Big Tech und rechte Politik: Eine Freiheit, die sie meinen

Gastbeitrag von Prof. Dr. Martin Andree

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Die vielen Anzeichen, dass Donald Trump nach einem möglichen Wahlsieg die US-amerikanische Demokratie in eine Diktatur verwandeln könnte, beherrschen die Schlagzeilen – wie etwa die Übermacht der Republikaner im Supreme Court sowie die Tatsache, dass der Supreme Court jetzt auch konsequent im Sinne Trumps entscheidet, was etwa an der neu gestalteten, weitreichenden Immunität des Präsidentenamtes deutlich wurde. Zuletzt das “Project 2025”, welches die Blaupause für den vollständigen Umbau der staatlichen Institutionen und Behörden liefert. 50.000 Positionen sollen durch Trump-Loyalisten ersetzt werden. Und es wäre umgekehrt wohl mehr als naiv, nach dem gescheiterten Sturm aufs Kapitol sowie der hartnäckig verbreiteten Lüge vom Wahlbetrug davon auszugehen, dass Trump nach einem Sieg das System der demokratischen Checks and Balances respektieren wird. Die Nervosität in Europa steigt, zumal die amerikanische Unterstützung im Ukraine-Krieg wohl umgehend ausfallen wird. 

Es gibt aber einen weiteren Aspekt, der uns ebenso direkt betrifft – auch wenn er weniger augenfällig und momentan nicht auf unserem Radar ist. Es geht um die Dominanz der Amerikaner auf dem Feld der digitalen Medien. Was würde eigentlich geschehen, wenn die USA tatsächlich kippen – und eine antidemokratische Regierung zunehmende Kontrolle über die Plattformen erlangt? Dass Trump J. D. Vance für die Position des Vizepräsidenten nominiert hat, sollte uns hellhörig machen. Die Verflechtungen zwischen Vance und den libertären Big-Tech-Ökosystemen des Silicon Valley sind weitreichend – der Mentor von Vance ist kein Geringerer als der Big-Tech-Investor Peter Thiel, Libertärer und bekennender Antidemokrat. Und auch Elon Musk, Eigentümer von X, ist längst zum Trump-Lager übergelaufen. Nach seiner Nominierung wurden in der Presse frühere Äußerungen von Vance aufgegriffen, in denen er empfohlen hatte, Google zu zerschlagen. Wer nun meint, eine neue republikanische Regierung könnte Abhilfe schaffen bei der Liberalisierung der digitalen Märkte sowie der Abschaffung der digitalen Monopole, sollte sich nicht zu früh freuen. Die mögliche Agenda der Trumpisten in Bezug auf die Plattformen erschließt sich nur durch den Kontext solcher Äußerungen sowie eine ganzheitliche Betrachtung der aktuellen Situation. 

Vance wie auch Trump gehen davon aus, dass die Plattformen von Alphabet (Youtube, Google) oder Meta (Facebook, Instagram) einen linken beziehungsweise liberalen “Bias” besitzen und auf diese Weise die digitale Öffentlichkeit zugunsten der Demokraten beeinflussen. Diese Einschätzung steht zunächst einmal im Widerspruch zu dem allgemeinen Befund, dass alle Plattformen (auch diejenigen von Alphabet und Meta) die Polarisierung der Gesellschaft befördern, weil sie allgemein Inhalte mit Hass, Hetze und Häme boosten, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit innerhalb der Plattformen zu maximieren. Der Aufstieg rechtsradikaler und demokratiefeindlicher Parteien in den westlichen Demokratien steht in einem offensichtlichen Zusammenhang mit dem Vormarsch der Plattformen. 

