Nach dem EuGH-Urteil zur EU-Mindestlohnrichtlinie erinnern wir Bundesregierung und Arbeitgeber an ihre Verantwortung: Weil Deutschland weit unter der geforderten Tarifbindungsquote von 80 Prozent liegt, muss die Bundesregierung bis Jahresende einen Aktionsplan vorlegen, der Tarifverhandlungen fördert. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell macht klar: “Jetzt braucht es keine Absichtserklärungen mehr, sondern harte gesetzliche Verabredungen. Die Arbeitgeber sollten endlich ihre verfassungsgemäße Pflicht als Sozialpartner ernst nehmen.”
Tarifbindung in Deutschland: Weit entfernt vom EU-Maßstab
Dieses Urteil stärkt die Rechte aller Beschäftigten in der Europäischen Union, denn damit ist Willkür und Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt ein Riegel vorgeschoben. Das Herzstück der Richtlinie: Liegt die Tarifbindung in einem EU-Staat unter 80 Prozent, muss die nationale Regierung einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen vorlegen (Artikel 4). In Deutschland liegt die Quote mit knapp 50 Prozent deutlich darunter.
Aktionsplan bis Jahresende zwingend erforderlich
Die Konsequenz ist somit höchstrichterlich bestätigt: Bis Ende des Jahres muss die Bundesregierung in Brüssel abliefern. Legt sie keinen nationalen Aktionsplan vor, droht ein Vertragsverletzungsverfahren und damit Strafzahlungen an die EU. Das Ziel ist klar benannt: 80 Prozent Tarifbindung sind der Maßstab. Aufgabe der Europäischen Kommission wird es sein, zu beobachten, wie die Aktionspläne wirken.
Mit uns zusammen für gute Löhne per Tarifvertrag
Seit diesen Sommer laufen im Bundesarbeitsministerium die Konsultationen zum nationalen Aktionsplan. Die DGB-Gewerkschaften haben ihre Vorschläge längst auf den Tisch gelegt: Wir fordern die Arbeitgeber auf, nicht die Richter*innen des EuGH zu beschimpfen, sondern das Verfahren konstruktiv zu begleiten und ihre verfassungsgemäße Pflicht als Sozialpartner ernst zu nehmen. Sie sollten ihre Aufgabe erfüllen: Mit uns zusammen für gute Löhne per Tarifvertrag sorgen und damit zur Stabilität unseres Landes beitragen.
Tarifverträge: Garanten für Fairness und Stabilität
Tarifverträge sind kein Luxus. Sie setzen Maßstäbe für einen fairen Umgang auf dem Arbeitsmarkt – auch für Firmen wie Adidas oder Lieferando, und auch für Milliardäre wie Herrn Bezos oder Herrn Musk. Sie sorgen dafür, dass alle Unternehmen mit gleichen Kosten für die Arbeit kalkulieren müssen. Ein Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten ist damit ausgeschlossen.
Gesetzliche Maßnahmen statt Absichtserklärungen
Wir brauchen dabei keine neuen Absichtserklärungen. Wir brauchen harte Verabredungen per Gesetz, um die Tarifbindung zu stärken. Wir brauchen den gesamten Instrumentenkasten.
Wie kann die Tarifbindung gestärkt werden?
Der Koalitionsvertrag enthält bereits 3 Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung, darunter das Bundestariftreuegesetz, das sich aktuell im parlamentarischen Verfahren befindet.
- Bundestariftreuegesetz (BTTG)
Staatsknete nur bei Tarifbindung lautet unsere Forderung. Ein wirkungsvolles Bundestariftreuegesetz gehört dazu. Dies führt zu einer breiteren Anwendung von Tarifverträgen und wird hoffentlich einige Arbeitgeber überzeugen, selbst Tarifverträge abzuschließen. Ein wirkungsvolles Gesetz sorgt dafür, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen gehen, die sich an Tarifverträge halten. Der aktuelle Gesetzentwurf enthält dafür jedoch zu viele Ausnahmen, einen zu hohen Schwellenwert und zu laxe Kontrollmöglichkeiten. Hier muss schnell nachgebessert werden, damit das Gesetz noch in diesem Jahr kommen kann. - Digitales Zugangsrecht
Mit einem digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften in die Betriebe wird es künftig leichter, mit potenziellen Gewerkschaftsmitgliedern Kontakt aufzunehmen – gerade in Branchen, in denen Beschäftigte nicht mehr an einem Ort im Betrieb vorzufinden sind, sondern durch mobile Arbeitsplätze oder eine kleinteilige Filialstruktur eher vereinzelt arbeiten. - Steuerliche Anreize
Gewerkschaftsbeiträge müssen zukünftig besser steuerlich absetzbar sein. Die Mitgliedschaft würde dadurch attraktiver, auf lange Sicht würden mehr Tarifverträge abgeschlossen.
Unsere Forderungen
- Mehr Transparenz und Schutz für die Beschäftigten
Die Beschäftigten brauchen mehr Transparenz und Schutz vor Tricksereien. Die Arbeitgeberverbände sind hier in der Pflicht: Da sie den Unternehmen oft Mitgliedschaften “mit Tarifbindung”, aber auch “ohne Tarifbindung” anbieten, ist für die Gewerkschaften nicht erkennbar, ob für diese Unternehmen bereits ein Flächentarifvertrag gilt. Wir brauchen eine Offenlegungspflicht, ob Unternehmen Mitglied im Arbeitgeberverband sind – und ob mit oder ohne Tarifbindung. - Blitzwechsel in OT-Mitgliedschaften verhindern
Es müssten ausreichend lange Ankündigungsfristen für den Wechsel in die sogenannte “Ohne-Tarif”-Mitgliedschaft festgelegt werden, um “Blitzwechsel” von heute auf morgen in den tariflosen Zustand zu verhindern. - Allgemeinverbindlichkeit erleichtern
Zudem muss die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert werden, damit Tarifverträge leichter branchenweit gültig werden können. - Gewerkschafter*innen und Betriebsräte besser Schützen
Zudem brauchen Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte, die sich im Vorfeld und im Rahmen von Tarifverhandlungen engagieren, einen besseren Schutz: Das Betriebsverfassungsgesetz sollte daher so geändert werden, dass Staatsanwaltschaften beim Be- oder Verhindern von Betriebsratswahlen von sich aus – auch ohne Anzeige – ermitteln können. Darüber hinaus muss auch gewerkschaftliches Engagement wirksam geschützt werden.