Deutscher Gewerkschaftsbund

15.06.2022
DGB-Bundeskongress

Zukunft gestalten wir - europäisch

von Eric Balthasar und Susanne Wixforth

Die europäische Einheit ist eine Schicksalsfrage für die Europäische Union und Deutschland. Klimawandel, Digitalisierung und die zunehmende globale Systemkonkurrenz und Rivalität stellen uns vor Herausforderungen, denen auch die größeren Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf sich gestellt nicht gewachsen sind. Somit ist eine tiefere Integration der EU nach Auffassung der Gewerkschaften unumgänglich, um eine demokratische Zukunft für Europa, in der Arbeit fair entlohnt wird und die Arbeitsbedingungen sicher und dem Leben zuträglich sind, zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften Europa in einem eigenen Themenblock Soziales Europa und Faire Globalisierung auf dem 22. Ordentlichen DGB-Bundeskongress, der vom 8. bis 12. Mai in Berlin stattfand, aufgriffen.

Junge Menschen auf Demo mit EU-Fahnen

DGB/Katarzyna Białasiewicz/123rf.com

Das bestätigte der DGB Bundeskongress: Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stehen für ein souveränes, demokratisches, solidarisches und handlungsfähiges Europa, das den Menschen Sicherheit im Wandel gibt. Deutschland und Europa müssen starke Industriestandorte bleiben. Dafür braucht es eine aktive Industriepolitik und starke betriebliche Mitbestimmung. Aus dieser Position heraus kann Europa globale Standards für einen fairen Welthandel in globalen Lieferketten setzen. Wie das gelingen kann, wollen wir schwerpunktmäßig im Folgenden darstellen.

Transformation: klimaneutral, digital, SOZIAL

Es muss eine ambitionierte Klimapolitik geben. Wir sind mitten im Wandlungsprozess der Produktion und des Konsums. Dieser Prozess ist unbedingt als soziale Frage zu verstehen. Er wird bisher kaschierte Verteilungskonflikte offenlegen und ganz neue zutage fördern. Eine sozial-ökologische Transformation wird ohne gewerkschaftliche Teilhabe an der strategischen und politischen Planung nicht gelingen.

Die regionale Strukturpolitik der EU muss mit starken Beschäftigten- und Gewerkschaftsrechten einhergehen. Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit müssen durch gemeinsame europäische Mindeststandards in der Arbeitslosenversicherung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik sichergestellt werden. Erst so kann die Transformation nachhaltigen Wohlstand und eine Aufwärtskonvergenz der Lebensverhältnisse in ganz Europa bewirken.

Das zweitwichtigste Element der Transformation ist die Digitalstrategie der EU-Kommission. Ziele sind die Förderung der digitalen Souveränität Europas und die Schaffung fairer Spielregeln in der Plattform-Ökonomie, begleitet vom Ausbau digitaler Technologien für den Klimaschutz. Auch bei digital organisierter Arbeit darf es kein Lohn- und Sozialdumping, keine Scheinselbständigkeit geben. Die Marktmacht digitaler Plattformen schafft ein extremes Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten der Beschäftigten. Wir fordern daher die Zähmung ihrer Marktmacht, unter anderem durch ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften, um die Beschäftigten zum kollektiven Handeln hin zu Tarifverträgen zu ermächtigen.

Soziale Rechte stärken

Nach wie vor steht den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des Binnenmarktes kein gleichwertiger Schutz der Sozial- und Arbeitsrechte für seine Beschäftigten gegenüber. Gerade wenn sich die Unsicherheiten erhöhen, wie in der Corona-Krise oder wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, fordern wir eine entschlossene Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte. Zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in der EU muss endlich ein Sozialen Fortschrittsprotokolls in die Europäischen Verträge Eingang finden. Ergänzend dazu muss eine unterste europäische Haltelinie für Mindestlöhne geschaffen werden. Die Stärkung der Tarifverträge und der Tarifbindung, EU-Mindeststandards in der Grundsicherung und die Verstetigung des SURE-Instruments zu Absicherung des Kurzarbeitergeldes sind wichtige weitere Bausteine der Europäischen Sozialagenda. Dies sind die Voraussetzungen, dass der Binnenmarkt auch für mobile Beschäftigte und Grenzgänger*innen funktioniert. Schließlich darf die Europäische Union nicht zum Ort der „Generation No Future“ werden, die Schaffung guter Arbeitsplätze und die Jugendgarantie müssten an oberster Stelle der EU-Agenda stehen.

