Deutscher Gewerkschaftsbund

09.01.2014
Interview

Gute und sichere Arbeitsplätze sind die beste Prävention

Michael Bellwinkel, BKK Dachverband, kommentiert die DGB-Analyse zur gesundheitlichen Situation von Arbeitslosen

Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung stellen ein erhebliches Krankheitsrisiko dar. Psychische Erkrankungen treten bei Arbeitslosen erheblich häufiger auf als bei allen Beschäftigten. Krankenkassen und Politik müssen mehr tun, um die Gesundheitsförderung für Arbeitslose zu verbessern, sagt Michael Bellwinkel, Referatsleiter Prävention und Suchthilfe beim BKK Dachverband (vormals BKK Bundesverband).

Michael Bellwinkel

Michael Bellwinkel, Referatsleiter Prävention und Selbsthilfe beim BKK Dachverband gesundheitliche-chancengleichheit.de

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um die gesundheitliche Situation von Arbeitslosen zu verbessern?

Michael Bellwinkel: Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung stellen ein erhebliches Krankheitsrisiko dar. Insbesondere die psychischen Erkrankungen treten im Vergleich zu allen Beschäftigtengruppen erheblich häufiger auf und lösen weit überdurchschnittlich viele stationäre und pharmagestützte Behandlungen aus. Sichere und gute Arbeitsplätze sind deshalb die beste Prävention, denn nur dadurch können die mit Arbeitslosigkeit oder drohender Arbeitslosigkeit verbundenen Belastungen mit einem Schlag beseitigt werden. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, muss es darum gehen, die Belastungen, die mit der Arbeitslosigkeit und drohendem Jobverlust verbunden sind, zu reduzieren und zugleich die Betroffenen persönlich zu stärken, damit sie diese Belastungssituation besser bewältigen können.

Was tun die Krankenkassen für die Arbeitslosen?

Die Reduzierung von Belastungen und die Stärkung der Gesundheit sind klassische Gesundheitsförderungsaufgaben, zu denen die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind. Damit sie diese Aufgabe umsetzen können, müssen sie eng mit den Arbeitsmarktakteuren zusammenarbeiten. Diese Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit notwendig ist, ist inzwischen auf beiden Seiten gereift, was die wachsende Zahl gemeinsamer Aktivitäten mit teilweise gut evaluierten Ansätzen, aber auch die Anfang 2012 geschlossene Vereinbarung zwischen Bundesagentur für Arbeit (BA) und Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zum Thema Gesundheit zeigen.

Die Hürden sind ohne Zweifel vielfältig und liegen oft im Detail. Ein Beispiel ist die aufwändige Einzelabrechnung von Präventionskursen bei den Krankenkassen. Im Rahmen eines Modellprojekts von BA und GKV sollen ab 2014 hierzu neue Wege erprobt werden. Es mangelt aber auch an einer geübten Praxis der Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Wünschenswert wäre eine vertrauensvolle Kooperation der Fallmanager von BA und GKV im Krankheitsfall wie auch bei der Vermeidung von Krankheiten. Ein Problem ist zudem, dass Krankenkassen bislang für Arbeitslose zu wenig Präventionsleistungen zur Verfügung stellen. Hier greift etwas, das man Zusatzbeitragsvermeidungswettbewerb nennen kann. Die Krankenkassen treibt die Sorge, wenn sie offensiv Leistungen für Arbeitslose anbieten, dass davon diese unbestritten teuren Versicherten in großer Zahl angezogen würden. Das könnte dazu führen, dass ein Zusatzbeitrag erhoben werden muss, der einzelnen Kassen in der Vergangenheit schon zum Verhängnis geworden ist. Tatsächlich ist die Neigung zum Kassenwechsel bei Arbeitslosen sehr gering, was die Sorge bei den Kassenverantwortlichen aber nicht senkt.

Wo ist aus Ihrer Sicht die Politik gefordert, um die Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen zu verbessern?

Punkt 1 ist das erhöhte Krankheitsrisiko, das mit Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung verbunden ist. Punkt 2 ist, dass Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung erhöhte Kosten bei den sozialen Sicherungssystemen auslösen. Infolge von Mindereinnahmen aufgrund der geringen Einkommensbezüge und Mehrkosten infolge überdurchschnittlichen Leistungsbedarfs kostet die Arbeitslosigkeit in Deutschland allein die GKV derzeit rd. 9 Milliareden € jedes Jahr.

Die Bewältigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das gilt für das erhöhte Krankheitsrisiko ebenso wie für die Kosten. Derzeit finanzieren die GKV-Versicherten mit ihren Beitragsmitteln diese versicherungsfremden Aufgaben allein, die PKV-Versicherten werden nicht belastet. Hier ist eine Steuerbeteiligung erforderlich, denn durch die Finanzierung aus Beitragsmitteln der GKV werden Geringverdiener stärker belastet als Besserverdienende. Auch im Hinblick auf das von der großen Koalition geplante Präventionsgesetz ist darauf zu achten, dass die Lasten gerecht verteilt werden. Denn auch Prävention und Gesundheitsförderung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Das Gesetz darf deshalb keineswegs allein auf die GKV bezogen werden, sondern muss alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen. Und es muss so ausgerichtet sein, dass die Leistungen künftig insbesondere bei denen ankommen, die den höchsten Bedarf haben. Dazu zählen zweifellos Arbeitslose und prekär Beschäftigte.


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