Menschenmenge von hinten auf einer belebten und sonnigen Straße zu Fuß.

sozialstaatsradar 2025

Die Menschen in Deutschland wollen mehr Sozialstaat, nicht weniger

Klares Votum für Solidarität

Wir haben 3.000 Menschen in Deutschland gefragt, wie sie sich ihren Sozialstaat vorstellen. Die Antwort wird alle Politiker*innen überraschen, die seit Jahren von "notwendigen Reformen" und "Eigenverantwortung" sprechen.

Denn die Menschen haben längst entschieden: Sie wollen mehr Sozialstaat, nicht weniger. Sie wollen mehr Sicherheit, nicht weniger. Und sie sind sogar bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Das zeigt das sozialstaatsradar 2025. Eine Studie, die mit vielen Mythen aufräumt.

Die Projektpartner


Die Arbeitnehmerkammer Bremen ist die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen im Land Bremen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts vertritt sie über 400.000 Beschäftigte und setzt sich für deren berufliche, wirtschaftliche und soziale Interessen ein. Die Kammer führt regelmäßig Studien zu arbeits- und sozialpolitischen Themen durch und berät Politik und Öffentlichkeit. Homepage: arbeitnehmerkammer.de

 

Die Arbeitskammer des Saarlandes ist die gesetzliche Vertretung der saarländischen Arbeitnehmer*innen. Sie repräsentiert rund 500.000 Beschäftigte und Rentner*innen im Saarland. Als unabhängige Institution analysiert sie arbeitsmarkt- und sozialpolitische Entwicklungen, erstellt Gutachten und Studien und bringt die Interessen der Beschäftigten in den politischen Diskurs ein. Homepage: arbeitskammer.de

 

Der DGB ist die größte Dachorganisation von Gewerkschaften in Deutschland und vertritt die Interessen von über 5,9 Millionen Mitgliedern aus acht Einzelgewerkschaften. Als überparteiliche Organisation setzt sich der DGB für Gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit und einen starken Sozialstaat ein. Der DGB wirkt maßgeblich an der Gestaltung der Arbeits- und Sozialpolitik mit und ist wichtiger Partner in gesellschaftlichen Debatten.

Staat statt privat: Verbindliche soziale Sicherung gewünscht

Die Ergebnisse sind eindeutig: 80 Prozent der Befragten erwarten, dass mindestens ein Großteil der sozialen Sicherung verpflichtend erfolgt. Nur 12 Prozent wünschen sich lediglich ein Mindestmaß an obligatorischem Schutz, und nur 3 Prozent bevorzugen vollkommene Eigenverantwortung.

Die Beschäftigten wollen nicht auf eigenes Risiko für das Alter, Krankheit, oder Pflege vorsorgen.
Ganz im Gegenteil: Eine überwältigende Mehrheit will ein verpflichtendes und automatisches Sicherheitsnetz.
Anja Piel, Mitglied des DGB-Bundesvorstands

Vertrauen in den Staat

Zwei Drittel aller Befragten trauen dem Staat als Leistungserbringer deutlich mehr zu als privaten Anbietern. Wer eine größtenteils automatische Absicherung will, möchte diese regelmäßig durch öffentliche Systeme bereitgestellt wissen (über 70 Prozent).

Über die Befragung

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Arbeitskammer des Saarlandes haben eine umfangreiche Befragung zu grundlegenden Positionen zum Sozialstaat durchgeführt. Vom 25. November bis 10. Dezember 2024 wurden 3.000 Personen ab 18 Jahren vom uzbonn per Online-Interview befragt. Die Wohnbevölkerung in Deutschland wird dabei adäquat abgebildet, etwa mit Blick auf Alter, Geschlecht und Region. Die Befragung wird fortan mindestens einmal jährlich durchgeführt. Die Ergebnisse der nächsten Befragungsrunde erscheinen im Frühjahr 2026.

Parteiübergreifender Konsens

Auch bei unterschiedlicher Parteipräferenz sprechen sich klare Mehrheiten für eine umfassende verpflichtende Absicherung aus:

  • SPD, Grüne, Linke: jeweils über 88 Prozent
  • CDU/CSU: 83 Prozent
  • BSW: knapp 80 Prozent
  • FDP und AfD: etwa 68 Prozent

Mehr statt weniger: Bereitschaft zu höheren Beiträgen

Eine klare Mehrheit der sozialversichert Beschäftigten ist bereit, höhere Beiträge zu leisten, um sozialstaatliche Leistungen mindestens zu erhalten:

  • Rente: 63 Prozent für etwas höhere Beiträge, weitere 12 Prozent für deutlich höhere Beiträge
  • Gesundheit: 63 Prozent für etwas höhere, 11 Prozent für deutlich höhere Beiträge
  • Pflege: 63 Prozent für etwas höhere, 12 Prozent für deutlich höhere Beiträge

Junge Generation steht zum Rentensystem

Entgegen allen Behauptungen zeigen gerade jüngere Arbeitnehmer*innen Bereitschaft, höhere Beiträge zu zahlen: 23 Prozent der unter 30-Jährigen sind sogar zu deutlich höheren Rentenbeiträgen bereit – fast doppelt so viele wie im Gesamtdurchschnitt. Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein.

