Arbeitszeiterfassung für mehr Arbeitsschutz
Im Jahr 2024 haben 4,4 Millionen Arbeitnehmer*innen mehr gearbeitet, als in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart war. Knapp jede*r 5. davon leistete sogar unbezahlte Mehrarbeit. Das wäre mit einer wirksamen Arbeitszeiterfassung nicht passiert.
Um solche Entwicklungen zu stoppen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2019 entschieden, dass alle Mitgliedstaaten der EU dafür sorgen müssen, dass die tägliche Arbeitszeit der Beschäftigten in ihrem Land erfasst und gemessen wird. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System für die Zeiterfassung zur Verfügung zu stellen.
2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass in Deutschland auch ohne weitere Umsetzungsschritte des Gesetzgebers die gesamte Arbeitszeit erfasst werden muss. Das heißt: Es gibt auch bei uns eine gesetzliche Pflicht, die tägliche Arbeitszeit zu dokumentieren.
Damit ausreichender Arbeitsschutz gewährleistet werden kann, ist eine lückenlose, elektronische, manipulationssichere Arbeitszeiterfassung wichtig.

DGB/Joanna Kosowska
... sondern Grundbedingung, damit Ruhe- und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden – was heutzutage viel zu oft nicht der Fall ist.
Arbeitszeiterfassung: Wir beantworten die wichtigsten Fragen
Was ist rechtlich zur Arbeitszeiterfassung vorgeschrieben?
Der Europäische Gerichtshof (2019) und das Bundesarbeitsgericht (Ende 2022) haben entschieden, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit erfasst werden müssen. Nur so lässt sich prüfen, ob Höchstarbeitszeiten eingehalten und Mindestruhezeiten gewährt werden.
Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System einzuführen und zu nutzen, das Arbeitszeiten objektiv, verlässlich und zugänglich dokumentiert. Diese Pflicht gilt unmittelbar – Arbeitszeiterfassung ist nicht mehr fakultativ und “nice to have”, sondern zwingend.
Was bedeutet “objektiv, verlässlich und zugänglich” konkret?
Die Zeiterfassung gilt als objektiv, wenn ihr nachweislich die tatsächlich erbrachte Arbeit zugrunde liegt. Es ist rechtlich in Ordnung, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit selbst erfassen – Arbeitgeber sind jedoch verpflichtet, die Arbeitszeitdokumentation zu prüfen und sicherzustellen, dass sie eingreifen können, wenn Beschäftigte nach der Überschreitung von Höchstarbeitszeiten weiterarbeiten.
Verlässlich ist die Erfassung dann, wenn sie unverzüglich erfolgt und sämtliche geleistete Arbeit umfasst – zum Beispiel auch Zeiten von Arbeitsbereitschaft.
Zugänglich bedeutet, dass die Zeiterfassung zum einen für Beschäftigte und Arbeitgeber, zum anderen aber auch für Aufsichtsbehörden und Interessenvertretungen in den Betrieben und Dienststellen einsehbar ist.
Wer muss die Arbeitszeit erfassen?
Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung, aber das Erfassen kann laut Bundesarbeitsgericht (BAG) auf die Beschäftigten delegiert werden, auch wenn das aus DGB-Sicht Missbrauchspotenzial in sich birgt.
Was muss erfasst werden?
Die gesamte Arbeitszeit. Denn nur dann kann der Schutzzweck, nämlich den Arbeitsschutz durch Einhaltung von Höchstarbeits-, Pausen- und Ruhezeiten erreicht werden.
Wie können Betriebsräte die Zeiterfassung mitgestalten?
Betriebs- und Personalräte können beim Thema Arbeitszeiterfassung aktiv werden. Arbeitszeiterfassung ist kein Hexenwerk, sondern wird in der Mehrzahl der Betriebe ja bereits praktiziert. Arbeitszeiterfassung bedeutet Sicherheit in der Flexibilität.
Wie muss die Arbeitszeit konkret erfasst werden – elektronisch oder auf Papier?
Das BAG hat Spielraum gelassen für die betriebliche Ausgestaltung – idealerweise mit Beteiligung der Interessenvertretung wie Betriebs- oder Personalrat:
- Es gibt keine Pflicht zur ausschließlichen elektronischen Erfassung. Zulässig sind z. B. Stempelsysteme, Apps, Excel-Listen oder Papierformulare – entscheidend ist, dass die Lösung objektiv, verlässlich und zugänglich ist.
- Es können auch je nach Tätigkeit und Unternehmen Aufzeichnungen in Papierform genügen. Allerdings muss nach den Europäischen Vorgaben die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Vordergrund stehen, die “keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen” (Zitat aus dem vierten Erwägungsgrund RL 2003/88/EG). Bei der Auswahl des Systems sind nach Wortlaut des BAG die “jeweils betroffenen Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – zu berücksichtigen”.
Wie verbreitet ist korrekte Zeiterfassung in der Praxis?
Tatsächlich wird es in der Praxis aber noch nicht flächendeckend gemacht. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) geben rund 80 Prozent der Beschäftigten an, dass sie ihre Arbeitszeit betrieblich erfassen oder dokumentieren.
Gibt es spezielle gesetzliche Vorgaben für einzelne Branchen?
Ja, etwa in der Fleischwirtschaft: Beginn, Ende und Dauer müssen am selben Tag elektronisch, manipulationssicher aufgezeichnet und elektronisch aufbewahrt werden.
Auch bei der Arbeitnehmerentsendung, beim Mindestlohn und in der Seeschifffahrt bestehen besondere Dokumentationspflichten. Details und Fristen können variieren. Betriebe sollten ihre branchenspezifischen Regeln prüfen.