Darum ist es Zeit für eine gerechte Erbschaftsteuer

Autorin: Julia Jirmann

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Ausnahmen und juristische Schlupflöcher verhindern, dass Superreiche bei Erbschaften und Schenkungen angemessen besteuert werden. Die Steuerexpertin Julia Jirmann zeigt, welche gewaltigen Summen dem deutschen Staat durch Lappen gehen und wie eine gerechte Erbschaftsteuer aussehen kann.

Kaum eine Steuer wird so emotional diskutiert, wie jene auf Erbschaften und Schenkungen. Das steht im Gegensatz zu ihrem schlichten Grundgedanken: Erbschaften werden beim Vermögensaufbau in Deutschland immer bedeutender und tragen entscheidend zur sozialen Ungleichheit bei. Die Erbschaftsteuer soll verhindern, dass Ungleichheiten ungebremst wachsen, soll die Chancengerechtigkeit stärken und sicherstellen, dass besonders hohe Vermögen einen fairen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. In ihrer aktuellen Form jedoch ist sie ineffizient und ungerecht. Sie verschenkt sowohl ihr Aufkommens- als auch ihr Umverteilungspotential – denn ausgerechnet die größten Vermögen profitieren von weitreichenden Ausnahmen und Schlupflöchern.

Eine Auswertung der neuen Daten zur Erbschaft- und Schenkungsteuer des Netzwerk Steuergerechtigkeit zeigen das Ausmaß: 45 Großerben erhielten 2024 zusammen Unternehmensvermögen von fast 12 Milliarden Euro. Darauf setzten die Finanzämter zunächst rund 3,5 Milliarden Euro Steuer fest – entsprechend einem regulären Steuersatz auf Großvermögen von etwa 30 Prozent. Anschließend erließen sie jedoch 95 Prozent der Steuerforderung. Der Staat verzichtete zu Gunsten dieser Großerben auf Einnahmen von 3,4 Milliarden Euro und letztlich lag ihr Steuersatz bei rund 1,5 Prozent. Damit werden milliardenschwere Unternehmensübertragungen weit geringer besteuert als deutlich kleinere Erbschaften, die oberhalb der persönlichen Freibeträge liegen.

Milliardengeschenke an wenige Erben

Hauptursache ist die 2016 eingeführte “Verschonungsbedarfsprüfung”. Sie ermöglicht milliardenschwere Steuererlasse für Erben großer Unternehmensvermögen. Bereits seit 2009 können Firmenerben bis zu 100 Prozent von der Steuer befreit werden. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Praxis 2014 für verfassungswidrig erklärt hatte, wurde sie zwar reformiert, aber unter massivem Druck der Lobby blieben die Privilegien weitgehend bestehen. Seither gilt die ursprüngliche Steuerbefreiung nur noch für Vermögen bis 26 Millionen Euro, doch über die “Verschonungsbedarfsprüfung” können Multimillionen- und Milliardenvermögen weiterhin weitgehend steuerfrei übertragen werden.

Das Verfahren funktioniert so: Großerben können beantragen, dass ihnen die Steuer erlassen wird, wenn sie nachweisen, dass sie nicht über ausreichend Privatvermögen verfügen, um die Steuer zu bezahlen. Dabei wird allerdings nur die Hälfte des vorhandenen Privatvermögens zum Stichtag der Übertragung berücksichtigt. Zukünftige Gewinne oder Dividendenerträge aus dem geerbten Unternehmen bleiben außen vor – sie müssen also nicht zur Steuerzahlung eingesetzt werden.

Zudem eröffnet das Verfahren Spielräume für Gestaltung: Mit etwas Planung können sich Erben vor dem Finanzamt arm rechnen. Etwa indem sie ihr Privatvermögen vorab in “begünstigtes” Betriebsvermögen umwandeln, beispielsweise durch Hinzukaufen weiterer Anteile an dem Unternehmen, das auf sie übergehen soll. Oder indem das zu vererbende Vermögen auf eine vermögenslose Familienstiftung übertragen wird – in diesem Fall muss nicht der Erbe selbst nachweisen, ob er die Steuer zahlen könnte, sondern lediglich die vermögenslose Stiftung.

Steuerausnahmen sind größte Steuersubvention

Die Folgen der neuen Superverschonung zeigen sich erst jetzt mit einigen Jahren Verzögerung: 2021 erließen die Finanzämter in 10 Fällen rund eine halbe Milliarde Euro. 2022 waren es bereits 24 Fälle mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro, 2023 dann 26 Fälle mit 2,1 Milliarden Euro. 2024 stieg die Summe weiter auf 3,4 Milliarden Euro. Ein deutlicher und kontinuierlicher Anstieg.

