Auch wenn mittlerweile alle EU-Länder Elemente einer staatlichen Mindestsicherung vorweisen, reichen diese oft nicht aus, um Armut zu verhindern. Deshalb fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass die Mitgliedstaaten durch eine EU-Regelung gesetzlich verpflichtet werden, die Grundsicherungssysteme so zu gestalten, dass sie allen Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Leben garantieren. Ein vom DGB in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt: Eine solche Regelung könnte man auf EU-Ebene jetzt bereits einführen. Es hängt nur vom politischen Willen ab.
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Grundsicherungssysteme dienen als „letztes soziales Netz“, wenn Menschen in Notlagen geraten, die weder durch eigene oder familiäre Hilfe noch durch vorgelagerte Sozialleistungen abgedeckt werden können. In Deutschland sind das die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII, viertes Kapitel) und für andere nicht erwerbsfähige Personen die Sozialhilfe (SGB XII, drittes Kapitel).
In allen anderen EU-Ländern gibt es ebenfalls Elemente der Grundsicherung, aber die Systeme sind national sehr unterschiedlich und nicht in allen Ländern dazu geeignet, Armut zu verhindern und für ein menschenwürdiges Minimum zu sorgen. Ein Gutachten im Auftrag des DGB hat jetzt die Unterschiede zwischen diesen Systemen untersucht. Dabei kam heraus, dass selbst Deutschland im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich abschneidet.
"Jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger verdient ein menschenwürdiges Leben über der Armutsschwelle", sagt Annelie Buntenbach, Mitglied im DGB-Vorstand. Sie fordert, dass Europa endlich sozialer werden müsse. Immer noch seien über 20 Prozent der europäischen Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, was zur Erosion des Vertrauens in das Europäische Projekt erheblich beitrage. Dabei wird die Idee, armutsfeste Grundsicherungsleistungen in allen Mitgliedstaaten zu garantieren, seit vielen Jahrzenten diskutiert. „Über Lippenbekenntnisse hinaus ist aber nichts passiert“, so die Gewerkschafterin weiter.
Mit seinem Gutachten hat der DGB daher auch untersucht, ob die Europäischen Verträge eine Handlungskompetenz ermöglichen, um europäische Mindeststandards bei der Grundsicherung festzulegen. „Laut Gutachten ist das jetzt schon rechtlich möglich“, erläutert Buntenbach. „Wer das bislang geleugnet hat, ist damit widerlegt. Es hängt nur noch vom politischen Willen ab". Dabei gehe es explizit nicht darum, die unterschiedlichen Sozialsysteme der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, sondern darum Mindeststandards in Anlehnung an die Einkommensverhältnisse vor Ort zu schaffen. Die Systeme auszugestalten bleibe in der Hand der Mitgliedstaaten.
Interessant wird es, wenn Deutschland 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. „Spätestens dann muss die Bundesregierung aktiv werden und im Sinne ihres Koalitionssversprechens eine Initiative für angemessene Mindeststandards für die Grundsicherung ergreifen“, fordert Buntenbach. „Nicht der Markt gehört in den Mittelpunkt, sondern die Menschen. In der sozialen Frage liegt die Zukunft Europas!“
Das Gutachten zum Download:
Gutachten von Benjamin Benz (Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe) im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Nationalen Armutskonferenz (NAK). Februar 2019
Opinion on behalf of the German Trade Union Confederation (DGB) and the German National Poverty Conference (NAK)