Deutscher Gewerkschaftsbund

19.03.2012
Tarifverhandlungen

Tarifrunde 2012 - Mehr Lohn stärkt die Konjunktur

Die Tarifrunde 2012 ist in voller Fahrt. Warum höhere Löhne nicht nur für die Beschäftigten in Deutschland, sondern auch in Europa gut sind, erklären die WSI-Tarifexperten Reinhard Bispinck und Thorsten Schulten.

Die Tarifrunde 2012 ist in voller Fahrt. Im öffentlichen Dienst, in der Metall- und Elektroindustrie und in verschiedenen anderen Branchen wird zum Teil bereits seit Wochen verhandelt. Dabei geht es den Gewerkschaften zum einen um höhere Löhne. Die Tarifforderungen bewegen sich zwischen sechs und sieben Prozent. Das Ziel ist eine spürbare Erhöhung der realen Einkommen. Zum anderen wollen die Gewerkschaften die prekären Arbeits- und Einkommensbedingungen begrenzen. Bei der Leiharbeit geht es der IG Metall um mehr Mitbestimmung der Betriebsräte und Schritte in Richtung Equal Pay. Für die fertig Ausgebildeten fordern die Gewerkschaften in verschiedenen Branchen eine unbefristete Übernahme.

Dr. Reinhard Bispinck leitet das WSI-Tarifarchiv in der Hans-Böckler-Stiftung. Dr. Thorsten Schulten ist Referatsleiter für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa beim WSI, dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen: WSI-Tarifarchiv

Inflation frisst Nettolohnzwächse auf

Die Lohnforderungen sind verteilungspolitisch mehr als berechtigt. Ein Blick auf das vergangene Jahrzehnt zeigt, dass die Tarifverdienste real (das heißt inflationsbereinigt) in bescheidenem Umfang gestiegen sind, von 2000 bis 2011 um sechs Prozent, also jahresdurchschnittlich um kaum mehr als ein halbes Prozent. Die tatsächlich gezahlten Bruttomonatsverdienste je Arbeitnehmer sind dagegen in diesem Zeitraum real sogar um fast drei Prozent gesunken. Nicht zu Unrecht spricht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von einem für viele Arbeitnehmer „verlorenen Jahrzehnt“.

Dienstleistungsbranche darf bei Lohnentwicklung nicht zurückbleiben

Vor allem Geringverdiener sind davon stark betroffen. Aufgrund der Deregulierung des Arbeitsmarktes, des stark gewachsenen Niedriglohnsektors und der rückläufigen Tarifbindung hatten die Tarifabschlüsse also nur eine begrenzte Wirkung auf die Effektivverdienste. Zwischen den Branchen gibt es allerdings große Unterschiede: Die exportstarken Industriebranchen wie Metall und Chemie stehen deutlich besser da als manche Dienstleistungsbereiche wie zum Beispiel der Einzelhandel oder auch der öffentliche Dienst. Die aktuelle Tarifrunde steht deshalb auch unter dem Vorzeichen, dass die Dienstleistungsbranchen nicht länger hinter der Lohnentwicklung in der Industrie zurückbleiben. Der aktuelle Tarifabschluss bei der Post hat mit einer Lohnerhöhung von vier Prozent hier ein deutliches Zeichen gesetzt.

Lohnsteigerungen sind konjunkturpolitisch

Die Arbeitgeber warnen hingegen routinemäßig vor „überzogenen“ Lohnforderungen: Die Metallarbeitgeber verweisen auf das schwieriger werdende wirtschaftliche Umfeld, die öffentlichen Arbeitgeber beschwören die „leeren Kassen“ und die Notwendigkeit, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Tatsächlich sind kräftige Lohnsteigerungen jedoch konjunktur- und wirtschaftspolitisch dringend geboten: Die bisherigen starken Zuwächse im Export werden sich in diesem Jahr wegen der Rezession in Europa nicht fortsetzen, die Investitionstätigkeit der Unternehmen ist relativ schwach und auch die öffentlichen Haushalte wachsen nur bescheiden. Da kommt der Entwicklung des privaten Verbrauchs eine Schlüsselstellung zu: Nur wenn es gelingt, die realen Einkommen der Beschäftigten deutlich anzuheben, kann der private Konsum die Binnennachfrage hierzulande stützen und damit die Gefahr einer stagnativen wirtschaftlichen Entwicklung reduzieren.

Krisenstaaten brauchen deutschen Wachstumsmotor

Hinzu kommt die europaweite Bedeutung der deutschen Lohnpolitik: Das bisherige deutsche Wirtschaftsmodell „Starker Export – schwacher Binnenmarkt“, das durch die sehr gedämpfte gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung verstärkt wurde, hat maßgeblich zu den extremen ökonomischen Ungleichgewichten in Europa beigetragen. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland seine Binnenwirtschaft stärkt, um insgesamt wieder eine gleichgewichtigere ökonomische Entwicklung zu ermöglichen. Gerade für die südeuropäischen Krisenstaaten ist eine Stärkung des deutschen Wachstumsmotors unerlässlich.

Umverteilung zwischen Einkommensarten muss korrigiert werden

Genauso notwendig ist eine Korrektur der Umverteilung. Die Schere zwischen den Gewinn- und Vermögenseinkommen und den Arbeitseinkommen hat sich in den vergangenen Jahren zulasten der Beschäftigten weit geöffnet. Daran hat auch die Krise 2008/2009 nichts Wesentliches geändert. Eine aktive Lohnpolitik in der Tarifrunde 2012 würde weder die Unternehmen überfordern, noch Arbeitsplätze gefährden.

einblick 5/2012 vom 19.3.2012


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