In ihrem aktuellen Jahresgutachten stellen erstmals alle Wirtschaftsweisen für den Fall einer Rezession die „Schwarze Null“ in Frage (also die selbstauferlegte Verpflichtung der Bundesregierung, stets einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen). Doch ein Verzicht auf die Schwarze Null reicht nicht. Wer – wie drei der fünf Ratsmitglieder – die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse dabei unangetastet lässt, behindert ebenfalls sinnvolle Investitionen und ein aktives (antizyklisches) fiskalpolitisches Gegensteuern in einer Rezession.
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Klar ist, dass die Schwarze Null ökonomisch schädlich ist, weil sie den Staat zwingt, bei schwächeren Steuereinnahmen im Abschwung zusätzlich zu sparen, so die Nachfrage weiter drosselt und den Abschwung verschlimmert. Doch die Schuldenbremse soll eigentlich anders konstruiert sein: Sie erlaubt eine „strukturelle“ Neuverschuldung des Bundes bei konjunktureller Normallage von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Je nach konjunktureller Situation (Rezession oder Boom) wird dieser Spielraum größer oder kleiner. So werden zwar immer noch Investitionen behindert, aber immerhin soll sichergestellt werden, dass der Staat in einer Krise mehr Schulden machen kann, um gegenzusteuern.
Bei der Prüfung, ob die Schuldenbremse eingehalten wird, wird deshalb auch geschätzt, an welcher Stelle sich eine Volkswirtschaft im aktuellen Konjunkturzyklus gerade befindet. Dazu wird – auch für Deutschland – eine Methode der Europäischen Kommission verwendet. Der relevante Indikator ist die so genannte Produktionslücke, also der Unterschied zwischen tatsächlichem BIP und dem BIP, dass bei Normalauslastung der Volkswirtschaft potenziell möglich wäre. Ist die Produktionslücke positiv (über Null), gilt die Wirtschaft als „überausgelastet“, eine antizyklische Fiskalpolitik müsste den Gürtel enger schnallen. Ist die Produktionslücke negativ, sollte der Staat die Produktion antreiben, indem er u. A. Schulden aufnimmt.
Das Problem: Studien zeigen, dass die Berechnungsmethode der Produktionslücke dazu neigt, im Aufschwung dessen Ausmaß zu unterschätzen und im Abschwung das Maß der Unterauslastung klein zu rechnen. Der Grund: Wenn die Kommission einen Abschwung erkennt und die Prognose für das reale BIP-Wachstum absenkt, sinkt auch das errechnete potentielle Wachstum. Im Ergebnis wird die negative Produktionslücke auf dem Papier kleiner, obwohl sie in der Realität größer wird (siehe Grafik).
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Die Folge: Ein konjunktureller Abschwung wird schnell als gar nicht konjunkturbedingt eingeordnet. Entsprechend sinkt der erlaubte Verschuldungsspielraum unter der Schuldenbremse und der Staat muss dem Abschwung hinterhersparen. Das erlaubte Defizit von 0,35 Prozent des BIP bei normaler Konjunktur würde derzeit rund 12 Mrd. Euro betragen. Da aber das (falsch berechnete) strukturelle Defizit betrachtet wird, sind tatsächlich nur 5 Mrd. Euro erlaubt – als wäre die Wirtschaft noch deutlich überausgelastet.
Die falsche Produktionslücken-Berechnung und prozyklische Ausgestaltung sind längst nicht die einzigen Argumente gegen die Schuldenbremse. Sie zeigen aber, wie fatal das Instrument gerade in einem Abschwung wirkt.