Porträtfoto von Peer Rosenthal
Generationenkonflikt in der Rente? Das stimmt nicht!
Unsere Befragung zeigt: Gerade jüngere Beschäftigte sind zu höheren Beiträgen bereit, um eine gute Rente zu erreichen. Die Politik sollte sich das zu Herzen nehmen. Das bedeutet: Mindestens das derzeitige Rentenniveau garantieren. Und versicherungsfremde Leistungen, wie die Mütterrente, endlich voll aus Steuern finanzieren – und nicht über die Rentenkasse.
Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen

Hohe Ansprüche: Was die Menschen erwarten

Alterssicherung: 75 Prozent Nettoersatzrate gewünscht

Die Bevölkerung hält im Mittel eine Nettoersatzrate von 75 Prozent für angemessen – die Hälfte wünscht sogar noch mehr. Die Nettoersatzrate gibt an, welcher Prozentsatz des vorherigen Nettoeinkommens durch eine Sozialleistung ersetzt wird. Zum Vergleich: Im gesetzlichen Rentensystem liegt dieser Wert aktuell unter 60 Prozent.

Pflege: Vollversicherung statt Teilkasko

Das aktuelle System – die soziale Pflegeversicherung zahlt einen Fixbetrag, Sie bezahlen den Rest – befürworten nur 7 Prozent der Befragten.

Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 49 Prozent, wünscht sich einen sogenannten "Sockel-Spitze-Tausch". Das bedeutet, dass das System umgedreht werden soll. Anstatt dass die Versicherung einen festen Betrag zahlt und Sie den Rest übernehmen, sollen Sie einen festen Eigenanteil zahlen und die Versicherung übernimmt alles darüber hinaus. Sie würden dann zum Beispiel immer nur 1.000 Euro pro Monat selbst zahlen, egal ob die Pflege 2.000 oder 4.000 Euro kostet.

Ein Drittel der Befragten geht noch weiter und wünscht sich eine komplette Vollversicherung. Das würde bedeuten, dass die Pflegeversicherung alle Pflegekosten übernimmt, genau wie die Krankenversicherung alle Kosten im Krankenhaus trägt. Sie müssten dann gar nichts mehr dazuzahlen.

49 %
wünschen einen festen Eigenanteiil
33 %
wünschen volle Übernahme der Pflegekosten

Mehr Steuerzuschüsse gefordert

Während der Bundeszuschuss zur Krankenversicherung nur noch knapp 5 Prozent beträgt und in der Pflegeversicherung ganz ausgesetzt ist, sollten nach dem Willen der Befragten fast 40 Prozent dieser Ausgaben mit Steuermitteln bestritten werden.

Solidarität statt Spaltung: Gemeinsame Systeme gewünscht

Erwerbstätigenrente für alle

Drei Viertel der Bürger*innen plädieren für eine Ausweitung des Versichertenkreises in der Rentenversicherung:

  • 46 Prozent für eine allgemeine Erwerbstätigenrentenversicherung (inklusive Selbstständige und Beamt*innen)
  • 29 Prozent für ein Bürgermodell (alle Einkommensarten, alle Wohnbürger*innen)
  • Nur 15 Prozent für das bestehende gegliederte Modell

Parteiübergreifende Zustimmung

Klare Mehrheiten für eine Abkehr vom bestehenden System gibt es unter Anhänger*innen aller Parteien:

Beitragsbemessungsgrenze abschaffen

Mehr als die Hälfte der Bürger*innen (52 Prozent) will eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der Kranken- und Pflegeversicherung, die zum Zeitpunkt der Befragung bei durch 5.175 Euro brutto pro Monat lag. Ab diesem Einkommen werden keine weiteren Beiträge mehr fällig. Gutverdiener*innen tragen dann nicht mehr nach ihrem wirtschaftlichen Leistungsvermögen bei.

Die Positionen im Detail:

  • 52 Prozent für Abschaffung der BBG
  • 24 Prozent für Beibehaltung in jetziger Form

Bemerkenswert

Etwa 45 Prozent der gesetzlich Versicherten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 4.000 Euro oder mehr sind für die Abschaffung – also ein erheblicher Teil des Personenkreises, der tendenziell davon betroffen wäre.

Porträtfoto von Jörg Caspar
Die Menschen sind keine Einzelkämpfer, und sie wollen es auch nicht sein.
In starken Solidarsystemen muss die Anerkennung der persönlichen Lebensleistungen mit einem starken sozialen Ausgleich verbunden werden, für die, die ihn brauchen. Und dazu gehört, dass der soziale Ausgleich solidarisch finanziert wird.
Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes

Sozialer Ausgleich erwünscht

Bei der Rentenhöhe befürworten:

  • 41 Prozent: Volle Berücksichtigung der eigenen Zahlungen
  • 43 Prozent: Gewissen Ausgleich zur Vermeidung von Altersarmut
  • 11 Prozent: Gleiche Renten für alle

Für eine echte Mindestrente wird durchschnittlich ein Wert von 1.327 Euro im Monat genannt.

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