Von der systematischen Zerstörung der inklusiven Öffentlichkeit in den USA, der Radikalisierung der politischen Diskurse (Hate Speech, Fake News) sowie der Destabilisierung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Wahrheit ("Post-Truth") profitieren offensichtlich vor allem Trump und die Republikaner, hierzulande die AfD. Wie genau haben wir also die Position von Vance, aber auch von Trump in Bezug auf Big Tech zu verstehen? Hier ist es nötig, den gesamten Kontext der Destabilisierung der US-amerikanischen Demokratie und die Zusammenhänge mit dem Vormarsch der Plattformen zu berücksichtigen. Diese wird lesbar als ein mehrstufiger Prozess von vermeintlichen „Befreiungen“. Die erste Befreiung stellte der Vormarsch des Internets sowie vor allem der frühen Plattformen des “Web 2.0” dar. Die Hauptakteure in dieser Phase waren die Unternehmen, die heute die Big-Tech Konzerne darstellen (also Facebook, Youtube, Instagram et cetera). Diese ermöglichten breiten Schichten der Gesellschaft erstmals eine direkte Partizipation am politischen Diskurs. Die Plattformen nutzten den Verweis auf die neuen Möglichkeiten der Meinungsfreiheit ("Freedom of Speech"), um massive regulatorische Privilegien zu ergattern – sie werden bekanntlich bis heute nicht als Medien reguliert, sondern ähnlich wie Infrastruktur- oder Netzbetreiber ("Intermediäre“ beziehungsweise in den USA „Internet Service Provider"), weswegen sie nicht für die verbreiteten Inhalte haften müssen. Bis heute können Plattformen auch konkrete strafbare Inhalte durch Werbung oder Gebühren monetarisieren. Erst diese Fehlregulierung ermöglichte die katastrophale Verrohung des politischen Diskurses, die bis heute vorhält. Trump selbst sagte, ohne Twitter wäre er niemals Präsident geworden. 

Bis heute profitieren gerade extremistische und radikale Positionen von den entsprechenden Algorithmen der Plattformen. Die vermeintliche „Befreiung“ des politischen Diskurses durch den Vormarsch der Plattformen war stets durch eine Furcht vor staatlicher Regulierung getrübt, die ebenso reflexartig von den Plattformen mit dem Totschlagargument gekontert wurde, dunkle staatliche Mächte wollten das “freie” Internet “zensieren”. Damit etablierte sich die ideologische Sichtweise eines vermeintlich „freien“ Internets, wohingegen die redaktionellen Medien immer weiter delegitimiert wurden. Diese Delegitimation durch die Plattformen war über viele Jahre nur impliziert, wurde also in Debatten um die Netzfreiheit allenfalls „mitgedacht“ und weniger ausgesprochen. Die entscheidende Wende erfolgte am 10. Dezember 2016, als Trump erstmals die redaktionellen Medien (hier CNN) als „Fake News“ bezeichnete. Innerhalb der Destabilisierung der gesellschaftlichen Wahrheit war ein neuer Meilenstein erreicht. Trumps Lügen standen plötzlich auf derselben Ebene wie die angeblich “manipulierten”, als “Lügen” diskreditierten Beiträge der Redaktionen. Den vorläufigen Gipfel dieser Bewegung, in der die vermeintlichen “Fake News” der etablierten Medien durch die angeblichen „Wahrheiten“ der Plattformen ersetzt wurden, stellten die Unruhen nach dem Wahlsieg von Joe Biden dar: Trump behauptete, die Wahlergebnisse seien gefälscht, und seine Follower*innen stürmten am 6. Januar 2021 das Kapitol. 