Wohlstands- statt Austeritätspolitik

Wenn wir in der Krise nicht finanziell zusammenstehen, wird es kein starkes Europa geben. Um die Herausforderungen zu bewältigen, ist eine Reform des Fiskalpaktes unumgänglich, auch weil er seinen Zweck, die Verhinderung hoher Schulden, nicht erfüllt. Alle Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts müssen nachjustiert werden, insbesondere die Staatsschuldenquote. Das Europäische Semester, das die wirtschaftliche Konvergenz der Mitgliedstaaten herbeiführen soll, muss demokratisiert und um Kriterien wie Lohnentwicklung und Tarifbindung ergänzt werden. Zusätzlich sind automatische fiskalische Stabilisatoren, wie zum Beispiel eine Arbeitslosenrückversicherung - auf europäischer Ebene nötig, um den Konjunkturzyklus wirksam zu glätten.

Neben diesem fiskalpolitischen Instrument muss die EU wirtschaftspolitisch koordiniert handeln und investieren können. Dazu das bedarf einer Stärkung der Eigenmittel durch EU-Steuern, wie beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer. Der Faktor Arbeit muss entlastet, und die Ungleichverteilung durch Besteuerung des Kapitals bekämpft werden.  Fairer Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten setzt eine gemeinsame Untergrenze für die Unternehmensbesteuerung sowie die Bekämpfung von Steuerumgehung voraus.  

Antidiskriminierung und Rechtstaatlichkeit

Dank der Europäischen Union sind europaweit Gleichbehandlungsstandards etabliert, die in allen Mitgliedstaaten zu einer vergleichbaren nationalen Antidiskriminierungsgesetzgebung geführt haben. Das hat bereits heute positive Strahlkraft auf den Rest der Welt. Deshalb müssen EU-Mitgliedstaaten, die gruppenspezifische Diskriminierung nicht ahnden, nach dem Rechtsstaatlichkeitsverfahren sanktioniert werden. Auch darüber hinaus muss sich die EU auf ihre demokratisch-rechtsstaatlichen Werte zurückbesinnen. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in allen Mitgliedstaaten zwingend und von grundsätzlicher Wichtigkeit. Korruption ist auf das Entschiedenste zu bekämpfen. Um die Blockadepolitik einzelner Mitgliedstaaten im Rat zu beenden, wollen wir das Prinzip der Einstimmigkeit durch Mehrheitsbeschlüsse ersetzt sehen.

Europa als Motor für eine faire Globalisierung

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern einen gerechten und fairen Handel, der die Rechte von Beschäftigten stärkt, die Umwelt schützt, fairen Wettbewerb garantiert und Globalisierungsgewinne in und zwischen Staaten gerecht verteilt. Deshalb begrüßen wir die Verabschiedung des Lieferkettengesetzes und werden uns national dafür einsetzen, dass das Gesetz umfassend geachtet wird. Wir werden mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund eng zusammenarbeiten, um ein möglichst weitreichendes Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene zu erreichen, das verbindliche Beteiligungsrechte für Betriebsräte und Gewerkschaften mit sich bringt. Europa kann so globale Standards für Arbeitnehmerrechte setzen.

Insgesamt steht somit die europäische und internationale Gewerkschaftspolitik als gewichtiger Punkt auf der Agenda des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften für die nächsten vier Jahre ganz oben.


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