Der gesetzliche Mindestlohn steigt zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro je Stunde. Darauf macht der DGB am 28.09. mit einer bundesweiten Infoaktion an mehr als 230 Bahnhöfen und Marktplätzen im gesamten Bundesgebiet aufmerksam. Angesichts der steigenden Preise für Energie und Lebensmittel fordert der Gewerkschaftsbund aber weitere Entlastungen.
„6,64 Millionen Menschen können sich über mehr Geld im Portemonnaie freuen. Für viele bedeutet das einen Lichtblick in diesen schwierigen Zeiten“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Dienstag in Berlin. 6,64 Millionen Menschen – das sind 17,8 Prozent aller Beschäftigten, die in Deutschland Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. In Westdeutschland profitieren 5,18 Millionen (16,1 Prozent) der Beschäftigten, in Ostdeutschland 1,46 Millionen (29,1 Prozent).
„Die Zahlen zeigen die Bedeutung des Mindestlohns“, erklärte Körzell. „Die Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde ist ein Erfolg der Gewerkschaftsbewegung und der vielen Millionen Menschen im Land, die jahrelang für die Erhöhung der Lohnuntergrenze gestritten haben.“
Unter denjenigen, die jetzt von der Erhöhung profitieren, sind 2,55 Millionen vollzeitbeschäftigt. Das heißt im Umkehrschluss: Bundesweit erhält derzeit jede*r zehnte Vollzeitbeschäftigte (9,9 Prozent) weniger als 12 Euro pro Stunde; unter Teilzeitbeschäftigten sind es 20,1 Prozent, unter Minijobbenden sogar 80 Prozent. „Das hat jetzt ein Ende: Wer Vollzeit arbeitet, hat ab Oktober monatlich brutto etwa 270 Euro mehr im Portemonnaie im Vergleich zum aktuellen Mindestlohn“, rechnete Körzell vor. Das helfe besonders Beschäftigten in Branchen mit niedrigen Löhnen wie dem Gastgewerbe, Einzelhandel, Lieferdiensten, Verkehr und Lagerei.
Damit werde sich der höhere Mindestlohn auch positiv auf die Konjunktur auswirken, prognostizierte der Gewerkschafter: Der 12-Euro-Mindestlohn bedeute einen Kaufkraftgewinn von insgesamt 4,8 Milliarden Euro (West: 4 Milliarden Euro, Ost: 840 Millionen Euro). „Das heißt: Ein Großteil der zusätzlichen Einkommen wird unmittelbar in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen und helfen, die Konjunktur zu stabilisieren“, erklärte Körzell.
Gleichzeitig bleibe das oberste Ziel der Gewerkschaften, mit Arbeitgebern Tarifverträge abzuschließen. „Der Mindestlohn ist immer nur die untere Haltelinie und Anstandsgrenze“, betonte Körzell. „Wirklich gute Löhne gibt es nur mit Tarifvertrag. Umso wichtiger ist es, die Tarifbindung wieder zu stärken“, forderte der Gewerkschafter. Die Tarifbindung war in den letzten Jahren stetig zurückgegangen.
Quer durch alle Branchen erhalten jedoch nach wie vor viele den gesetzlichen Mindestlohn trotz Anspruchs nicht. Der DGB fordert deshalb mehr Kontrollen. „Die Bundesregierung muss die zuständige Behörde Finanzkontrolle Schwarzarbeit personell deutlich stärken. Mindestlohnbetrügereien sind keine Kavaliersdelikte, sondern müssen geahndet werden. Das geht nicht ohne effektive Kontrollen und Sanktionen“, sagte Körzell.
Der DGB wies darauf hin, dass trotz der Mindestlohnanhebung für viele Armut weiter Lebensrealität bleibe: „Der Mindestlohn reicht nicht für echte Teilhabe. Das verschärft sich aktuell angesichts der steigenden Preise für Energie und Lebensmittel, der Mindestlohn wird diesen Preisschub nicht abfedern“, warnte Körzell und forderte weitere Entlastungen: „Die Bundesregierung darf nicht zulassen, dass sich die Armut bis weit in die Mittelschicht frisst. Strom und Heizung dürfen nicht zum Luxus werden. Es ist höchste Zeit für eine Energiepreispauschale und einen Energiepreisdeckel. Um das zu finanzieren, muss der Gesetzgeber die Übergewinne der großen Energie- und Mineralölkonzerne abschöpfen.“
Hintergrund:
Die Daten zu den Profiteuren des Mindestlohns beruhen auf einer Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die detaillierte Daten für die Bundesländer und die rund 400 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte liefert. In der Untersuchung haben die Forscher das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) und die neuesten verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts und der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet und bis September 2022 fortgeschrieben. Die Auswertung betrachtet alle Beschäftigungsverhältnisse ohne Auszubildende, Praktikantinnen/Praktikanten sowie Minderjährige.