Angesichts des Putschversuchs wurde es offenbar sogar den Tech-Riesen mulmig, Trump wurde von Twitter sowie Facebook und Instagram gesperrt. Es wurde deutlich: Niemand steht mehr über den Plattformen – auch nicht der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten. Trump schäumte, aber er musste sich der Macht von Big Tech fügen. Nur vor diesem „Trauma“ lässt sich Trumps Gründung von Truth Social erklären. Trump hatte seine Verwundbarkeit erkannt – und wollte verhindern, dass er jemals wieder auf eine ähnliche Weise digital „kaltgestellt“ werden konnte. In der Berichterstattung zu Truth Social wird häufig auf Nutzerzahlen hingewiesen, die sicherlich noch verbesserungswürdig sind – ohne dass man den tieferen Sinn von Truth Social erkennt. Truth Social zeichnet sich (im Gegensatz zu den anderen sozialen Netzwerken) dadurch aus, dass alle Inhalte unkompliziert durch Outlinks auf die existierenden marktführenden Plattformen verbreitet werden können. Die Struktur von Truth Social entspricht also einer gigantischen digitalen Dreckschleuder: Die radikalen Trumpisten, die sich hier versammeln, können ihre demokratiefeindlichen Inhalte zu Zehntausenden auf alle beliebigen marktführenden Plattformen verteilen. Umgekehrt ist Trump jetzt auch medial “immun” geworden gegen potenzielle Sanktionen durch die marktführenden Plattformen. Die Interpreten von Truth Social übersehen also, dass es hier viel weniger um den Traffic geht, der auf der Plattform selbst erzielt wird – sondern um die Errichtung einer digitalen Multiplikationsmaschine, die zugleich Trump selbst vor möglichen Sperrungen oder ähnlichen Zugriffen immunisiert. Nach dem Sturm auf das Kapitol hatten es Twitter sowie Facebook und Instagram gewagt, Trump in die Schranken zu weisen. 

Aber Twitter wurde bekanntlich 2022 von Elon Musk übernommen. Musk hat als selbsternannter “Absolutist der Meinungsfreiheit” die wichtigsten Strukturen der Kuratierung extremer oder gar strafbarer Inhalte eliminiert – weswegen die nun vermeintlich "unzensierte" Plattform unter dem neuen Namen “X” immer mehr Wasser auf die Mühlen von Radikalen und Demokratiefeinden leitet. Musk selbst unterstützt mit Posts nicht nur Trump, sondern auch etwa deutsche Rechtspopulisten wie die AfD. Es wird also deutlich, wie sich die digitale Öffentlichkeit aus der Perspektive der Trumpisten darstellt. X wird zunehmend ein Teil des eigenen Ökosystems. Und Truth Social dient als übergreifende Verteilerstelle dem Zweck, riesige Mengen radikaler und extremistischer Inhalte auf die marktführenden Plattformen zu leiten und zugleich eine Kontrolle oder Kuratierung massiv zu erschweren. Allerdings ist der Großteil des digitalen Traffics nach wie vor auf den führenden Big Tech-Plattformen (Youtube, Facebook, Instagram etc.). Angesichts des ebenso systematischen wie planvollen Vorgehens Trumps bei der Abschaffung der US-amerikanischen Demokratie sowie seiner ebenso umtriebigen wie erfolgreichen Aktivitäten auf dem Feld der digitalen Plattformen stellt sich die Frage nach seinen Handlungsoptionen nach einem Wahlsieg. 

Allein durch ihre monopolistischen Marktpositionen in den verschiedenen digitalen Mediengattungen (vor allem Suchmaschinen, Social Media sowie Gratis-Video-on Demand) wären die Big-Tech-Plattformen ein attraktives Ziel für Übergriffe. Hier wären verschiedene Szenarien denkbar. Trump könnte etwa mit Zerschlagung drohen – und dann einen Hinterzimmerdeal abschließen. Wir würden möglicherweise nie etwas davon erfahren, ebenso wie es auch bei der jahrelangen Überwachungstätigkeit von Big Tech im Dienst der US-Regierung der Fall war. Die führenden Plattformen würden radikale, trumpistische Inhalte in Bezug auf Sichtbarkeit steigern – ohne dass die Nutzer verstehen, warum. Das ist sicherlich nur eine Spekulation. Umgekehrt wäre es naiv anzunehmen, dass Trump solche oder ähnliche Opportunitäten nicht mit derselben Skrupellosigkeit umsetzen würde, die er auch bei der feindlichen Übernahme des Supreme Court unter Beweis gestellt hat. Nur dass es einen entscheidenden Unterschied für uns Europäer gibt. Während die Abschaffung der Neutralität des Supreme Court „nur“ die USA betreffen, beherrschen exakt dieselben US-amerikanischen Plattformen durch ihre monopolistische Übermacht auch hierzulande die digitale Öffentlichkeit. Allerdings ist die Ausgangslage in Europa 2025 eine ganz andere als im Jahr 2017. Denn schon jetzt sind in ganz Europa die Höckes und Weidels, die Le Pens und Orbáns, die Melonis überall auf dem Vormarsch. Sie alle haben das trumpistische Ideologem der vermeintlich staatlich zensierten „Mainstream Media“ erfolgreich überall in Europa verbreitet. Und sie werden mit Freude die politischen Renditen einfahren. 

