Kein Eis, keine Malstifte, keine Blumen: Leistungsberechtigte können sich von dem ohnehin zu niedrig bemessen Regelsatz immer weniger kaufen. Die aktuelle Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze um nur drei Euro oder 0,76 Prozent liegt deutlich unterhalb der Preisentwicklung von zuletzt 5,2 Prozent (November 2021). Die Preise steigen also zurzeit sieben Mal stärker als der Regelsatz.
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Der Grund für die geringe Steigerung bei Hartz IV ist, dass der Anpassungsmechanismus für die Regelsätze überhaupt nicht zur aktuellen Situation passt. Der in die Anpassungsformel eingeflossene Wert für die Preissteigung in Höhe von nur 0,1 Prozent ist Lichtjahre entfernt von der tatsächlichen Preissteigerungsrate. Doch der Reihe nach:
Die Hartz-IV-Regelsätze werden jährlich zum 1. Januar angepasst. Der Anpassungsmechanismus ist gesetzlich festgelegt. Es gilt: Die Regelsätze steigen so, wie die Preise und die Löhne gestiegen sind. Dabei wird die Preisentwicklung mit dem Faktor 0,7 gewichtet, die Löhne mit 0,3. Das heißt, die Preisentwicklung macht 70 Prozent der Anpassung aus, die Lohnentwicklung 30 Prozent.
Das Problem: Diese Anpassungsformel ist dieses Mal völlig ungeeignet, da sie überhaupt nicht zur aktuellen Situation passt. Die in die Anpassung eingeflossene Preissteigerung von nur 0,1 Prozent kommt zustande, da sie sich auf lange zurückliegende Zeiträume bezieht. Damals galt als Hilfsmaßnahme gegen die Corona-Pandemie eine abgesenkte Mehrwertsteuer. Konkret wird beim Anpassungsmechanismus das durchschnittliche Preisniveau im Zeitraum Juli 2020 bis Juni 2021 mit dem im Vorjahreszeitraum (Juli 2019 bis Juni 2020) verglichen. Im zweiten Halbjahr 2020 galten jedoch aufgrund der Corona-Pandemie die reduzierten Mehrwertsteuersätze, die den Durchschnittswert für die Preise im gesamten Zeitraum auf nahezu Null drücken.
Aus Sicht des DGB darf es nicht sein, dass eine völlig atypische, durch die Politik künstlich herbeigeführte Sondersituation mit abgesenkter Mehrwertsteuer, als Bezugspunkt genommen wird für die Anpassung der Regelsätze in Zeiten sehr hoher Inflation.
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Schon länger fordert der DGB gemeinsam mit Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und Erwerbslosen-Netzwerken im Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum die gesetzlich vorgegebene Anpassungsformer zu reformieren:
Zukünftig sollte eine „Günstiger-Regel“ gelten: Die Regelsätze steigen entsprechend der Lohnentwicklung, mindestens jedoch in Höhe der Preise.
Damit werden zwei Ziele erreicht:
Damit der Inflationsausgleich tatsächlich immer wirksam wird, muss eine weitere Änderung hinzukommen:
Entweder muss die Preisentwicklung deutlich zeitnäher erfolgen und für die aktuelle Situation aussagkräftig sein (z.B. durchschnittliche monatliche Preisentwicklung der letzten sechs Monate gegenüber den Vorjahresmonaten) oder es muss gesetzlich geregelt werden, dass vom Anpassungsmechanismus abgewichen werden muss, wenn die aktuelle Preisentwicklung erheblich von den Annahmen im Anpassungsmechanismus abweicht.
Quelle: Daten: Der Paritätische Gesamtverband, Darstellung: DGB – Dargestellt sind die im jeweiligen Jahr wirksam gewordenen Faktoren nach den Fortschreibungsverordnungen, nicht die tatsächliche Preis- und Lohnentwicklung des jeweiligen Jahres. Lesebeispiele: Im Jahr 2014 führte die Anpassungsformel zu einem Kaufkraftverlust, seit 2016 führt sie dazu, dass die Regelsätze hinter der Lohnentwicklung zurückbleiben.
Dies ist sozialpolitisch dringend geboten, damit sich Armutslagen nicht noch verschärfen und entspricht auch einer – bisher nicht ausreichend umgesetzten – Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts von 2014: Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, auf erhebliche Preissteigerungen zu reagieren und die Regelsätze „unterjährig“ – das heißt, bevor die turnusmäßige Anpassung zum Jahreswechsel ansteht – nachzubessern.
Der jährliche Anpassungsfaktor ist aber nur das eine, was dringend geändert werden muss. Ebenfalls geändert werden muss die grundlegende Festsetzung der Höhe der Regelsätze. Dazu ist der Gesetzgeber alle fünf Jahre verpflichtet, immer nachdem die neuen Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vorliegen. Derzeit werden die Regelsätze aus den Verbrauchsausgaben der Ärmsten der Armen abgeleitet und zwar von den 15 Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen bzw. die Kinderregelsätze aus den untersten 20 Prozent. In einem irrwitzigen Zirkelschluss wird dabei unterstellt, das wenige, das arme Haushalte ausgeben können, sei das Existenzminimum. In einem zweiten Schritt werden dann statistisch gemessene Ausgabenpositionen als „nicht relevant“ herausgestrichen: Die Kugel Eis von der Eisdiele, Malstifte für Schulkinder, Blumen und ein Weihnachtsbaum und vieles andere mehr.
Der DGB fordert, die Regelsätze grundlegend neu zu ermitteln und so zu erhöhen, dass sie wirksam vor Armut schützen. Denn zurzeit liegen die Hartz-IV-Leistungen für alle Haushaltstypen - mit Ausnahme der Alleinerziehenden mit jungen Kindern – unterhalb der Armutsgrenze. Der DGB schlägt vor, eine Sachverständigenkommission einzurichten, die Vorschläge für ein neues Herleitungsverfahren erarbeitet.
Eine ausführliche Kritik des DGB an der Herleitung der Regelsätze findet sich in der Stellungnahme zum "Regelbedarfsermittlungsgesetz 2020".