Es gibt keinen guten Populismus. Im Gegenteil: Die zugrundeliegende Ideologie ist höchst antidemokratisch. Es ist an der Zeit, den Populisten sprachlich und politisch entgegenzutreten, schreibt der Politikberater Johannes Hillje.
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Alle sprechen über Populismus, aber viele meinen damit etwas anderes. Populismus ist zu einem Kaugummi-Begriff der öffentlichen Debatte geworden. Am meisten profitieren davon die Populisten selbst, sie haben gewissermaßen freie Auswahl bei ihrem Selbstverständnis.
Der inhaltliche Kern des Populismus ist eine Ideologie, die einem – angeblich – tugendhaften und homogenen Volk eine Elite und gefährliche „Fremde“ gegenüberstellen. Diese wollen das Volk seiner Rechte, Werte, Identität, seines Wohlstands und seiner Stimme berauben – so die populistische Erzählung.
Zum Selbstverständnis von Populisten gehört es auch, dass sie die einzigen Vertreter des „wahren Volkes“ sein wollen. Allen anderen Parteien sprechen sie ab, die Interessen der Bürger vertreten zu können. Diese Auffassung ist zutiefst antipluralistisch und widerspricht unserer demokratischen Grundordnung, in der die Existenz und Konkurrenz verschiedener Interessen Leitgedanke der Legitimität ist. In den Kreisen der AfD wird mittlerweile weit über eine „alternative Partei“ hinaus gedacht: Alternative Medien, alternative Sozialverbände ebenso wie alternative Gewerkschaften sollen Teil ein ganz neuen Systems sein. Für AfD-Vertreter wie Björn Höcke zählen die derzeitigen Gewerkschaften zu den „alten Kräften”. Nach der rechtspopulistischen Lehre soll das alternative System einem Volk dienen, das sich nach dem Abstammungsprinzip bemisst – deutsch sind in dieser Logik nur diejenigen, die deutsche Eltern haben. In einer „alternativen Gewerkschaft“ würden dann nicht mehr alle Arbeiter als gleichwertig angesehen werden, sondern zwischen deutschen und tschechischen, spanischen, türkischen, eben allen anderen Arbeitern unterschieden werden. Ein krasser Widerspruch zu der ursprünglichen Idee der Arbeiterbewegung, nach der alle Arbeiter gleich sind. Solidarität bemisst sich hier nicht nach Herkunft, sondern nach Tätigkeit.
"Innere Solidarität ist eine Voraussetzung für äußere Solidarität."
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Um gegen den Populismus vorzugehen, muss man ihn als antidemokratische, weil antipluralistische Ideologie verstehen. Mit dieser Definition kann man populistische Politiker eindeutig von jenen abgrenzen, die zwar möglicherweise auch mal provokant und zugespitzt formulieren, aber nicht grundsätzlich elementare Prinzipien der Demokratie infrage stellen. Politiker wie Seehofer, Gabriel oder Wagenknecht reden gerne populär, aber populistisch sind nur Gauland, Höcke und viele ihrer Parteikameraden. Freilich reicht eine begriffliche Abgrenzung allein nicht. Die demokratischen Kräfte müssen vor allem auch ein besseres politisches Angebot machen. Als Angela Merkel sagte „wir schaffen das“ dürften nicht wenige Menschen in Deutschland gedacht haben, „aber ich schaffe das nicht“. Die Erwerbsarmut im Land hat zugenommen, wer selbst trotz Arbeit, Angst vor der Zukunft haben muss, kann anderen nur bedingt helfen. Die Abwertung von Flüchtlingen erfolgte aus einer Abwertung des Selbst. Weil letzteres eine der wesentlichen Ursachen für den Vertrauensverlust von Parteien und Gewerkschaften ist und die Wahl der AfD nur ein Symptom davon, braucht es eine Politik gegen diese begründeten Abstiegsängste. In Hinblick auf die Flüchtlingspolitik könnte man auch sagen: Innere Solidarität ist eine Voraussetzung für äußere Solidarität.
Die demokratischen Kräfte müssen ein besseres politisches Angebot machen.
Die AfD konnte aber auch deshalb zum sichtbarsten Symptom des Vertrauensverlusts werden, weil sie eine besonders effektive Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Sie kommuniziert und inszeniert auf eine Weise, die perfekt mit der journalistischen Auswahl- und Darstellungslogik von Nachrichten korrespondiert. So ist sie zum Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie geworden. Ihre Sprache sickert folglich auch in die Reden anderer Akteure ein. Wer sich von der AfD inhaltlich abgrenzen will, muss dies auch sprachlich tun. Lernen kann man hierbei vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er spricht etwa von einem „Europe, qui protège“, also ein Europa, das seine Bürger schützt. Und zwar keinesfalls nur im militärischen Sinne, sondern vor allem vor den negativen sozialen Effekten der Globalisierung. Das ist nicht nur eine positive Erzählung von Europa, sondern auch ein glaubwürdiger Ansatz dafür, auf welcher Ebene soziale Sicherheit heute organisiert werden kann. Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherheit sind in der globalisierten Wirtschaft die Achillesferse der nationalen Wohlfahrtsstaaten, die europäische Gemeinschaft ist deshalb ihre Bandage.
Wer statt Gegenentwürfe anzubieten, zusammen mit den Rechtspopulisten in das nationalistische Horn bläst, macht diese nur weiter stark. Es ist deshalb höchste Zeit, die Sprachlosigkeit gegenüber den heutigen sozialen Herausforderungen zu beenden.
In „Propaganda 4.0“ beschreibt Johannes Hillje, wie Populismus als antidemokratische Ideologie funktioniert. Die AfD versucht durch sprachliche Grenzüberschreitungen die gesellschaftliche Normalität zu verschieben. Das „Rennen nach rechts“ ist eröffnet – und davon profitieren wiederum die Rechtspopulisten, die die anderen politischen Kräfte vor sich hertreiben können. Durch maximale Empörung und Eskala-tion wird maximale Aufmerksamkeit hergestellt – die Populisten haben genau verstanden, wie die Medien und die Sozialen Medien funktionieren.
Hillje beschreibt die Strategien der Rechten, welche Ziele sie verfolgen – nämlich das demokratische System von innen zu zerstören – und was sie bereit sind, dafür zu tun.
Demgegenüber stellt Hillje abschließend die „Demokratie 4.0“. Er beschreibt, wie diejenigen, die zu den Fundamenten der liberalen Demokratie – auch und gerade in unsicheren Zeiten – stehen wollen, dem Einfluss des Rechtspopulismus etwas entgegensetzen können. Johannes Hillje: Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen, Dietz-Verlag 2017, 184 Seiten, 14,90 Euro.