Deutscher Gewerkschaftsbund

08.06.2017
FR-Kolumne „Gastwirtschaft“

Arbeit: Befristet und schlecht dran

Befristete Jobs sind ein Massenphänomen. Beispiel Hochschule: Hier haben neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und MItarbeitern nur einen befristeten Vertrag. Das wirkt sich nicht nur auf Einkommen und Karriere aus, sondern hält "die Menschen von fast allem ab, was sie im Leben sonst noch vorhaben" schreibt DGB-Vorstand Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau.

Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach DGB/Simone M. Neumann

Annelie Buntenbach ist Mitglied des DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.

Treffen sich zwei Nachwuchs-Wissenschaftler, sagt der eine: „Und wann läuft Dein Vertrag aus?“ Was wie ein Witz beginnt, geht ziemlich unlustig weiter: Neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern sind befristet beschäftigt, mehr als die Hälfte der Verträge ist kürzer als ein Jahr. Das liegt vor allem daran, dass der Gesetzgeber die Befristung von Haushaltsmitteln als Grund für die Befristung von Arbeitsverträgen gelten lässt. Dieser Zusammenhang ist fatal. Ständige Befristungen halten Menschen von fast allem ab, was sie im Leben sonst noch vor haben. Sie gefährden aber auch die Kontinuität in Lehre und Forschung und machen den Arbeitsplatz Hochschule unattraktiv.

Die Wissenschaft ist ein besonders trauriges Beispiel, aber kein Ausreißer. Im Jahr 2015 waren 3,2 Millionen Jobs befristet (9,3 Prozent aller Beschäftigten) und 42 Prozent aller Neueinstellungen waren befristet (2001: 32 Prozent). Die negativen Folgen kommen auf leisen Sohlen: Liegen die Einstiegsgehälter von befristet und unbefristet Beschäftigten noch nicht weit auseinander, werden die Unterschiede größer, je länger befristet gearbeitet wird. Wer auf Zeit arbeitet, profitiert seltener von Lohnerhöhungen, Karrierechancen und Weiterbildungsangeboten.

Die sogenannte sachgrundlose Befristung war nicht immer Teil des Arbeitsmarktes. „Erfunden“ wurde sie 1985 mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz. Der Gesetzgeber wollte den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, in diesem Fall mit Befristungen die Arbeitslosigkeit. Bis dahin waren sie nur erlaubt, wenn ein Grund vorlag, z.B. eine Krankheitsvertretung. Nun aber konnten – trotz vehementer Kritik der Gewerkschaften – Arbeitslose bis zu einem Jahr befristet eingestellt werden. Diese Regelung galt zunächst bis 1991, wurde aber immer wieder verlängert und ausgeweitet.

Heute sind befristete Jobs ein Massenphänomen und dienen vielen Arbeitgebern als ausgedehnte Probezeit. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei der öffentliche Sektor, der doch eigentlich Vorbild sein sollte: Der Anteil befristeter Neu-Verträge erreicht dort fast 60 Prozent. Es ist Zeit, dieses Instrument wieder abzuschaffen und zwar überall. Den Arbeitgebern mag es „Beinfreiheit“ verschaffen, aber der Freiheit der Arbeitnehmer steht es im Wege.


Erschienen in: Frankfurter Rundschau, "Gastwirtschaft", 08.06.2017


arbeitsmarktaktuell: Sachgrundlose Befristungen – ein Massenphänomen (PDF, 645 kB)

Über 3,2 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in befristeten Arbeitsverhältnissen - Tendenz steigend. Befristungen schaffen neben beruflicher Unsicherheit auch niedrigere Löhne. Dabei nutzen Arbeitgeber gesetzliche Regelungen aus, die ursprünglich Arbeitslosigkeit bekämpfen sollten. Der DGB fordert den Gesetzgeber deshalb auf, die Möglichkeit der Befristung ohne sachlichen Grund zu beenden.


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