Job und Behinderung
5 Tage zusätzlicher Urlaub, erhöhter Kündigungsschutz und das Recht, Überstunden zu verweigern: Menschen mit einer Schwerbehinderung haben im Job besondere Rechte. Doch viele verzichten auf diese Rechte und damit auf den Nachteilsausgleich – aus Scham oder Unwissen. In unseren FAQ beantworten wir dir die wichtigsten Fragen.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Behinderung
Was heißt eigentlich "behindert"?
Die meisten Menschen denken dabei an Menschen im Rollstuhl oder mit einer geistigen Behinderung. Doch auch eine überstandene Krebserkrankung, Diabetes, Rheuma, Depressionen, Tinnitus oder eine schwere Akne können Grund für eine Behinderung sein. Das Schwerbehindertengesetz definiert den Begriff so:
Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. (§ 2 SGB IX)
Ab wann gelte ich als "schwerbehindert"?
Sätze wie "Sie ist 80 Prozent schwerbehindert" kennen wir alle. Die Angabe in Prozent ist allerdings nicht ganz korrekt. Die Zahlen geben keine Prozentzahl, sondern den "Grad der Behinderung" an. Der bewegt sich abgestuft in Zehnerschritten von 20 bis 100. Korrekt wäre also eher die Aussage "Sie hat einen Grad der Behinderung von 80".
Einen groben Anhaltspunkt, wie hoch der Grad der Behinderung bei welchen Krankheiten ist, liefert die so genannte GdS-Tabelle. Die Abkürzung GdS steht für „Grad der Schädigungsfolgen“.
- Wer einen bestimmten Grad der Behinderung hat, ist noch nicht unbedingt "schwerbehindert".
- Erst Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr gelten als schwerbehindert.
- Bei einem Grad der Behinderung unter 50, aber von mindestens 30 kann die oder der Betroffene Menschen mit Schwerbehinderung unter bestimmten Umständen gleichgestellt sein.
Der Grad der Behinderung gibt an, wie stark die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen eingeschränkt sind.
Wichtig: Mehrere Beeinträchtigungen oder Krankheiten können den Grad der Behinderung erhöhen, werden aber nicht einfach addiert.
Wenn mehrere Beeinträchtigungen vorliegen, erhöht sich der Grad der Behinderung. Die Werte werden dabei jedoch nicht einfach nur addiert.
Beispiel:
Mittelgradiges Stottern mit einem GdS von 20 und eine Neurodermitis mit einem GdS von 40 ergeben also nicht automatisch einen Grad der Behinderung von 60, sondern sie werdefür jeden Einzelfall entsprechend gewichtet.
Beispiele für den Grad der Schädigungsfolgen
Gesundheitsstörung | Grad der Schädigungsfolgen (GdS) |
Echte Migräne, mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) | 20-40 |
Psychische Erkrankungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische oder phobische Störungen) | 30-40 |
Krebserkrankungen: Nach Entfernung bestimmter bösartiger Tumore (Karzinome) gilt für den Zeitraum des sogenannten Heilungsvorbehaltes ein GdS. Dieser Zeitraum dauert mehrere Jahre je nach Tumorart, der GdS unterscheidet sich je nach Tumorart und Tumorstadium | mindestens 50 |
Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten | 30-40 |
Ohrgeräusche (Tinnitus) mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen | 20 |
Chronische Nasennebenhöhlenentzündung schweren Grades | 20-40 |
Umfassender Zahnverlust, über ein halbes Jahr hinaus nur unzureichend prothetisch zu versorgen | 10-20 |
Stottern (mittelgradig, situationsunabhängig) | 20 |
Bronchialasthma ohne dauerhafte Einschränkung der Lungenfunktion, Hyperreagibilität mit Serien schwerer Anfälle | 50 |
Herzrhythmusstörungen, ohne andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens | 10-30 |
Unkomplizierte Krampfadern, mit erheblicher Ödembildung und häufigen Entzündungen | 20-30 |
Bluthochdruck (Hypertonie), schwere Form mit Beteiligung mehrerer Organe | 50-100 |
Zöliakie (Glutenunverträglichkeit), ohne wesentliche Folgeerscheinungen unter diätischer Therapie | 20 |
Leisten- oder Schenkelbruch, bei erheblicher Einschränkung der Belastungsfähigkeit | 20 |
Nierensteinleiden, ohne Funktionseinschränkung der Niere, mit häufigeren Koliken und wiederholten Harnwegsinfekten | 20-30 |
Harninkontinenz, mit leichtem Harnabgang bei Belastung | 0-10 |
Verlust der Brust (Mastektomie), einseitig | 30 |
Verlust der Gebärmutter und/oder Sterilität, in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch | 20 |
Diabetes (wenn die Therapie eine Unterzuckerung auslösen kann und es Beeinträchtigungen in der Lebensführung gibt) | 20 |
Neurodermitis mit generalisierten Hauterscheinungen, insbesondere Gesichtsbefall | 40 |
Akne (Akne vulgaris) schweren Grades mit vereinzelter Abzess- und Knotenbildung und entsprechender kosmetischer Beeinträchtigung | 20-30 |
Entzündlich-rheumatische Krankheiten (z.B. Bechterew-Krankheit), mit geringen Auswirkungen, geringe Krankheitsaktivität | 20-40 |
Verlust eines Armes im Schultergelenk oder mit sehr kurzem Oberarmstumpf | 80 |
Verlust eines Daumens | 25 |
Verlust beider Beine im Oberschenkel | 100 |
Die komplette GdS-Tabelle gibt's hier online.
