Die EU-Kommission hat die Vollendung der Kapitalmarktunion zu einem der wirtschaftspolitischen Kernziele ihrer aktuellen Legislaturperiode erklärt. Tiefe und integrierte Kapitalmärkte könnten, so das Argument der Befürworter, die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen verbessern und damit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, private Investitionen in der EU zu stärken. Letzte Woche hat die EU-Kommission einen ersten konkreten Gesetzesvorschlag vorgelegt, um die Kapitalmarktunion voranzubringen: Sie will den Verbriefungsmarkt wiederbeleben.
Verbriefungen ermöglichen es Kreditgebern, vor allem Banken, Darlehen zu bündeln und in Wertpapiere umzuwandeln, um diese an Investoren zu verkaufen. Letztere erhalten dann die aus den Darlehen erwirtschafteten Renditen. Gebündelt werden Kredite aus einer Branche beispielsweise Hypothekendarlehen oder Autokredite. Die Banken können dadurch einen Teil ihres Risikos an den Kapitalmarkt auslagern. Verbriefung ist ein relativ teures Refinanzierungsinstrument. Es wird meist von großen, international tätigen Investmentbanken genutzt, die ausreichend große Portfolios und geeigneter Aktiva in ihren Bilanzen führen (siehe Finance Watch).
Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zielt in zwei Richtungen: Erstens sollen für Kreditverbriefungen Eigenkapitalanforderungen gelockert werden. Zweitens will die EU-Kommission die Sorgfalts- und Berichtspflichten für die Anbieter von Verbriefungen entschlacken. Die EU-Kommission argumentiert, das Gesetzespaket könne Kreditvergabekapazitäten bei den Banken freisetzen, die der Realwirtschaft zugutekämen.
Aus gewerkschaftlicher Perspektive überzeugt der Gesetzesvorschlag nicht. Verbriefungen trugen maßgeblich zur Verbreitung und Verschärfung der Finanzkrise 2007/2008 bei. Sie sind ein Risiko für die Finanzmarktstabilität, weil sie Fehlanreize setzen. Wenn Finanzinstitute durch den Verkauf von Forderungen kein Risiko in der eigenen Bilanz behalten, besteht der Anreiz, trotz schlechter Bonität, Kredite zu vergeben. Kreditrisiken werden verschleiert. Mit dem Gesetzespaket weicht die EU-Kommission weiter von internationalen Standards ab, auf die man sich nach der Finanzkrise verständigt hatte.
Auch der Nutzen für die Realwirtschaft ist umstritten: Verbriefungen sind zuallererst eine Technik zur Verringerung des Kapitalbedarfs und die Banken können frei entscheiden, wofür sie das eingesparte Kapital verwenden. Sie können es zur Senkung der Kreditkosten für Haushalte und Unternehmen verwenden. Sie können es aber auch nutzen, um die Ausschüttungen von Dividenden zu erhöhen oder um Aktienrückkaufprogramme zu finanzieren, von denen ebenfalls nur Aktionäre profitieren. Es gibt überhaupt keine Garantie, dass Banken die Entlastungen zur Finanzierung der Realwirtschaft verwenden.
Aktuell schütten europäische Banken so viel Geld an Aktionäre aus wie seit Jahren nicht. Vor diesem Hintergrund ist es höchst zweifelhaft, dass Banken die geplante Kapitalentlastung durch Verbriefungen für eine zusätzliche Kreditvergabe nutzen. Wahrscheinlicher ist es, dass das Geld direkt in die Taschen der Aktionäre von Großbanken wandert. Sowohl aus Gründen der Finanzstabilität als auch aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit ist das Gesetzespaket der EU-Kommission daher abzulehnen.