Die Privilegien für superreiche Unternehmenserben führen zu massiven Steuerausfällen: Zählt man auch die Begünstigungen Vermögensübergänge unterhalb der Grenze von 26 Millionen Euro hinzu, summierte sich der Steuerverzicht allein im Jahr 2024 auf rund 7 Milliarden Euro. Seit 2009 belaufen sich die Mindereinnahmen insgesamt auf etwa 90 Milliarden Euro – Geld, das für Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit fehlt.

Von diesen Ausnahmen profitieren ausschließlich die Reichsten. Das oberste Zehntel der Bevölkerung erbt die Hälfte des gesamten Vermögens, während die ärmere Hälfte nahezu leer ausgeht.

Für eine zukunftsfähige und innovative Wirtschaft, gegen dynastische Erstarrung

Ein Grund dafür, dass die Erbschaftsteuer zur “Dummensteuer” verkommen ist – also zu einer Steuer, die nur zahlt, wer schlecht plant – liegt in der jahrzehntelangen Arbeit von Lobbyorganisationen Überreicher. Ziel war es stets, in der öffentlichen Debatte vom Thema der fairen Besteuerung abzulenken. Statt über gerechte Beiträge der Reichsten zu sprechen, werden Schreckensszenarien verbreitet: Angeblich müssten normale Haushalte sie zahlen oder Arbeitsplätze und der Wirtschaftsstandort Deutschland stünden auf dem Spiel. Belege dafür fehlen. Im Gegenteil: Studien der OECD und Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesfinanzministerium zeigen, dass die Privilegien wirtschaftlich schädlich sind. Sie sichern Erben hohe Vermögen unabhängig von Qualifikation oder unternehmerischer Leistung, hemmen Innovation und bremsen den Strukturwandel. 

Um nach einer Reform Härten durch erheblich höhere Steuern zu vermeiden, sollte die Steuer gestreckt über längere Zeiträume gezahlt werden können – aus laufenden Erträgen der Erbschaft. Unternehmensnachfolger müssen sich dasselbe zumuten lassen wie jede Unternehmerin, die nicht erbt: angemessen Steuern zahlen. Wo dies nicht gelingt, könnte eine Umwandlung der Steuerschuld in öffentliche Unternehmensbeteiligungen erfolgen, um so Zwangsverkäufe zu verhindern und zugleich die Allgemeinheit am Erbe teilhaben zu lassen.

Dass Erben von Unternehmensvermögen fairer besteuert werden sollen, fand aktuell auch in einem Bürgerbeteiligungsformat breite Zustimmung: 40 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland diskutierten in der ‚Bürgerdebatte gerechte Steuern und Finanzen‘ über mögliche Reformen. Obwohl viele von ihnen – wie die Mehrheit der Bevölkerung – der Erbschaftsteuer zunächst eher skeptisch gegenüberstanden, stimmten am Ende 92 Prozent dafür, die Steuer gerechter zu gestalten.

Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer. Eine Entscheidung ist zwar noch für 2025 angekündigt, könnte sich aber auch verzögern. Und auf Karlsruhe allein zu setzen, reicht nicht. Angesichts der hohen Vermögensungleichheit und der fehlenden Rechtfertigung für die weitreichenden Befreiungsregelungen – mit Milliardensummen, die dem Gemeinwesen entgehen – ist eine politische Lösung überfällig.

Die Erbschaftsteuer ist eines der zentralen Instrumente, um Vermögenskonzentration über Generationen zu begrenzen und Chancengleichheit zu stärken. Wenn wenige Familien über Generationen hinweg immer größeren Reichtum anhäufen und entsprechend Einfluss gewinnen, gefährdet das die Demokratie.

Eine faire Erbschaftsteuer ist nicht nur verteilungspolitisch notwendig, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Das jetzige System schützt nicht Unternehmertum, sondern bevorzugt dynastische Vermögen. Wer erbt, erhält strukturelle Vorteile ohne eigenes Zutun und wird zusätzlich privilegiert. Eine angemessene Erbschaftsteuer dagegen stärkt Innovation und wirtschaftliche Dynamik. Wer es mit der Haushaltsdisziplin ernst meint, sollte erst einmal diese teure und ungerechte Subvention für Unternehmenserben streichen, statt Sozialstaat und die Hilfen für die Ärmsten zu attackieren.


Julia Jirmann ist Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, mit Fokus auf Vermögen, Erbschaften und hohe Einkommen. Zuvor arbeitete sie bei KPMG und dem Bund der Steuerzahler. Sie studierte Wirtschaftsrecht sowie Volks- und Betriebswirtschaftslehre. 2024 erschien ihr Buch “Blackbox Steuerpolitik” über Ungleichheit im Steuersystem und Reformvorschläge.

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