Am Dienstag starten die Tarifverhandlungen in der nordwestdeutschen und ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie. Die IG Metall fordert von den Arbeitgebern eine Garantie für Arbeitsplätze und die volle Kaufkraft. Das haben die Tarifkommissionen am Donnerstag beschlossen; der Vorstand der IG Metall hat die Forderungen am Freitagmorgen, 12. September 2025 bestätigt und verabschiedet.
Schwierige Lage: Produktion runter, Kosten rauf
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind äußerst schwierig. Die Rohstahlproduktion ist gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent gesunken. Viele Unternehmen schreiben rote Zahlen und bauen Beschäftigung ab. In zahlreichen Betrieben wurden zur Sicherung von Arbeitsplätzen die Arbeitszeiten reduziert – auf Basis der tariflichen Möglichkeiten zur Beschäftigungssicherung.
Politik am Zug: Industriestrom und Investitionen
Die IG Metall ruft die Politik auf, verlässliche Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Stahlindustrie zu schaffen. Gefordert werden ein verbilligter Industriestrompreis, eine zügige Umsetzung des Investitions-Sondervermögens in konkrete Projekte sowie eine europäische Local-Content-Politik als Antwort auf Zollkrisen und Billigstahl-Importe aus Drittstaaten.
IG Metall: Gesamtpaket statt bezifferter Entgeltforderung
“Wir sind uns der Lage voll bewusst. Wir wollen und müssen Beschäftigung, Reallöhne und Fachkräfte sichern”, betont Nadine Boguslawski, Tarif-Vorständin der IG Metall. Die IG Metall verzichtet daher – wie in früheren wirtschaftlich instabilen Zeiten – auf eine konkrete bezifferte Entgeltforderung. Stattdessen fordert sie ein Gesamtpaket, das Arbeitsplätze und Reallöhne sichert, um die Kaufkraft zu erhalten und die Branche im Wettbewerb um Fachkräfte attraktiv zu halten. Unternehmen sollen die bestehenden Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung konsequent nutzen.
Klare Kante: Keine Nullrunde
“Eine Nullrunde wird die IG Metall nicht akzeptieren”, unterstreicht Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW und Verhandlungsführer in der nordwestdeutschen Stahlindustrie. Aus wirtschaftlicher Vernunft müsse die Kaufkraft abgesichert werden, um die Binnenkonjunktur zu stabilisieren. Zur Sicherung der Kaufkraft gehört beides: der Erhalt von Arbeitsplätzen und die Sicherung der Realeinkommen.
Ostdeutschland: Verantwortung der Arbeitgeber gefordert
Auch Jan Otto, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen und Verhandlungsführer für die ostdeutsche Stahlindustrie, stellt klar: Der Verzicht auf eine bezifferte Entgeltforderung bedeute keinesfalls den Verzicht auf Forderungen. Gerade jetzt seien die Arbeitgeber in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen.
Branchenbeispiele: Sanierung, Transfer, Perspektiven
Beim größten deutschen Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel hat die IG Metall einen Sanierungstarifvertrag verhandelt. Die Arbeitszeit wird auf 32,5 Stunden pro Woche reduziert. Mehr als 4.000 ältere Beschäftigte von insgesamt 27.000 wechseln vorzeitig über eine Altersbrücke mit Ausgleichszahlungen in den Ruhestand. Bis 2030 sind betriebsbedingte Kündigungen nur als letztes Mittel möglich. Auch in weiteren Unternehmen laufen Maßnahmen: Bei Saarstahl gilt ein Transfertarifvertrag, bei Salzgitter droht eine Sanierung, bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann in Duisburg geht es um die Zukunft des Standorts. Entsprechend ist die Sicherung von Arbeitsplätzen ein zentrales Ziel der Tarifrunde 2025.
“Polykrise” der Stahlindustrie
“Die Stahlindustrie steckt in einer Polykrise”, sagt Knut Giesler. Neben der schwachen Konjunktur in Abnehmerbranchen belasten hohe Energiepreise und die Kosten der Transformation zu grünem Stahl. Zudem sorgen Zollpolitik und steigende Stahlimporte für Unsicherheit und Verwerfungen auf den Märkten. Die IG Metall fordert, dass Deutschland und Europa aktive Rahmenbedingungen setzen, die Planungssicherheit und Zukunftsperspektiven schaffen.
Beschäftigte in Tarifbindung und Geltungsbereich
In der deutschen Stahlindustrie arbeiten bundesweit 82.000 Beschäftigte mit Tarifvertrag. Die startenden Verhandlungen betreffen zunächst 68.000 Stahlwerkerinnen und Stahlwerker, vor allem in Nordwest- und Ostdeutschland. Die Tarifrunde im Saarland beginnt Mitte November.
Zeitplan Tarifrunde Stahl
- Nordwestdeutsche und ostdeutsche Stahlindustrie
- 11. September: Die Tarifkommissionen beschließen ihre Forderungsempfehlungen.
- 12. September: Der IG Metall-Vorstand verabschiedet die endgültigen Forderungen.
- 16. September: Start der Tarifverhandlungen.
- 30. September, 24 Uhr: Ende der Laufzeit der Entgelttarife. Ende der Friedenspflicht.
- 1. Oktober: Warnstreiks sind möglich.
- Saarländische Stahlindustrie
- 31. Dezember: Ende der Laufzeit des Entgelttarifvertrags. Ende der Friedenspflicht.