihre Stärke aus Offenheit, Vielfalt und der Überzeugung, dass allen Menschen gleiche Rechte zukommen.

Nicht Geflüchtete und Zugewanderte spalten unsere Gesellschaft, sondern eine Politik, die sich den strukturellen und sozialen Problemen unseres Landes zu lange nicht konsequent angenommen hat. Die mittlerweile in der Gesellschaft verbreiteten Gefühle von Verunsicherung und Überforderung beim Thema Flucht und Migration werden somit noch verstärkt, anstatt ihnen mit guten Konzepten für eine funktionierende Asyl-, Aufnahme-, und Integrationspolitik zu begegnen. Für die hohe Belastung von Kommunen und einzelnen Berufsgruppen im Zusammenhang mit Migration werden allein Geflüchtete verantwortlich gemacht, anstatt die tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung anzugehen. So darf es nicht weitergehen. Was es jetzt braucht, ist eine Migrationspolitik, die verantwortlich handelt, statt unsere offene und vielfältige Gesellschaft zu gefährden.

Eine solche verantwortungsvolle Migrationspolitik …

  • … schützt die Rechte der Einzelnen und somit aller – das gilt insbesondere auch für das Recht auf Asyl. Das Bekenntnis zum Recht auf Asyl im Koalitionsvertrag ist essentiell, reicht aber allein nicht aus. Es muss auch gelebt werden. Zurückweisungen an den Grenzen, Abschiebungen in Krisenländer und eine Beweislastumkehr im Asylverfahren zulasten Geflüchteter sind damit nicht vereinbar.
  • … nimmt Sorgen und Ängste ernst, ohne sie zu befeuern. Eine demokratische Gesellschaft lebt von der streitbaren Diskussion und verschließt nicht die Augen vor Herausforderungen. Doch dabei darf die kommende Bundesregierung nicht den humanitären und menschenrechtlichen Kompass verlieren, der Grundlage unseres Zusammenlebens ist.
  • … fördert die Integration aller Menschen. Die nächste Bundesregierung sollte Familien Sicherheit bieten, statt mit der Aussetzung des Familiennachzugs Integration zu verhindern. Auch braucht es weiterhin Chancen für diejenigen, die schon lange bei uns sind, weshalb das Erfolgsmodell des Chancen-Aufenthaltsrechts entfristet werden sollte. Für ein freiheitliches Zusammenleben müssen zudem Wege zu sicheren und gleichen Bürgerrechten durch Einbürgerung eröffnet werden, die keine Gruppen ausschließen. Integration darf dabei nicht allein von der Arbeitsmarktintegration abhängig gemacht werden, sondern es muss allen möglich sein, gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.
  • ... investiert in Strukturen für erfolgreiche Integration und Aufnahme. Die im Koalitionsvertrag benannten Investitionen in die Integrationsstrukturen sind von entscheidender Bedeutung und dürfen nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden. Dies gilt insbesondere für die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Beratungs- und Betreuungsstrukturen sowie Integrations- und weitere Sprachkurse. Integration gelingt vor Ort in den Kommunen – diese müssen daher für ihre Aufgaben effektiv, umfassend und nachhaltig finanziell ausgestattet werden.
  • … nutzt alle vorhandenen Potentiale. Angesichts des Fachkräftemangels sollte die Bundesregierung konsequent alle vorhandenen Potentiale von hier ankommenden und lebenden Menschen nutzen und Hürden für Qualifikation und Arbeitsaufnahme abbauen. Hier sind bereits wichtige Schritte im Koalitionsvertrag vereinbart, doch braucht es darüber hinaus einen echten Spurwechsel und den konsequenten Abbau der Arbeitsverbote für alle Geflüchteten. Auch Gruppen wie Alleinerziehende oder Geflüchtete mit Behinderungen müssen beim Zugang zum Arbeitsmarkt unterstützt werden.
  • … schaut über den nationalen Tellerrand. Den weltweit zu beobachtenden autoritären Entwicklungen sollte die neue Bundesregierung mit der Verteidigung einer offenen, liberalen Gesellschaft begegnen, statt die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz durch die Streichung des sogenannten „Verbindungselements“ auf Drittstaaten abzuwälzen oder sich durch fragwürdige Abkommen mit Drittstaaten in politische Abhängigkeiten zu begeben. Sie sollte sich für eine solidarische Verantwortungsteilung im internationalen Flüchtlingsschutz einsetzen und sichere Zugangswege in Form von Resettlement und Aufnahmeprogrammen eröffnen, statt sie zu beenden.

Daher appellieren wir an die Bundesregierung: Übernehmen Sie Verantwortung für eine offene Gesellschaft! Eine Gesellschaft, in der Einwanderung unterschiedlichster Art als Chance begriffen wird; in der Zugewanderte und Geflüchtete als gleichwertig anerkannt werden; in der Offenheit und Vielfalt als unsere Stärken begriffen werden.

Daher appellieren wir an die Bundesregierung: Übernehmen Sie Verantwortung für eine offene Gesellschaft! Eine Gesellschaft, in der Einwanderung unterschiedlichster Art als Chance begriffen wird; in der Zugewanderte und Geflüchtete als gleichwertig anerkannt werden; in der Offenheit und Vielfalt als unsere Stärken begriffen werden.

Zitate der Initiatoren der Erklärung:

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied: “Die Bundesregierung steht in der Verantwortung: Deutschland braucht für die Migration eine Politik, die Verantwortung für alle Menschen übernimmt, die in unserem Land leben. Eine gerechte und vielfältige Gesellschaft gestaltet man nicht mit Angst, Abschottung und Ausgrenzung. Die Zahl der Asylgesuche ist aktuell auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Es muss jetzt endlich Schluss sein mit Symbolpolitik und irrlichternden Debatten, die humanitäre und menschenrechtliche Standards wie das Asylrecht und den Familiennachzug in Frage stellen. Wir wollen stattdessen besser darüber reden, wie Integration gelingt und gute Arbeit als Mittel zur Teilhabe funktioniert. Dazu gehören dann auch eine bessere Qualifikationsanerkennung und die Überwindung unsinniger Arbeitsverbote. Vielfalt ist eine Stärke unseres weltoffenen Landes, und darf dem Druck von Rechts nicht weichen.”

Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL: “Die neue Bundesregierung muss nun Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernehmen – und die ist offener und vielfältiger, als ihnen anscheinend bewusst ist. Ressentiments schürende Debatten und die fortschreitende Entrechtung geflüchteter Menschen lösen nicht ein einziges Problem unserer Zeit, gefährden aber den gesellschaftlichen Zusammenhalt.”

Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes: “Wenn die neue Bundesregierung ernsthaft Verantwortung übernehmen will für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, muss sie in Integration und soziale Infrastruktur investieren, statt die Rechte Geflüchteter einzuschränken. Es ist Zeit für eine menschenrechtsbasierte und verantwortungsvolle Migrationspolitik!”

Der Appell und die Liste  der unterzeichnenden Organisationen und Initiativen zum Download

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