Deutscher Gewerkschaftsbund

11.05.2023
Sonderauswertung DGB-Index Gute Arbeit

Pflege am Limit: Auf Kosten der Beschäftigten und Patient*innen

Die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege sind aus Sicht der Beschäftigten weiterhin schlecht. So haben die psychischen und körperlichen Belastungen während der Corona-Pandemie nochmal zugenommen, wie eine Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit zeigt. Ein beunruhigendes Resultat für Politik, Arbeitgeber und Patient*innen: Druck und Hetze gehen auf Kosten der Qualität.

Frau im Gesundheitswesen

Adobe Stock/©daniilvolkov

Während der Corona-Pandemie waren sich alle einig: Pflegekräfte haben sich ein Extra-Lob für ihren großen Einsatz in der Krise verdient. Mit mehreren Boni hat die Politik versucht, die Leistung anzuerkennen - viele haben ihn nicht bekommen. Mit Blick auf die Zahlen einer Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit wirken die gezahlten Prämien allerdings wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn in den vergangenen zehn Jahren gibt es keine Verbesserungen der Arbeitsbedingungen – weder in den Krankenhäusern noch in den Pflegeheimen.

Weiterhin sind hoher Druck, Hetze, Schichtdienst oder körperlich schwere Arbeit an der Tagesordnung. Das ist seit vielen Jahren bekannt. Für Politik und Arbeitgeber ist das aber offenbar kein Anlass umzusteuern, wie die Sonderauswertung zeigt. Die Studie vergleicht konkret die Zeiträume 2012 bis 2017 mit den Jahren 2018 bis 2022. Das Resümee: Beschäftigte in der Krankenpflege sehen so gut wie keine Verbesserungen im zeitlichen Vergleich. In der Altenpflege ist das Belastungsniveau weiterhin sehr hoch, bei geringfügigen Verbesserungen.

Frage: Haben Sie den Eindruck, dass Sie in den letzten 12 Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit als vorher schaffen müssen?

Arbeitsverdichtung Pflege während Corona

DGB-Index Gute Arbeit

Download: Sonderauswertung DGB-Index Gute Arbeit zur Pflege


Pflege: Schlechte Arbeitsbedingungen und nicht leistungsgerechtes Gehalt

Eine Mehrheit in beiden Bereichen hält das Gehalt für nicht leistungsgerecht. Beschäftigte in der Krankenpflege sehen ihr Einkommen in den vergangenen Jahren sogar noch kritischer als von 2012 bis 2017. Knapp drei Viertel sehen sich in den vergangenen vier Jahren gar nicht oder nur in geringem Maß angemessen entlohnt. Auch in den Pflegeheimen halten mehr als zwei Drittel ihr Einkommen für nicht leistungsgerecht.

Für Beschäftigte und Patient*innen sind die Ergebnisse des DGB-Index schlechte Nachrichten. Denn unter Stress und Druck leidet die Qualität der Arbeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen. In den Jahren 2018 bis 2022 gaben 60 Prozent der Krankenpflegekräfte an, dass sie sehr häufig oder oft Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen müssen. In der Altenpflege sind es knapp 40 Prozent. Gegenüber dem Vergleichszeitraum 2012-2017 zeigt sich in der Krankenpflege sogar noch eine Verschlechterung der Situation: Der Anteil mit (sehr) häufigen Qualitätsabstrichen hat seitdem um zehn Prozentpunkte zugenommen. In der Altenpflege hat sich der Anteil nicht wesentlich verändert.

Frage: Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr Arbeitspensum zu schaffen?

Hetze auf Kosten der Qualität in der Pflege

DGB-Index Gute Arbeit

Mehrheit der Pflegekräfte: Durchhalten bis zur Rente nicht möglich

Ein weiteres dramatisches Signal: Drei Viertel der Krankenpfleger*innen und zwei Drittel der Altenpfleger*innen gehen davon aus, dass sie ihre Arbeit nicht bis zur Rente ausüben können. Diese Werte liegen deutlich über dem Durchschnitt aller Befragten (38 Prozent). Besonders bedenklich ist, dass sich die Einschätzungen der Beschäftigten gegenüber dem Vergleichszeitraum nicht wesentlich verbessert haben. In der Krankenpflege zeigt sich sogar eine leichte Verschlechterung. Nur knapp jede*r fünfte Krankenpfleger*in geht davon aus, bis zur Rente durchhalten zu können.

Frage: Meinen Sie, dass Sie unter den derzeitigen Anforderungen Ihre jetzige Tätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter ohne Einschränkungen ausüben könnten?

Kaum Chancen, gesund in Rente zu gehen

DGB-Index Gute Arbeit

Fachkräftemangel Pflege: Neue und ehemalige Beschäftigte gewinnen

Der Branche droht so ein weiterer Verlust an Arbeitskräften auf Grund der widrigen Bedingungen. Bereits in der Corona-Pandemie haben sich viele Pflegekräfte einen neuen Job gesucht, um dem Stress zu entkommen. Die Abwanderung führt wiederum zu noch mehr Arbeitsverdichtung bei den verbleibenden Beschäftigten. Das müsse für das Gesundheitsministerium ein Weckruf sein, betont DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. „Wenn man weiteres Abwandern verhindern will, müssen aus gesellschaftlicher Wertschätzung bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen werden. Wir fordern Arbeitgeber auf, für ausreichend Personal zu sorgen und flexible Modelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf anzubieten. Nur so können Fachkräfte gewonnen und dauerhaft gehalten werden.“

In der Pflege herrscht schon heute bundesweit ein eklatanter Fachkräftemangel. Dieser wird sich weiter zuspitzen – allein in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen 500.000 Pflegefachkräfte in Rente. Es dauert aktuell 230 Tage, bis die Stelle einer Krankenpflegefachkraft besetzt werden kann, 210 Tage für die Stellenbesetzung einer Altenpflegefachkraft.

„Ein Schlüssel zur Entlastung ist eine bedarfsgerechte Personalausstattung“, erklärte ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Es müssten sowohl in den Kliniken als auch in der stationären Pflege die Prozesse energisch vorangetrieben werden. Im betrieblichen Alltag müssten vor allem die Arbeitgeber deutlich mehr Anstrengungen unternehmen, um die Arbeit attraktiver zu machen. Bühler warnte vor einer weiteren Zuspitzung der Lage: „Weniger Personal und mehr Menschen, die auf Pflege angewiesen sind – diese sehr bedrohliche Entwicklung gilt es mit allen Mitteln zu stoppen.“

Rückkehr von 300.000 Vollzeit-Pflegekräften möglich

Möglichkeiten, um mehr Beschäftigte für die Pflege zu gewinnen, liegen auf der Hand. Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie aus dem Jahr 2022 zeigt etwa: Mindestens 300.000 Vollzeit-Pflegekräfte würden in ihren Job zurückkehren oder ihre Arbeitszeit aufstocken, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessern. Das Fazit der Studie: Es sei möglich, den Teufelskreis, dass immer weniger Pflegekräfte zu noch weniger Pflegekräften führen, zu durchbrechen.

Frage: Wenn Sie an Ihre Arbeitsleistung denken, inwieweit halten Sie Ihr Einkommen für angemessen?

Einkommen ist nicht leistungsgerecht in der Pflege

DGB-Index Gute Arbeit

Download: Sonderauswertung DGB-Index Gute Arbeit zur Pflege


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