Entscheidend ist die Frage: Was machen wir dann eigentlich, wenn eine US-amerikanische Diktatur unter Trump zunehmend die digitalen Medien hierzulande kontrollieren kann? Obwohl Medienmonopole verfassungswidrig sind, haben wir seit Jahren widerstandslos hingenommen, dass alle demokratierelevanten digitalen Mediengattungen in der Hand der US-Monopolisten sind: Suchmaschinen (88 Prozent Google), Gratisvideo (78 Prozent Youtube), Social Media (85 Prozent Facebook und Instagram). Wir sind weitgehend abhängig von den US-Plattformen. Schon jetzt haben die Rechtsextremen in Europa das (ursprünglich linke) Ideologem der vermeintlichen “Netzfreiheit” erfolgreich für sich gekapert. Man stelle sich vor, wie sie in Synchronisation mit Trump und Elon Musk reagieren werden, wenn es ein ohnehin geschwächtes Europa wagen würde, die Dominanz dieser Plattformen frontal anzugreifen: “Zensur!”, könnte es heißen. „Europäische Regierungen unterdrücken die Medienfreiheit!“ Wir erkennen, wie schlimm die Situation ist, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben, obwohl umsetzbare Lösungen vorliegen. Dabei sollte niemand besser als wir in Deutschland vor dem Hintergrund unserer nationalsozialistischen Vergangenheit wissen: Medienmonopole sind ein Tabu und nicht diskutabel. Aber unsere verantwortlichen Institutionen und Behörden schauen der Monopolisierung seit Jahren tatenlos zu und tun nichts. Trump wird das alles nicht interessieren. Wenn er es kann, wird er auch hier Fakten schaffen. Wie soll es dann möglich sein, in wenigen Monaten alternative europäische Plattformen oder soziale Netzwerke aufzubauen? Erfreulich ist zwar, dass mit Kamala Harris nun Hoffnungen keimen, ein Triumph Trumps könne doch noch abgewendet werden. Aber selbst bei einem Wahlsieg von Harris wäre es inakzeptabel, noch weiter zu warten. “Stellen Sie sich mal vor, diese Unternehmen würden irgendwann demokratiefeindlich, sie würden menschenrechtsfeindlich – und Sie können ihnen nicht ausweichen”, sagte kürzlich ausgerechnet Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, zum Thema Big Tech und KI. Exakt genau richtig, auch wenn diese Erkenntnis leider sehr, sehr spät kommt. Und deswegen müssen Kartellamt, die KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) und vor allem die Bundesländer, die seit Jahren eine längst fällige Neuregelung des Medienkonzentrationsrechts verschleppen, jetzt endlich allesamt entschlossen handeln, um die Demokratie und die Medienfreiheit hierzulande langfristig zu sichern.


Der Text ist eine gekürzte Fassung und wurde zuerst am 27. Juli 2024 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.


Veranstaltungstipp

re:publica 2025: Big Tech als Gefahr für die Demokratie

Die Dominanz der US-Digitalkonzerne ist schon lange ein Problem. Mit Donald Trump erreicht der Einfluss von “Big Tech” nun eine neue Qualität: Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt sind deshalb in Gefahr. Dazu diskutieren die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, der Siemens-Betriebsrat Metin Bukan, die Digitalwissenschaftlerin Jeanette Hofmann und der Wissenschaftler Martin Andree auf einem Panel (28. Mai 2025 von 13:45 – 14:45) im Rahmen der diesjährigen re:publica.

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