Deutscher Gewerkschaftsbund

19.01.2022

Ein Leuchtturmprojekt für Strukturwandel: Cummins in Großbritannien

von Sigrid Bachler, DGB-BVV

Die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist nicht nur eine umweltpolitische, sondern auch eine sozialpolitische Herausforderung. Sie bedeutet den Umbau ganzer Sektoren. Traditionelle Industriezweige werden verschwinden oder neu aufgestellt, andere entstehen. Im Gleichklang müssen sich Beschäftigte re- oder umqualifizieren. Die Transformation kann deshalb nur gelingen, wenn dieser Strukturwandel gerecht und unter Einbeziehung der Gewerkschaften erfolgt, damit keine abgehängten Regionen entstehen. Es gibt gute Beispiele, wie in tripartiter Zusammenarbeit zwischen Sozialpartnern und Staat ein solcher Prozess gestartet werden kann. Das ist das Ergebnis des deutsch-britischen Gewerkschaftsforums im Oktober 2021.

Flagge halb Europa halb Großbritannien

Colourbox

So sieht Begeisterung für Gewerkschaftsarbeit aus: In einer virtuellen Betriebsbesichtigung stellten Kolleg*innen der britischen Gewerkschaft Unite und der betrieblichen Arbeitnehmervertretung sowie der Personalchef der britischen Niederlassung des US-amerikanischen Dieselmotorenherstellers für schwere Nutzfahrzeuge, Cummins, ihre Zusammenarbeit vor. Cummins dominiert den Dieselmarkt für große Nutzfahrzeuge weltweit. Im Forschungszentrum in Darlington, Grafschaft Durham in Großbritannien, wird am Wasserstoff-Zellenantrieb gearbeitet und der bereits angekündigte baldige Durchbruch könnte Cummins zur Nummer eins bei Elektrolyse und großen Wasserstoffzellen machen.

Aufgrund seiner Forschungsarbeit für ökologische Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung wird nun Cummins mit öffentlichen Fördergeldern unterstützt. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, betrieblicher Arbeitnehmer*innenvertretung, Gewerkschaft Unite und Vertreter*innen der Region hat es möglich gemacht, im strukturschwachen Nordosten Englands einen Plan für nachhaltigen Wandel zu erarbeiten und dem Werk eine Zukunftsperspektive in der Transformation zu geben. Nicht nur bestehende Arbeitsplätze können so langfristig gesichert, sondern auch neue geschaffen werden. Das Werk soll außerdem einen Anker regionaler Entwicklung bilden. Und ist somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die gesamte Grafschaft Durham, die vom Niedergang des Bergbaus und der traditionellen Schwerindustrie schwer getroffen wurde.

Just Transition geht nur mit gewerkschaftlicher Beteiligung

Cummins ist eines der Leuchtturmprojekte der Gewerkschaft Unite, der größten britischen Einzelgewerkschaft. Das gilt nicht nur für die Inhalte, die mit der gemeinsamen Vereinbarung hinsichtlich der ökologischen Transformation erreicht wurden, sondern auch für die Rolle der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer*innenvertretung dabei. Denn in Großbritannien reguliert weitestgehend nicht der Staat die Arbeitsbeziehungen, sondern es werden mehr oder weniger freiwillige Vereinbarungen zwischen Beschäftigten, Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen geschlossen. Ob, wer und wobei die Arbeitnehmer*innen vertritt, ist in Großbritannien im Rahmen weitgefasster Regularien Verhandlungssache. So gibt es auch keine formale Rechtsgrundlage für eine Interessenvertretung der Beschäftigten auf betrieblicher Ebene. Die Gewerkschaften leiden bis heute darunter, dass ihre Handlungsmöglichkeiten seit Margret Thatcher und zuletzt mit dem Trade Union Act von 2016 eingeschränkt wurden. Entsprechend niedrig ist auch der Organisationsgrad, er liegt bei rund einem Viertel der Beschäftigten. Die Mitgliederzahl fiel seit Ende der Siebziger auf weniger als die Hälfte, auf rund fünfeinhalb Millionen. Insofern ist die Zusammenarbeit bei Cummins für Unite ein großer Erfolg und ein gewerkschaftspolitisches Vorzeigeprojekt.

Transformation durch die unsichtbare Hand des Marktes?

Die Sicht der britischen Gewerkschaften auf die ökologische Transformation in Großbritannien insgesamt lässt sich folgendermaßen verstehen: Die britische Regierung setzt nicht auf staatliches Handeln in der Transformation, sondern auf den Markt. Zwar gibt es Konsens über die Notwendigkeit der Dekarbonisierung und Ziele der Regierung sowie eine Green Jobs Taskforce, aber keine nationale Strategie und keine Industriepolitik im Hinblick auf laufende und anstehende Transformationsprozesse und krisenbedingte Umbrüche. Es gibt nur unterschiedliche, nicht aufeinander abgestimmte regionale Pläne ohne Zeitschiene und mit sehr begrenztem sozialen Dialog. Die britischen Gewerkschaften haben jedoch den Anspruch, den Wandel auf allen Ebenen mitzugestalten. Im Wesentlichen bleibt er jedoch den Unternehmensentscheidungen überlassen. Die Tory-Politik wälzt somit die Risiken von außergewöhnlichen, sich überlagernden Krisen auf die Beschäftigten ab. Dies führt jetzt schon und in der Zukunft zu einer Geschichte des ungerechten Überganges: Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, sinkende Einkommen und zunehmende Armut. 70 Milliarden Pfund wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Finanzkrise für die Bankenrettung aufgewendet, während für die ehemaligen Vorzeige-Industrieregionen Großbritanniens jahrelang keine Industriestrategie entwickelt wurde. Dies rächte sich beim Brexit-Referendum, wie das Wahlverhalten in diesen sogenannten abgehängten Regionen zeigte.

Gestaltung der Zukunft mit den Beschäftigten

Ein gerechter Wandel zu einer CO2-neutrale Wirtschaft ist nur mit der Beteiligung der Beschäftigten an den Wandlungsprozessen zielführend und erfolgversprechend. Nur so könnten demokratisch nachhaltige Lösungen entwickelt werden, um ambitionierten Klimaschutz mit nachhaltigem Wohlstand, Guter Arbeit und sozialer Gerechtigkeit zusammenzubringen. Denn die Transformation muss als eine soziale Frage verstanden werden, nicht nur als eine ökologische. Dazu braucht es Investitionen und einen handlungsfähigen Staat sowie eine gerechte Finanzierung. Die Anforderungen an die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation wurden in der gemeinsamen Deklaration von DGB und TUC festgehalten: Gemeinsame Erklärung des Trades Union Congress (TUC) und DGB | DGB


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