Deutscher Gewerkschaftsbund

28.01.2020

Mitbestimmung: Auf ins nächste Jahrhundert

einblick Februar 2020

Der Bedarf nach betrieblicher Mitbestimmung ist zeitlos. Darum sollte die Einführung des Betriebsrätegesetzes vor 100 Jahren als Anlass genommen werden, um die Betriebsverfassung an die anstehenden Herausforderungen anzupassen, findet die Mitbestimmungsexpertin Johanna Wenckebach.

Fröhliche Menschen in einem Großraumbüro

DGB/Cathy Yeulet/123rf.com

Am 4.2.1920 trat das Betriebsrätegesetz (BRG) in Kraft. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur heutigen betrieblichen Mitbestimmung. Dieses hundertjährige Jubiläum ist ein Grund zu feiern. Denn wir blicken zurück auf eine Geschichte der Demokratisierung der Wirtschaft zu Gunsten der Würde der arbeitenden Menschen.

Der Grund für die Entstehung des BRG ist immer noch so aktuell wie vor 100 Jahren. Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur an der Politik demokratisch beteiligt werden, sondern auch in Wirtschaftsfragen. Aktuelle Debatten um Demokratieverdrossenheit zeigen: es bedarf der betrieblichen Mitbestimmung heute wie gestern. Anders, als manche es gerade im Zuge von Digitalisierungsdebatten gerne darstellen: Betriebliche Mitbestimmung ist kein alter Hut, kein Hemmschuh.

"Die Transformation
verschärft alte und stellt
neue Verteilungsfragen."

Mit ihr gehen – das gilt für ganz Europa – Innovationen, hohe Produktivität und geringere Ungleichheit einher. Veränderungsprozesse werden durch sie ermöglicht, Menschen mitgenommen, Kompromisse ausgehandelt und erzielt, gesellschaftlicher Zusammenhalt erhält einen Anker in den Betrieben. Deshalb überrascht es wenig, dass sich viele Beschäftigte eine starke Vertretung ihrer Interessen im Betrieb wünschen, insbesondere um den digitalen Wandel erfolgreich zu bewältigen. Das zeigen jüngste Umfragen. Und hier besteht politischer Handlungsbedarf.

Nachdem die Entwicklung betrieblicher Mitbestimmung im Nationalsozialismus jäh unterbrochen wurde, hat sich viel getan. Durch gesetzliche Reformen, in der Rechtsanwendung durch die Gerichte sowie durch die Wissenschaft wurde das heutige Betriebsverfassungsgesetz bereits vielen veränderten Realitäten angepasst. Dieser Prozess ist aber nicht beendet. Ganz im Gegenteil. Viele Streitfragen blieben ungelöst und die letzte Reform liegt fast zwei Jahrzehnte zurück.

Mit Wucht kommt nun die Transformation der Wirtschaft. Sie fordert, zeitgleich Globalisierung, Dekarbonisierung und Digitalisierung sowie demographische Veränderungen zu bewältigen. Auch gesellschaftliche Vorstellungen z.B. von partnerschaftlicher Kindererziehung verändern die Arbeitswelt. Diese Transformation verschärft alte und stellt neue Verteilungsfragen. Es werden unterschiedliche Szenarien hinsichtlich der Arbeitsmarkteffekte der Transformation gezeichnet. Klar ist jedenfalls: (Weiter-)Bildung wird ein Schlüsselthema für Beschäftigungssicherung. Und in diesem Bereich müssen Mitbestimmungsrechte ausgebaut und verschärft werden. Das gilt auch für die Personalplanung.

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"Der Bedarf für betriebliche Mitbestimmung ist zeitlos
– ihre Rahmenbedingungen sind es jedoch nicht."

Arbeitsrechtsexpert*innen diskutieren schon seit einigen Jahren, wie „Mitbestimmung 4.0“ in einer digitalisierten Arbeitswelt aussehen kann und muss. Jüngste Herausforderung ist die Einführung algorithmischer Systeme „künstlicher Intelligenz“ in den Betrieben. Damit die Interessen der Beschäftigten hierbei gut vertreten werden können, muss u.a. das Recht von Betriebsräten ausgebaut werden, externen Sachverstand hinzuzuziehen.

Zudem schreitet die Globalisierung weiter voran. Wo Unternehmen grenzüberschreitend geleitet werden, darf Mitbestimmung nicht an Landesgrenzen enden. Außerdem ist dort, wo Betriebsratsmitglieder mit jahrzehntelanger Erfahrung als Freigestellte auf Augenhöhe mit dem Topmanagement über die Geschicke vieler Beschäftigter beraten und verhandeln, ihre Vergütung nicht zeitgemäß geregelt.

Schließlich profitieren immer noch (oder wieder?) viel zu wenige Beschäftigte von betrieblicher Interessenvertretung. Die abnehmende Tendenz ist erschreckend. Zumal Umfragen zeigen, dass Betriebsratsgründungen aktiv bekämpft werden. Das trifft gerade auch auf die großen Player der „new economy“ zu. Um dem entgegen zu wirken, muss das Wahlverfahren stärker vereinfacht, müssen Hürden abgebaut werden. Dabei muss insbesondere auch veränderten Betriebs- und Unternehmensstrukturen Rechnung getragen werden. Mitbestimmungswidrige Aktionen eines Arbeitgebers müssen effektiv untersagt werden können. Es bedarf eines wirksamen Schutzes derjenigen, die Betriebsratswahlen initiieren.

Der Bedarf für betriebliche Mitbestimmung ist zeitlos – ihre Rahmenbedingungen sind es jedoch nicht. Also auf ins nächste Jahrhundert!


Johanna Wenckebach, 37, ist Wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht in der Hans-Böckler-Stiftung.


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