Wie wird der GdS-Wert ermittelt?
Die meisten Beeinträchtigungen/Krankheiten können je nach Ausprägung sehr unterschiedliche GdS ergeben. Das Beispiel unten zeigt: Ein Wirbelsäulenschaden ohne Bewegungseinschränkung bringt gar keinen GdS-Wert, ein Wirbelsäulenschaden mit Geh- oder Stehunfähigkeit hingegen den höchsten GdS von 100. Der GdS-Wert richtet sich also nach der tatsächlichen Beeinträchtigung und wird individuell ermittelt.
Beispiel: GdS bei Wirbelsäulenschäden
Auswirkung | GdS-Wert |
---|---|
Ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität | → GdS 0 |
Mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) | → GdS 10 |
Mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) | → GdS 20 |
Mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) | → GdS 30 |
Mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten | → GdS 30-40 |
Mit besonders schweren Auswirkungen (Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthesse, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) | → GdS 50-70 |
Bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit | → GdS 80-100 |
Quelle: DGB-Ratgeber
Welche Rechte habe ich als schwerbehinderte Person im Unternehmen?
Als schwerbehinderter Mensch darfst du von deinem Arbeitgeber nicht benachteiligt werden. Im Gegenteil: Er muss dich umfassend fördern und so beschäftigten, dass du deine Kenntnisse und Fähigkeiten möglichst voll nutzen kannst. Als Mensch mit Schwerbehinderung hast du unter anderem Anspruch auf
- einen behindertengerechten Arbeitsplatz
- Teilzeitarbeit, wenn die Behinderung eine kürzere Arbeitszeit erfordert
- besonderen Kündigungsschutz
- 5 Tage bezahlten zusätzlichen Urlaub im Jahr
- Verweigerung von Überstunden.
Wodurch wird eine Behinderung verursacht?
Ein Großteil der behinderten Menschen wurde nicht mit der Behinderung geboren, sondern hat sie im Laufe des Berufslebens bekommen. Eine Behinderung kann durch die Arbeit entstehen oder zum Beispiel durch einen Unfall in der Freizeit. In den meisten Fällen geht die Behinderung auf eine chronische Krankheit zurück. Und: Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nehmen vor allem Behinderungen aufgrund von psychischen Erkrankungen stark zu.
Wie wird eine (Schwer-)behinderung festgestellt?
Dafür muss ein Antrag beim Versorgungsamt (oder einer nach Landesrecht zuständigen Behörde) gestellt werden.
Das kann formlos erfolgen und es reicht der Satz „Hiermit beantrage ich die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.“ Das Amt schickt daraufhin ein mehrseitiges Formular zu und fordert bei Bedarf zusätzliche ärztliche Gutachten an. Anhand dieser Informationen stellt es fest, ob eine Behinderung vorliegt und welchen Grad sie hat. Bei einem Grad von mindestens 50 wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt
Wozu brauche ich einen Schwerbehindertenausweis?
Er dient gegenüber Arbeitgebern, Behörden und Sozialleistungsträgern als Nachweis und ermöglicht es dir, so genannte Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen. Hintergrund ist, dass schwerbehinderte Menschen bestimmte Leistungen nur deshalb beziehen, um, genau wie alle anderen, am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
Der Schwerbehindertenausweis ist also kein Vorteil, sondern wichtig für den Nachteilsausgleich.
Wie sage ich meinem Arbeitgeber, dass ich eine Behinderung habe?
Vorab: Du musst deine Schwerbehinderung nicht von dir aus offenbaren. Aber: Nur wenn dein Arbeitgeber davon weiß, kann er dir den entsprechenden Nachteilsausgleich gewähren. Für die Mitteilung reicht ein formloses Anschreiben an das Personalbüro mit einer Kopie des Schwerbehindertenausweises aus. Wenn du Hemmungen hat oder unsicher bist, kannst du dir Unterstützung bei der gewählten Vertrauensperson der Schwerbehinderten im Betrieb holen. Spätestens, wenn es zu einer Kündigung kommt, sollte die Schwerbehinderung allerdings auf jeden Fall offenbart werden: Der Arbeitgeber kann Schwerbehinderte nur entlassen, wenn das Integrationsamt zustimmt.
Muss ich Nachteile fürchten?
Die besonderen Rechte für Schwerbehinderte sind kein freundliches Entgegenkommen der Arbeitgeber, sondern geltendes Recht. Wenn ein Arbeitgeber sie dir nicht gewährt, ist das ein Gesetzesverstoß. Vor allem große und mittlere Unternehmen haben auch selbst ein Interesse daran, genügend Schwerbehinderte zu beschäftigen: Wenn sie das nicht tun, müssen sie monatlich eine Ausgleichsabgabe zahlen, also eine Art Strafe. Außerdem bekommen sie Unterstützung von den Integrationsämtern, wenn Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse Schwerbehinderte angepasst werden müssen.
Was kann ich tun, wenn ich aufgrund meiner Behinderung im Job benachteiligt werde?
Solltest du doch aufgrund deiner Behinderung diskriminiert werden, kannst du dich in deinem Betrieb an die Schwerbehindertenvertretung, die gewählte Vertrauensperson für Schwerbehinderte oder an den Betriebsrat wenden. Dort bekommst du Unterstützung und qualifizierte Beratung.